Jörg Sternberg: Die Waffen nieder!

Leserbrief in der Frankfurter Rundschau zu Syrien: „Der Krieg aller gegen alle“, FR-Politik vom 22. Februar:

„Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“, haben sich die Überlebenden des KZ Buchenwald über alle ideologischen Grenzen hinweg – Christen, Gewerkschafter, Sozialdemokraten und Kommunisten – 1945 geschworen. Als Kind habe ich, ohne den Sinn recht zu verstehen, beides in der Zeit der Ausläufer des Nazireichs und der Weltkriegskatastrophe noch erlebt. Wie ein NSDAP-Ortsgruppenleiter von amerikanischen Soldaten verhaftet wurde, wie ein SS-Mann die weiße Fahne vom Dach der Bürgermeisterei riss und die Panzer der Amerikaner, die schon abgerückt waren, wieder die Rohre auf die Häuser richteten. Später habe ich wie andere Lehrer und Historiker auch Schulklassen durch Buchenwald geführt, vorbei am Zoo zur Unterhaltung der Todgeweihten, den Kammern voll von Menschenhaar und Schuhen, der Genickschussanlage und den Verbrennungsöfen. Höcke und Poggenburg hätten darunter sein können.

Heute ist die Nazi-Ideologie als größte Oppositionsfraktion in den Bundestag eingezogen, in Osteuropa probt man in Großmanövern den Krieg und in Syrien drohen die Atommächte USA und Russland konfrontativ im Stellvertreterkrieg aufeinander zu stoßen, so dass selbst der deutsche Außenminister vom Abgrund redet. Der Mainstream westlicher wie östlicher Medien macht jeweils die gegnerische Seite für die Eskalation der Kriegsvorbereitungen, der militärischen wie psychologischen, verantwortlich, listet Statistiken über Aufrüstung auf, inszeniert Drohkulissen, rechtfertigt geostrategische Ansprüche, verweist auf Bündnisverpflichtungen und glaubt, sich mit Abschreckung schützen zu können.

Ja, man erklärt sogar, dass der Einsatz atomarer Massenvernichtungswaffen „im Ernstfall glaubhaft“ sein müsse. Und wenn, wie geschehen, auch nur für Minuten der Koffer mit dem Codewort für den planetaren Untergang für den Präsidenten nicht zuhanden ist, bricht im Gefolge Panik aus. Von all dem rhetorischen Gemetzel, dem Rechtfertigungsgeschwafel für immer mehr Rüstungs- und Aggressionspotenzial in einer Welt mit Hunger, Flucht und Umweltzerstörung sollte man der Überzeugung des Pazifismus folgen: Die Waffen nieder, Schwerter zu Pflugscharen. Heißt konkret für uns: Keine Exporte von Rüstungsgütern, keine Atomwaffen auf deutschem Boden, keine Interventionstruppen, keine Sanktionen, Aufbau kollektiver Sicherheitsbündnisse wie OECD, Stärkung der Völkergemeinschaft in der UN. Unrealistisch? Illusionär? Sicherlich weniger, als zu glauben, die militärischen Optionen könnten uns vor der Höllenfahrt retten.

Jörg Sternberg, Hanau

[FR. 27.02.2018]

Auf Augenhöhe mit einem Poitou-Esel-Fohlen. Foto

Eselfohlen in Olfen.
….am 23. Februar 2018 im frostigen Olfen NRW

Info der Stadt Olfen:
„Der Poitou-Esel (frz. Baudet du Poitou) ist eine gefährdete Großeselrasse, die nach dem Gebiet Poitou (Region Poitou-Charentes, Hauptort Poitiers) im Westen Frankreichs benannt ist. Die Rasse ist seit dem 11. Jahrhundert bekannt, vermutlich aber schon früher entstanden…“

Wilhelm Neurohr: Offener Brief an den SPD-Politiker Stephan Weil – Fehleinschätzungen zu Themensetzungen der SPD

Betr.: Fehleinschätzungen zu Themensetzungen der SPD

Sehr geehrter Herr Weil,

gegenüber der Frankfurter Allgemeinen haben Sie heute als SPD-Vorstandsmitglied in Ihrer Analyse der „richtigen und falschen Themensetzungen der kriselnden SPD“ öffentlich behauptet (Zitat): „Auch die Debatten über Freihandelsabkommen oder Vorratsdatenspeicherung interessiert kaum jemanden“.

Kann es sein, dass Sie am Beispiel der Freihandelsverträge die größte deutsche und europäische Bürgerbewegung seit Bestehen der EU nicht wahrgenommen haben und deshalb zu einer SPD-typischen Fehleinschätzung der Bürgeranliegen gelangt sind? Und dann wundern sie sich über den Absturz der SPD auf unter 16% und schieben das allein auf die Personaldebatten?

