Wilhelm Neurohr: Der Fall Elmar Brok: Unentbehrliche Berufspolitiker statt Mandat auf Zeit? (Leserbrief)

… an die RZ zur Berichterstattung über das Gerangel über den Listenplatz für den EU-Abgeordneten Elmar Brok (CDU):

Der Fall Elmar Brok: Unentbehrliche Berufspolitiker statt Mandat auf Zeit?

Nur mit völligem Unverständnis kann man als Leser, Bürger und Wähler kurz vor der wichtigen Europawahl das demotivierende innerparteiliche Gerangel in der CDU um einen bevorzugten Listenplatz für den dienstältesten Europa-Abgeordneten Elmar Brok auf der NRW-Landesliste verfolgen. Da haben sich an der Parteibasis die Delegierten auf demokratische Weise erfolgreich um einen überfälligen Generationenwechsel bemüht, derweil der fast 73-jährige Mandatsträger nach fast 40 Jahren Parlamentszugehörigkeit noch weitere 4 Jahre an seinem lukrativen Posten kleben bleiben will, weil er sich für unentbehrlich hält. Darum hat er seine innerparteilichen Seilschaften aus der Parteispitze und seine Parlamentskollegen mobilisiert, die ihm doch noch einen aussichtsreichen Listenplatz bis zum 77. Lebensjahr verschaffen sollen. Nicht ohne Hintergedanken treten CDU-Politiker für die Heraufsetzung des Rentenalters bis 70 Jahre ein – aber sollte danach nicht Platz für Jüngere gemacht werden?

Dass unsere Abgeordneten nur ein „Mandat auf Zeit“ ausüben, ist unseren lebenslangen „Berufspolitikern“ nicht geläufig. Aber so ein Mandat im EU-Parlament ist allzu verlockend, weil äußerst lukrativ: Die Abgeordneten erhalten nicht nur ein steuerpflichtiges „Gehalt“ – so heißen die Diäten in Straßburg – von über 8.850 Euro zuzüglich 4.200 Euro Aufwandsentschädigung plus 152 Euro Tagegeld für jede Übernachtung, sondern obendrein für jede Teilnahme an Beratungen noch 304 Euro Tagegeld, automatisch auch ohne Eintragung in die Anwesenheitsliste. Alles zusammen summiert sich auf insgesamt fast 18.000 Euro monatlich oder 214.000 Euro im Jahr. Hinzu kommt natürlich die Erstattung aller Reisekosten erster Klasse, bis zu 4.234 Euro pro Jahr. Bei Erkrankung haben sie Anspruch auf Zweidrittel Erstattung ihrer medizinischen Kosten. Derweil gehen die Wähler mit „Gelbwesten“ auf die Straße, weil die arbeitenden Menschen ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten können. Das sollte die Volksvertreter auch im EU-Parlament nachdenklich machen.

EU-Abgeordneten wie Elmar Brok steht bei Nichtwiederwahl zwei Jahre lang nach Ausscheiden aus dem Parlament eine Übergangsvergütung von insgesamt 354.000 Euro zu, nämlich in Höhe eines Monatsgehaltes pro Jahr seiner 40-jährigen Amtszeit, also 40 x 8.850 €. Schon nach nur einer Wahlperiode erwirbt er einen Altersversorgungsanspruch in Höhe von 1405 € monatlich (bei seinen 10 Wahlperioden also ein Vielfaches) ab dem 63. Lebensjahr, derweil der deutsche Durchschnittsrentner nach 45 Jahren auf nur 1175 Euro ab dem 67. Lebensjahr kommt. Die Altersversorgung der EU-Abgeordneten entspricht für jedes volle Jahr der Ausübung des Mandats 3,5 % der Dienstbezüge, insgesamt jedoch nicht mehr als 70 %, für Elmar Brok also rund 84.000 € Rente im Jahr oder 7.000 € im Monat.

