In Schweden 1955/57

In Schweden 1955/57 

Die deutschen Medien, allen voran die Boulevardpresse, hat uns Heimkehrern aus der Fremdenlegion das Einleben und die Suche nach einem angemessenem Job schwer gemacht, wenn nicht sogar verhindert, so, dass viele von uns in den nächsten Zug gestiegen und nach Landau in der Pfalz gefahren sind, um sich wieder rekrutieren zu lassen. Die meisten hatten ihre Kriegserlebnisse noch nicht verarbeitet. Bei mir stellten sich die Kriegstraumata erst ein, als ich zur Ruhe kam – vorläufig. Ich hatte an zwei Kriegen teilgenommen, 1944-45 am Zweiten Weltkrieg und 1949-55 am Indochinakrieg. 1962/63 habe ich nachts geschrien. Meine Frau hat mich aus dem Traum geholt. Ich sollte hingerichtet, erschossen werden wie ein Deserteur.

1955 war mein vom Sold Erspartes fast aufgebraucht, der Robot-Fotoapparat, Kamera mit mechanischem Motoraufzug für Serienaufnahmen, ein tragbarer Weltempfänger, großes, schweres Radiogerät, mit dem ich in Vietnam deutsche Sender hören konnte, die Armbanduhr und anderes lagen im Pfandhaus.

Ich war in Hamburg und habe in einem Bunker übernachtet, Schuhe unter dem Kopf, damit sie nicht gestohlen wurden. Dort erfuhr ich, dass es im Hafen Arbeit gäbe. Es wurden jeden Morgen Schauerleute ausgesucht, Arbeiter, die für einen Stundenlohn Frachtschiffe be- und entladen. Knochenarbeit. Ich habe mich ein paar Mal am Kai in die lange Kolonne zumeist junger Männer eingereiht und wurde weggeschickt.

In Hamburg hatte ich 1948 eine Lehre in einem Buchverlag begonnen und ein Jahr später aus verschiedenen Gründen abgebrochen. Die beiden Verleger waren freundliche Herren und die Angestellten sehr kollegial. Vielleicht, hoffte ich, könnten sie mir helfen. So fuhr ich zum Verlag im Pressehaus und wurde herzlich empfangen. Hier war keine Stelle frei. Aber die beiden Verleger hatten gute Beziehungen zur Internationalen Buchhandlung in Stockholm und konnten mir da einen Job vermitteln, weil sie an Angestellten mit Sprachkenntnissen interessiert waren. Ich beherrschte damals Französisch und Deutsch.

Die Formalitäten (Vertrag, Reisepass, Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung) waren schnell erledigt. Schon im späten Sommer trat ich die neue Stelle an, und es begann eine ereignisreiche Zeit.

Stockholm
Stockholm. Im Hintergrund der Frachthafen
Schlosskirche in Stockholm
Schlosskirche in Stockholm

Es kam eine Sendung aus den USA mit Norman Mailers The Deer Park“ in von Salz (See-)wasser getränkten Folien an. Sie stammten aus der Andrea Doria“, einem Luxusliner, der  am 25. Juli 1956 auf dem Weg nach New York vor der Küste von Nantucket mit dem ostwärts fahrenden Passagierschiff „Stockholm zusammenstieß und unterging [nach Wikipedia]. Ich durfte ein Exemplar mit nachhause nehmen.

Der liberale jüdische Inhaber beschäftigte in der Buchhandlung Immigranten, die nach Schweden geflüchtet waren: unter anderem einen jüdischen Antiquar, der mehrere Sprachen beherrschte und mit wertvollen alten Büchern durch die Welt reiste; einen Österreicher, der in der Nazizeit der deutschen Botschaft in Kairo angehört hat und mir erzählte, dort hätten sich reiche Britinnen von jungen Ägyptern mit langen, großen Schwänzen bedienen lassen; und mich Ex-Fremdenlegionär, den die Presse wie alle deutsch-französischen Legionäre diskriminiert und zu Landesverrätern erklärt hat.

Bald lachte ganz Schweden über ein Ereignis, das in dem renommierten Bücherhaus stattfand und unter dem Titel „Die Stinkbombe“ erzählt werden soll:

An einem Morgen wurden wir von einem penetranten Aasgeruch, der sich vom Keller bis zum Dachgeschoss ausgebreitet hatte, empfangen. Wir alle begaben uns auf die Suche nach Ort und Ursache dieses Geschehens. Tagelang. Kein Erfolg. Feuerwehr und Polizei wurden alarmiert; es wurden die Abwasserrohre untersucht, Toiletten und Waschbecken. Die Presse erschien, machte Fotos und schrieb ernste und heitere Berichte.

Ich habe schließlich das Übel entdeckt – im Keller, an den niemand gedacht hatte. Dort befanden sich Bücher, die nicht mehr gefragt und aussortiert waren. Ich musste einen Arm voll weiterer Exemplare ´runterbringen und fand auf der Toilette, die selten benutzt wurde, das corpus delicti oben auf dem Spülkasten über dem Topf: die halbverwesten Reste eines Smörrebröds mit fleisch- oder fischähnlichem Belag in einer offenen Pappschachtel.