Alles das haben Sie offenbar in Ihrer Analyse übersehen:

  • Mit 350.000 (!) Teilnehmerinnen und Teilnehmern hat es im Oktober 2015 in Berlin und anderen Städten gegen die Freihandelsabkommen TTIP, CETA und TISA die größte Demonstration in diesem Jahrhundert in Deutschland gegeben (mit Teilnehmern vor allem aus dem  rot-grün-roten Spektrum).
  • Mit 250.000 Unterstützern (!) hat es 2016 die größte Bürgerklage seit Bestehen der Bundesrepublik vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Freihandelsabkommen gegeben.
  • Mit 3,2 Mio. Unterschriften (!) hat es gegen die Freihandelsabkommen das größte europäische Bürgerbegehren (EBI) seit Bestehen der EU gegeben.
  • Über 2000 Kommunalparlamente (!) in Deutschland und Europa haben sich in Sorge um die kommunale Selbstverwaltung gegen die Freihandelsabkommen ausgesprochen oder sich symbolisch zur „TTIP-freien Zone“ erklärt (vor allem die SPD-regierten Städte und Gemeinden, aber auch mit den Stimmen der CDU-Fraktionen).
  • In nahezu allen 13.000 Städten und Gemeinden in Deutschland (und ähnlich in anderen EU-Staaten) hat es flächendeckend örtliche und regionale Bündnisse und gut besuchte bis überfüllte Veranstaltungen zum Thema der Freihandelsabkommen gegeben.
  • Außer der Zivilgesellschaft haben sich nahezu alle gesellschaftlichen Einrichtungen – von den Gewerkschaften und Sozialverbänden sowie kommunalen Spitzenverbänden über die Kirchen und mittelständischen Interessenverbände bis hin zu den Kulturschaffenden und auch Parteiorganisationen (einschl. SPD-Arbeitsgemeinschaften und Grundwertekommission) dazu kritisch positioniert.

Also eine gesamtgesellschaftliche Bewegung, aber von der SPD ignoriert?

Es gehört schon eine Portion Autismus dazu, dieses Bürgeranliegen nunmehr als nicht existent oder unwichtig zu erklären.

Ich nenne diese Thema nur exemplarisch für die Blindheit mancher SPD-Oberen.

Denn es ging den Kritikern nicht „gegen Freihandel“ an sich, sondern für fairen Handel und für Transparenz statt Geheimhaltung. Hier war aber die demokratische Gewaltenteilung und das Primat der Politik in Gefahr durch Selbstentmachtung der Parlamente zugunsten von Lobby-Gremien, ferner die Sozial -und Tarifstandards sowie die Umweltstandards u. v. m. in Gefahr. Also klassische sozialdemokratische Themenfelder!

Mit den „roten Linien“ der SPD per Mehrheitsbeschluss wurde zunächst die Sorge der Bürger widerwillig (nur auf Druck der SPD-Basis) von der Parteispitze aufgegriffen, dann aber durch Parteichef Gabriel missachtet und seither als Thema ausgeblendet.

Nicht nur an diesem Beispiel zeigen sich die eigentlichen Probleme der führenden Sozialdemokraten, die im Vorstand immer noch nicht begriffen haben, was die Basis und die Bürger gegen die Parteioberen momentan so aufbringt.

Man kann nur noch politische Wahrnehmungsstörungen höchsten Ausmaßes attestieren. (Das hat mich nach 33 Jahren aktiver SPD-Mitgliedschaft seit 1967 vor 16 Jahren aus der SPD herausgetrieben…) Die Partei ist soweit von den Bürgern entfernt, wie nie zuvor und wie keine andere Partei, das belegt die Aussage von Stephan Weil eindrucksvoll.

Mit nachdenklichen Grüßen

Wilhelm Neurohr

 

WWW.Wilhelm-Neurohr.de

WWW.iwipo.eu

Wilhelm Neurohr: „Schweigt die Friedensbewegung zur privaten „Münchener Sicherheitskonferenz?“

Leserbrief an das Medienhaus Bauer, Marl, zur Berichterstattung über die Münchener Sicherheitskonferenz:

„Schweigt die Friedensbewegung zur privaten „Münchener Sicherheitskonferenz?“

Die Berichte über die so genannte „Münchener Sicherheitskonferenz“ (früher hieß sie ehrlicherweise „Wehrkundetagung“ der Militärexperten und Rüstungslobby) und zuvor über den „Weltwirtschaftsgipfel von Davos“ offenbaren  uns eine äußerst bedenkliche Tendenz, die alle Demokraten eigentlich wachrütteln sollte: Nicht mehr die dafür eigentlich zuständigen und demokratisch legitimierten Gremien etwa der UN oder der EU organisieren offiziell den internationalen politischen Dialog über globale Wirtschafts- oder Friedensfragen. Sondern zunehmend sind es privat organisierte inoffizielle Großveranstaltungen auf Initiative von Wirtschafts- und Rüstungslobbyisten, die den erlauchten Teilnehmerkreis und die Themen bestimmen.  Stolz brüsten sie sich damit, diese Privatkonferenzen zu den „bedeutendsten informellen Foren“ der „Eliten“ aufgewertet zu haben, mit denen sie die offiziellen Gipfelkonferenzen der Staats- und Regierungschefs in den Schatten stellen.

Und sie bestimmen auch, welche ausgewählten Politiker – diesmal Einhundert an der Zahl – bedeutend genug sind, um von Ihnen exklusiv und selektiv eingeladen und als Redner auserkoren zu werden, nebst der Überzahl der diesmal 400 selbst ernannten zahlreichen Teilnehmern aus Wirtschaft, Lobbyverbänden, Militär und sogar Geheimdiensten. Die so geschmeichelten Politiker geben sich dort gerne die Klinke in die Hand auf den illustren Treffen, so dass auch die Medien meist unkritisch diese von staatlichen Sicherheitskräften bewachten jährlichen privaten Großveranstaltungen wie offizielle internationale Staatskonferenzen oder Wirtschaftsgipfel behandeln. Damit gehen sie alle den Interessengruppen auf den Leim und belegen die enge Verquickung zwischen Politik, Wirtschaft und Militär sowie Medienschaffenden. Nicht zuletzt geben sie damit sogar den „Verschwörungstheoretikern“ neue Nahrung, denn deren Behauptung, dass die eigentlichen politischen Entscheidungen in solchen hochkarätigen „informellen“ Zirkeln vorbereitet werden statt in den gewählten Parlamenten oder durch das Volk als Souverän, erscheint plötzlich nicht so abwegig. Nickt der Bundestag nur noch die ausgetauschten Militär-Strategien der privaten „Sicherheitskonferenz“ ab und akzeptiert die neue teure Rüstungsspirale?

Gerade die letzten drei Münchener Sicherheitskonferenzen von 2016 und 2018 haben ohne begleitende Parlamentsdebatten oder öffentlichen Diskurs bedenkliche Militär- und rüstungspolitische Vorentscheidungen als Paradigmenwechsel politisch unwidersprochen präjudiziert. Die derzeit nur geschäftsführende Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, im Vorjahr in München flankiert vom damaligen Außenminister Steinmeier und Bundespräsidenten Gauck, legt sich  in München erneut auf deutsche Auf- und Nachrüstungsverpflichtungen in nie dagewesener Höhe mit haushaltspolitischer Priorität fest. Zugleich definiert sie mit markigen Worten, am Grundgesetz meines Erachtens vorbei,  eine ganz neue militärische Rolle Deutschlands und Europas. Wen interessiert es, dass Umfragen zufolge über 70% der Deutschen sich gegen eine weitere Aufrüstung und Erhöhung des Verteidigungsetats aussprechen?

Mit einer europäischen Armee neben der NATO in einer „europäischen Militärunion“, wie kürzlich von der EU-Exekutive (am Bundestag vorbei) beschlossen,  wird die Militarisierung der Europapolitik vorangetrieben statt eine neue Abrüstungsinitiative zu starten oder Entspannungspolitik mit dem Osten. Stattdessen das Motto der 1950-er Jahre: „Wenn die Russen kommen…“. Alles läuft auf einen neuen „kalten Krieg“ hinaus, wie schon in der „Sicherheitspolitischen Agenda“ der Bertelsmann-Stiftung im Auftrag der EU vor Jahren entwickelt und empfohlen.  Demgemäß der markige Originalton von der Leyen in München: „Deutschland braucht mehr militärisches Gewicht und darf sich nicht hinter seiner Geschichte verstecken, sondern muss akzeptieren, dass unsere Soldatinnen und Soldaten auch tatsächlich eingesetzt werden, um für Sicherheit und Freiheit zu kämpfen.“ Erschreckend ist das Schweigen der Zivilgesellschaft und der kaum noch existenten Friedenbewegung dazu.                                                                                            

Wilhelm Neurohr

Wilhelm Neurohr: „Geschäftsführende Bundesminister überschreiten ihre Kompetenzen“