Eine solch luxuriöse Versorgung gibt es nicht einmal für die Abgeordneten in unserem Bundes- und Landesparlament. Da es für die Europaabgeordneten keine Direktwahlkreise gibt, sondern nur Listenwahl, entstehen für sie auch kaum Kosten für Wahlkreisarbeit. Trotzdem erhalten sie für jeden Mitarbeiter bis zu 21.209 Euro monatlich, so dass ein EU-Abgeordneter aus Rumänien als Spitzenreiter 19 Mitarbeiter eingestellt hat. Dass mehr als ein Drittel der Europa-Abgeordneten noch bezahlten Berater- und Nebentätigkeiten auch für Lobbyorganisationen nachgehen, mit bis zu 100.000 Euro Nebenverdienst im Jahr, ist bei „Transparency international“ nachzulesen.

Auch Elmar Brok, der nach einem abgebrochenen Studium alsbald in die Politik ging, war lange Zeit als Lobbyist für seinen Arbeitgeber, den Bertelsmann-Konzern tätig, so dass der Verfassungsrechtler  Herbert von Arnim die Tätigkeit von Elmar Brok als „legale Korruption“ bezeichnete. Umso unverständlicher, dass sich seine Parteifreunde für ihn erneut ins Zeug legen, um die politikverdrossenen Wähler an die Wahlurne zu bekommen, nachdem die letzte Europawahl klägliche 40% Wahlbeteiligung erbrachte.

Hoffentlich befördern die unsäglichen Debatten in der CDU nicht den weiteren politischen Rechtsruck. Denn ausgerechnet die europafeindlichen Rechtspopulisten von der AfD wollen laut ihrem Programm die Begrenzung der Mandatszeit für Abgeordnete auf zwei Wahlperioden begrenzen – und am liebsten das Europaparlament völlig abschaffen und damit den Rest an Demokratie in der Exekutiv-lastigen EU gleich ganz beenden?

Die Europa-Parlamentarier sollten sich deshalb dringend Gedanken machen, wie sie selber zu einer demokratischen Begeisterung für Europa in der Wählerschaft beitragen können, beginnend mit gebotener Bescheidenheit bei den eigenen Privilegien als Volksvertreter.

Wilhelm Neurohr

 

Wilhelm Neurohr: „Die abstruse Auffassung von sozialer Gerechtigkeit“

Kommentar zur aktuellen politischen Debatte pro und kontra Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger:

Bei der politischen Debatte Pro und Contra Aufhebung der umstrittenen Hartz-IV-Sanktionen bringen die hartnäckigen Sanktionsbefürworter (auch aus Reihen der Gewerkschaftsführung und Sozialdemokraten) haarsträubende Begründungen vor: Die Steuerzahler als Finanzierer der Sozialleistungen hätten „aus Gerechtigkeitsgründen“ ein Anrecht darauf, dass Arbeitslose sich den erzieherischen Sanktionsregeln gefälligst unterwerfen. (Wohlgemerkt: Wir reden hierbei über Maßregelungen für mündige Menschen im Erwachsenenalter mittels Kürzungen ihres menschenrechtlich zustehenden Existenzminimums bei Regelverletzungen, die wir uns für sie als unerbittlichen Anpassungszwang ausgedacht haben).

Als Steuerzahler finanzieren die Sanktionsbefürworter aber nicht nur die knapp bemessene Sozialhilfe für Bedürftige, sondern auch die üppigen Diäten und Gehälter für Berufspolitiker und die überdurchschnittlichen Pensionszahlungen für Beamte sowie die Gehälter der obersten kirchlichen Würdenträger, (auch als Nicht-Kirchenmitglieder). Und sie finanzieren vor allem die fragwürdigen Subventionen für Unternehmen und deren großzügigen Steuernachlässe sowie die Steuergeschenke für die Superreichen (durch staatlichen Verzicht auf angemessene Vermögens- und Erbschaftssteuer und unzureichende Kontrolle der Steuerflüchtigen).

Welche Forderungen „aus Gerechtigkeitsgründen“ und zur Kontrolle ihrer Steuergelder müssten also die Sanktionsbefürworter deshalb in erster Linie für diese teuren Leistungsempfänger erheben statt für die Sozialhilfeempfänger? Zumindest müssten sie konsequenterweise auch Sanktionen verlangen etwa für Abgeordnete, die ihre Plenarsitzungen häufig schwänzen, lukrativen Nebentätigkeiten nachgehen oder ihrer Berichts- und Transparenzpflicht gegenüber den Wählern nicht nachkommen. (Wehe dagegen dem Sozialhilfe-Empfänger, der heimliche minimale Nebeneinkünfte nicht korrekt angibt zwecks Abzugs). Und von den Beamten müssten sie neben zeitnaher Bearbeitung von Bürgeranträgen angemessene Rentenbeitragszahlungen für deren späteren überdurchschnittlichen Spitzenpensionen einfordern, von denen Arbeitnehmer nur träumen können.