    Durch junge Schwed*innen lernte ich Land und Leute kennen. Sie sprachen fließend Deutsch, damals ein Pflichtfach in den höheren Schulen.

    Eine Kunststudentin zeigte mir den Millesgården bei Stockholm mit den Skulpturen des Bildhauers Carl Milles (1875-1955)

Wir hatten uns in einem Schnellimbiss, in dem ich oft zu Mittag aß, kennengelernt.

Sie legte Wert darauf, mir klar zu machen, dass der Ruf sexueller Freizügigkeit, der den Schwedinnen vorausgeht, nur in der Fantasie ausländischer Männer existiert.

Millesgården bei Stockholm mit den Skulpturen des Bildhauers Carl Milles (1875-1955):

Skulpturen von Carl Milles im Skulpturen von Carl Milles im Kunstmuseum Millesgården bei Stockholm
Skulptur des Bildhauers Carl Milles (1875-1955) im Millesgården bei Stockholm

Skulpturen von Carl Milles im Skulpturen von Carl Milles im Kunstmuseum Millesgården bei Stockholm

Skulpturen von Carl Milles im Skulpturen von Carl Milles im Kunstmuseum Millesgården bei Stockholm

Skulpturen von Carl Milles im Skulpturen von Carl Milles im Kunstmuseum Millesgården bei Stockholm

Skulpturen von Carl Milles im Skulpturen von Carl Milles im Kunstmuseum Millesgården bei Stockholm

Skulpturen von Carl Milles im Skulpturen von Carl Milles im Kunstmuseum Millesgården bei Stockholm

Mehr über Carl Milles: https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Milles

Vorort von Stockholm
Vorort von Stockholm

Wir wohnten in einem Vorort von Stockholm in einem Hochhaus, das auf Felsen stand, zwischen hohen Kiefern, und fuhren mit der S-Bahn zur City.  Im Winter schnallten wir die Skier an der Haustür an.

Winter bei Stockholm
Winter

Wir, das waren Birgit, eine Kollegin, und ich. Wir waren uns schnell einig geworden.

Die Geschichte „FIETE DER GROSSE“ in „Der kleine Mann“, Recklinghausen 2005, S, 9 ff., beruht auf Ereignissen, die ich in Schweden erlebt habe. Birgit betreute den Sohn einer Freundin, während seine alleinerziehende Mutter dienstlich verreist war. Der Junge hat sich so verhalten, wie beschrieben: Er hat uns beklaut, um sein Kriegsarsenal auszustatten und als Admiral Kriege zu führen. Als der Schwindel herauskam, hat er es bitter bereut.

Ich habe diese Geschichte nach Schleswig-Holstein verlegt. Hier wie da lag viel Schnee.

Schweden und Dänen können sich nicht riechen, wird behauptet. Dänisch sei, frotzeln die Schweden, keine Sprache, sondern eine Halskrankheit. Eine Ausnahme machte jedenfalls der „verrückte Däne“, wie er sich selber nannte. Wir trafen uns ab und an in einem Kaffee. Er kam, wenn die Straßen zugeschneit waren, auf einem Motorrad. Er hatte eine Skikufe anmontiert.

Heinz, ein Kollege, Sohn eines aus dem Nazi-Deutschland nach Schweden geflüchteten Sozialdemokraten, war mit einer Schwedin verheiratet. Er nahm mich im Sommer mit zu einer Insel in den Schären, die ihnen gehörte.

Stockholmer Schärengarten:

Stockholmer Schärengarten

Stockholmer Schärengarten

Stockholmer Schärengarten

Stockholmer Schärengarten

Stockholmer Schärengarten

Stockholmer SchärengartenDort bauten wir ein traditionelles, ohne Nägel zusammengefügtes Blockhaus auf. Flößer hatten das in Einzelteile zerlegte Gebäude aus dem Norden zur Insel gebracht.

.Schweden bleibt mir in guter Erinnerung, nicht nur, weil dieser beispiellose Sozialstaat mir jeden Monat eine kleine, angemessene Rente überweist.

In Stockholm
In Stockholm

Fotos © Dietrich Stahlbaum 1955/57

[Im Entwurf zum 14. eBook Das Buch in der Wolke. Work in Progress]

 

 

 

2 Gedanken zu “In Schweden 1955/57

  1. Hallo Herr Stahlbaum, Sie haben einen spannenden Lebensweg hinter sich, haben viel erfahren und können dazu auch noch gut erzählen. Die Geschichte von Fiete hat mir besonders gut gefallen: sie ist lebendig, humorvoll und unglaublich einfühlsam und liebevoll in bezug auf den Jungen.
    Ich spüre eine immer noch wachsende Neugier in bezug auf Lebensgeschichten, das hat wohl auch mit meiner eigenen zu tun, deren Anfang im Dunkeln liegt, weil sie mir niemand erzählen kann. Es lohnt sich jedenfalls, die inneren und äußeren Widerstände anzugehen, die sich solchen Forschungen in den Weg stellen wollen – so ist es bestimmt auch Ihnen gegangen. Haben Sie eigentlich schon mal ein Interview zu ihrem Lebensweg gegeben? Das stelle ich mir auch sehr spannend vor. Jetzt liegt aber erst mal Ihr RITT AUF DEM OCHSEN auf meinem Weg.

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