Leserbrief an das Medienhaus Bauer zur aktuellen Berichterstattung über spektakuläre  Regierungsaktivitäten:

 „Geschäftsführende Bundesminister überschreiten ihre Kompetenzen“

Sprachlos nehmen wir als Bürger aktuell die überraschenden Alleingänge und „aktionistischen Schnellschüsse“ einiger Bundesminister aus der momentanen „Übergangsregierung“ zur Kenntnis: Obwohl sie nur noch „geschäftsführend“ amtieren bis zur Bildung einer neuen Koalitionsregierung mit parlamentarischer Mehrheit, haben sie sich offenbar selber dazu ermächtigt, vorher bereits vollendete Tatsachen zu schaffen  und erhebliche Haushaltsverpflichtungen auszulösen – alles ohne vorherige Parlamentsbeteiligung und ohne einen öffentlichen Diskurs mit der Bevölkerung und den Kommunen, von wegen „parlamentarische Demokratie“. Der Artikel 69 des Grundgesetzes legt nach Auffassung von Verfassungsrechtlern einer nur geschäftsführenden Übergangsregierung größtmögliche politische Zurückhaltung auf. Vor allem darf sie keine Entscheidungen und Beschlüsse treffen, die eine Nachfolgeregierung binden oder erhebliche  haushaltswirksame Ausgaben nach sich ziehen – genau das aber passiert derzeit. Die geschäftsführenden Bundesminister überschreiten ihre Kompetenzen!

Die Rede ist einerseits von der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) mit ihrer alleinigen Festlegung für eine neue militärische NATO-Logistik- und Kommandozentrale in Deutschland am Standort Bonn – als Hauptquartier für die Koordination und Planung der Truppen- und Materialtransporte in Europa – mit erheblichen Kostensteigerungen für den deutschen Verteidigungshaushalt! Zum anderen von dem Trio Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD), Verkehrsminister Christian Schmidt (CSU) und Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) mit ihrer unausgegorenen Festlegung gegenüber der EU-Kommission für kostenfreien ÖPNV in lediglich 5 von Ihnen ausgesuchten Modellstädten – derweil in über 70 bundesdeutschen Ballungsräumen die Grenzwerte der Schadstoffbelastung regelmäßig überschritten werden. (Dort bleiben einstweilen arbeitslose Schwarzfahrer, die ihr Strafgeld nicht zahlen können, im Knast…).

Es handelt sich also dabei um einen noch völlig unabgestimmten Vorstoß, einerseits  zur Kostenentlastung der Autoindustrie bei deren verweigerter Diesel-Umrüstung und zur Vermeidung von Diesel-Fahrverboten nunmehr durch Verkehrsverlagerung, ohne die Automobilkonzerne (wohl aber die Kommunen) an den erhöhten Kosten für den ticketfreien  ÖPNV zu beteiligen. Andererseits zur Besänftigung des EU-Umweltkommissars, der Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof wegen der jahrlangen Grenzwertüberschreitung bei den gesundheitsschädigenden Luftschadstoffen verklagen will. Immerhin haben diese zu  bislang 70.000 vorzeitigen Todesfällen in Deutschland und 400.000 europaweit geführt – insofern verwunderlich, dass noch kein Bürger die Regierung wegen Körperverletzung oder fahrlässiger Tötung oder sogar „Meineid“ verklagt hat, da sie laut Amtseid geschworen haben, „Schaden vom Volk abzuwenden“. Doch dieser Eid ist leider juristisch „nicht strafbewehrt“ und damit quasi unverbindlich.

Als bereits in den 1970-er Jahren die Jusos spektakulär den  Nulltarif beim ÖPNV gefordert hatten und 1980 ebenfalls die Grünen diese sinnvolle Idee sogar mit einem Praxisversuch in einem Freiburger Stadtteil forcierten, sowie zuletzt  auch die Piratenpartei dies forderte, wurde das von den großen Parteien als „unbezahlbare Utopie und Wunschdenken“ abgetan. Dabei verlangen längst mehr als hundert Städte und Regionen weltweit, darunter auch in Estland die Hauptstadt Tallin, kein Geld für den öffentlichen Nahverkehr. Würde man in  Deutschland den billigen Diesel-Treibstoff ebenso besteuern wie Benzin, hätte man bereits 8 Mrd. € zur Halbierung der Ticketpreise, so haben Verkehrsexperten errechnet. Das aber sieht der wirkungslose Vorstoß der Minister-Trios nicht vor, sondern man will lieber den Bundeshaushalt und die Kommunen belasten – geschäftsführend….