Die in Zukunft steigenden Pensionslasten der Beamten einschließlich Beihilfen kosten den Steuerzahler insgesamt 650 Mrd. € (Quelle: Handelsblatt+Wirtschaftswoche). Und 25 Mrd. € gibt der Bund jährlich für Subventionen aus, das sind 300 €, die jeder Bürger dafür im Jahr zahlt.(Quelle. Bundesrechnungshof und Steuerzahlerbund). Dagegen belaufen sich laut amtlichen Quellen die Kosten für Hartz IV auf jährlich ca. 21 Mrd. € zuzüglich 6,5 Mrd. € Unterkunftskosten, bzw. die Sozialhilfekosten insgesamt auf 25 Mrd. € Bruttokosten im Jahr.

Welche Kosten bereiten den Sanktionsbefürwortern nach ihrem Gerechtigkeitsverständnis die meisten Bauchschmerzen? Ihre Sanktionsforderungen beschränken sich auf Zuwendungskürzung und Bestrafung nur für diejenigen am untersten Existenzminium und Rand der Gesellschaft. Indem staatliche Politik unter dem Beifall der Medien dem stattgibt und damit von den eigentlichen sozialen und steuerlichen Ungerechtigkeiten in diesem einstigen „Sozialstaat“ geschickt ablenkt, haben deren neoliberalen Steigbügelhalter ihr vorläufiges Ziel erreicht. Damit haben sie aber auch Wasser auf die Mühlen der AfD-Wähler gegossen. Ob sie das nicht bemerken oder billigend im Kauf nehmen unter Vergießen von Krokodils-Tränen?

Wilhelm Neurohr

 

Wilhelm Neurohr: Verteilungsgerechtigkeit: „Irgendwann gehört alles einem Einzigen“

Noch nie zuvor hat sich weltweit und in Deutschland die Reichtumskonzentration auf einige Wenige einerseits und die gleichzeitige Verarmung eines Großteils der Bevölkerung andererseits so krass entwickelt wie seit dem neoliberalen Siegeszug der Finanzoligarchie, die nachweislich mit den politischen Eliten personell eng verflochten ist.

20 Jahre lang haben lobbyhörige Regierungen in Deutschland unter verschiedenen Parteikonstellationen mit ihrer Politik die Umverteilungen von unten nach oben nicht nur ungebremst geschehen lassen und geduldet, sondern politisch ermöglicht und forciert: 13 Jahre unter Kanzlerin Merkel, davon 9 Jahre GroKo mit der SPD und 4 Jahre schwarz-gelb mit der FDP sowie vorher 8 Jahre rot-grün unter Schröder mit der SPD und den Grünen. Daran wird auch die auf der Kippe stehende GrOKO nach 100 Tagen Amtszeit nichts ändern.

„Nützliche Idioten“

Nicht zuletzt die EU hat vor und nach der Finanzkrise die ungerechte Umverteilungspolitik wesentlich begünstigt und beschleunigt. In einem Kommentar im Feuilleton der konservativen Frankfurter Allgemeinen Zeitung heißt es dazu unter der Überschrift „Der Krieg der Banken gegen das Volk“ bereits in 2011:

„Wenn die Troika aus EZB, Europäischer Union und IWF verkündet, dass die Bevölkerung aufkommen müsse für das, was die Reichen sich nehmen, stehlen, am Finanzamt vorbeischleusen, so ist das keine politisch neutrale Haltung. Hier wird unfair erlangter Reichtum privilegiert. Ein demokratisches Fiskalregime würde progressive Steuern auf Einkommen und Grundbesitz erheben und Steuerflucht ahnden“.

Deshalb spricht der Kommentator Michael Hudson mit Blick auf die dafür verantwortlichen Politiker zutreffend von „nützlichen Idioten“. Und das ist das Ergebnis des eklatanten Politikversagens in punkto „sozialer Gerechtigkeit“:

  • 45 Superreiche in Deutschland besitzen so viel wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung (Quelle: isw)
  • Dem reichsten 1% in Deutschland gehört 40,5% des Vermögens (Quelle: Statistikportal Sozial Statista)
  • Die reichsten 10% in Deutschland besitzen 52% des Nettovermögens (Neue Passauer Presse 2013/ Zahlen des Bundessozialministeriums)
  • Den reichsten 5% in Deutschland gehört die Hälfte aller Wohnungen und Häuser (Quelle: WDR)

Weltweit ist die Reichtums-Verteilung oder Verteilungs-Ungerechtigkeit ebenso erschütternd:

  • Die 62 reichsten Menschen der Welt besitzen so viel wie die 3,6 Mrd. ärmsten (Quelle: Deutschlandfunk Kultur)
  • 8 Milliardäre besitzen mehr als die ärmere Bevölkerungshälfte (Quelle: Oxfam)
  • 1% der Weltbevölkerung hat mehr als alle anderen 99% (Quelle: Zeit online)
  • Einer hat soviel wie 58 Millionen andere zusammen (Quelle: Deutschlandfunk Kultur)
  • Die reichsten 1% besitzen mehr als 50% des globalen Vermögens (Quelle: Telepolis)
  • Die 85 reichsten Menschen in der Welt besitzen so viel Vermögen wie die andere Hälfte der Weltbevölkerung (Quelle: Oxfam)

Wenn nicht politisch gegengesteuert wird, dann könnte in wenigen Jahren die Schlagzeile absehbar wie folgt lauten:

  • „Jetzt gehört einem Einzigen ganz Deutschland und alles in der Welt“

Wie ist das mit dem Regierungsziel eines sozialeren Deutschland und Europa oder mit der versprochenen „Bekämpfung von Korruption und Fluchtursachen in den ärmeren Ländern“ vereinbar?

Solange führende Politiker nach ihrer Amtszeit in die Finanzwirtschaft wechseln oder umgekehrt Investment-Banker von Goldman-Sachs als Staatssekretäre beim deutschen SPD-Finanzminister Olaf Scholz anheuern, solange ausgeschiedene EU-Kommissionspräsidenten wie Emmanuel Barroso selber als Lobbyisten bei Goldman-Sachs einsteigen, und solange eine deutsche Bundeskanzlerin ihre auf Staatskosten ausgetragene Geburtstagsfeier für den damaligen Chef der kriminellen Deutschen Bank, Josef Ackermann, als angemessen in einer „marktkonformen Demokratie“ verteidigt – solange wird sich an diesen sozialen Ungerechtigkeiten nichts ändern…

Wilhelm Neurohr

Wilhelm Neurohr: Stellungnahme zum Landesentwicklungsplan NRW im Rahmen der Bürgerbeteiligung

Das Landeskabinett NRW hat in seiner Sitzung am 17.4.2018 einschneidende Änderungen am Landesentwicklungsplans (LEP) beschlossen und bittet nun die Öffentlichkeit und die Bürgerinnen und Bürger bis zum 15. Juli um Stellungnahmen und Vorschläge. Im Vorgriff auf die Ergebnisse der Parlaments- und Bürgerbeteiligung hat der zuständige FDP-Wirtschaftsminister Pinkwart bereits per vorgezogenem Erlass den umstrittenen LEP in Kraft gesetzt, damit bauwillige Investoren mit dem Landschaftsverbrauch bereits beginnen können. Die bisherige Begrenzung des Freiflächenverbrauchs auf max. 5 ha pro Tag – tatsächlich wurde bis zu dem sechsfachen an Fläche, nämlich bis 30 ha täglich bebaut – wird zugunsten „marktwirtschaftlicher Lösungen“ komplett aufgehoben und die Landschaft für die ungebremste Zersiedelung freigegeben. Dabei benötigt das dramatische Aussterben der Tier- und Pflanzenarten sowie der Klimawandel des stärkeren Schutzes der Landschaftsräume.

Mit Ausweitung der Splittersiedlungen im ländlichen Raum für teuren Eigenheimbau mit infrastrukturellen Folgekosten und zusätzlichen Pendlerströmen kann jedoch die Wohnungsnot in den Städten und Ballungsräumen für bedürftige Bevölkerungsschichten nicht behoben werden. Hier wären Nachverdichtung und Umnutzungen mit sozialem Wohnungsbau in urbanen Stadtteilen stattdessen vonnöten. Doch die Regierungskoalition aus CDU und FDP will ihre Klientel im ländlichen Raum bedienen und verzichtet dafür auf ihre landesplanerische Steuerung, entgegen ihren Verpflichtungen nach dem Bundesraumordnungsgesetz. Ein skandalöser Vorgang!

Hierzu lesen Sie meine nachfolgende kritische Stellungnahme als Bürger im Klartext zu den inakzeptablen und folgenschweren Änderungen des Landesentwicklungsplanes:

An das

Ministerium für Wirtschaft, Innovation,

Digitalisierung und Energie

des Landes Nordrhein-Westfalen

– Referat VIII B

Berger Allee 25
D-40213 Düsseldorf

poststelle@mwide.nrw.de

Sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit nehme ich im Rahmen der Bürgerbeteiligung fristgerecht zum vorliegenden Änderungsentwurf des LEP Stellung und bitte um Berücksichtigung meiner Anregungen und Bedenken.

Meine wesentlichen Anregungen und Bedenken in der Zusammenfassung:

LEP-Erlass:

  • Es ist außerordentlich zu bedauern und zu kritisieren, dass der LEP-Erlass noch vor Abschluss der Bürgerbeteiligung und des parlamentarischen Änderungsverfahrens wesentliche Inhalte des LEP-Änderungsentwurfs mit sofortiger Wirkung vorwegnimmt, ausweitet und vorab bereits in Kraft setzt. Zudem gehen die Erläuterungen und Interpretationen des Erlasses über die LEP-Inhalte hinaus und schaffen eigene Rechtsvoraussetzungen, bei denen weder die Bürger noch das Landesparlament inhaltlich einbezogen wurden.
  • Damit wird aus Bürgersicht deutlich, dass die Parlamentsbeteiligung und die Bürgerbeteiligung nicht wirklich ernst genommen werden, sondern im Vorgriff darauf vollendete Tatsachen „handlungsorientiert“ geschaffen werden sollen, insbesondere im Hinblick auf den nunmehr ungebremsten baulichen Flächenverbrauch, kaschiert als „Entfesselungspaket II“.
  • Besonders bedenklich erscheint die laut LEP-Erlass eröffnete Möglichkeit, kleinere Ortsteile bewusst über den Eigenbedarf hinaus zu entwickeln, trotz der daran geknüpften Bedingungen und Kriterien. Auch die ausnahmsweise zugelassene Ausweisung von Gewerbe- und Industriegebieten isoliert im landschaftlichen Außenbereich erscheint völlig inakzeptabel. Dies würde dazu verführen, bei jedweden planerischen Konflikten und temporären Hindernisse unter dem Zeitdruck von Investoren und Ansiedlungswilligen in die freie Landschaft auszuweichen.

Begründung zur LEP-Änderung:

  • Die LEP-Änderungen führen laut Begründung erklärtermaßen dazu, dass eine intensivere planerische Inanspruchnahme des Freiraumes erfolgt. Damit spitzt sich als erklärtes Planungsziel der jetzt schon ökologisch unverträgliche Freiflächenverbrauch mit den schwerwiegenden Folgen weiterhin zu. Dies ist weder mit dem Bundesraumordnungsgesetz noch mit dem Baugesetzbuch und anderen Vorgaben vereinbar.
  • Der LEP verzichtet hierbei auf die Darstellung der räumlich-konkreten Auswirkungen auf die Umweltschutzgüter etwa durch Flächeninanspruchnahmen und verschiebt die konkreten Umweltprüfungen auf die nachfolgenden Planungsebenen. Damit stiehlt sich die Landesplanung aus ihrer Verantwortung für die von ihr planerisch ausgelösten oder zugelassenen Fehlentwicklungen. Dies ist völlig inakzeptabel.
  • Die erklärte Absicht, durch Flächenausdehnung von Ortsteilen unter 2000 Einwohnern den ländlichen Regionen und Ballungsräumen gleichwertige Entwicklungschancen zu gewährleisten, erscheint äußerst fragwürdig. Weder kann der weitere quantitative Flächenverbrauch in der freien Landschaft mit dem Entwicklungsgedanken gleichgesetzt werden noch lässt sich die zuspitzende Wohnungsknappheit im Mietwohnungsbau der Städte für einkommensschwächere Bevölkerungsschichten durch kostspielige Erschließung von Eigenheimsiedlungen im ländlichen Raum für einkommensstärkere Schichten lösen oder kompensieren.
  • Das angeführte Ziel der „erweiterten Entwicklungsspielräume und Planungssicherheit für unsere Wirtschaft“ war schon in allen vorherigen Landesentwicklungsplänen die Maxime. Dass diesem Anliegen nunmehr die landschaftlichen Freiräume leichter geopfert werden sollen, erscheint befremdend und nicht sachangemessen.

Flächenentwicklung:

  • Der Verzicht des LEP auf die bisherige Begrenzung des ausufernden Freiflächenverbrauchs und der Flächenversiegelung für Siedlungs-, Verkehrs- und Gewerbezwecke bedeutet einen inakzeptablen Rückschritt und einen Paradigmenwechsel im jahrzehntelangen Konsens einer ökologisch nachhaltig orientierten Siedlungs-und Umweltpolitik sowie Raumentwicklung.
  • Deshalb sollten die bisherigen Regelungen des noch gültigen LEP zur Begrenzung des Flächenverbrauchs weitgehend aufrecht erhalten und sogar verschärft werden. Die Änderungen dienen weniger der „ausgewogenen Verteilung von Wohn, Gewerbe- und Industrieflächen sowie Freizeitzentren zwischen städtischen und ländlichen Räumen“, als vielmehr den großzügigen Spielräumen für private Investoren für problemlosere bauliche Erschließungen landschaftlicher Freiräume.
  • Der unverzichtbar notwendige Landschafts- und Freiflächenschutz in dem ohnehin dichtbesiedelten NRW war Ergebnis eines rationalen ökologischen Bewusstseinsprozesses seit den 1970-er Jahren, nicht zuletzt in Anbetracht der dramatischen Gefährdung der Tier- und Pflanzenarten und der sich verschärfenden Klimaverhältnisse und ihrer Folgen. Deshalb ist eine mit der LEP-Änderung geplante Lockerung des dringender denn je notwendigen Freiflächen- und Landschaftsschutzes durch großzügig erweiterte Spielräume für erleichterte bauliche Entwicklungen im ländlichen Raum äußerst bedenklich. Die Behauptung im LEP-Erlass, dass damit das Gleichgewicht zwischen Ökonomie und Ökologie angeblich erhalten bleibe, indem Siedlungserweiterungen in den umgebenden Freiraum erleichtert werden, ist nicht nachvollziehbar.
  • In NRW beklagen die Bauern und ihre Landwirtschaftskammer den Verlust von täglich 74 ha Weide- und Ackerland. Seit 1990 sind durch Siedlungswachstum und Verkehrsflächen, trotz Bevölkerungsrückgang, fast 1 Mio. ha landwirtschaftliche Flächen in NRW verschwunden. In NRW werden täglich 10 bis 30 ha Flächen neu bebaut. (Insofern war das bisherige sinnvolle Ziel des LEP zur Begrenzung auf 5 ha wirkungslos, weil die Landesplanung die Einhaltung dieses Ziels als angebliches „Hemmnis für die Baulandentwicklung“ nicht ernsthaft verfolgt und kontrolliert hat!) Auch von daher verbietet sich ein ungebremstes Siedlungsflächenwachstum, dessen Fortschreibung in die Zukunft in ein völlig zersiedeltes Landesgebiet münden würde. Die Behauptung „andere Planungsziele im LEP gewährleisten einen sparsamen Umgang mit Flächen“, ist eine bloße Schutzbehauptung im geänderten LEP, die konkret nicht nachvollziehbar ist.
  • Unter dem Vorwand der fehlenden Wohnungen (vor allem in den Städten und im jahrzehntelang vernachlässigten sozialen Wohnungsbau) sollen nunmehr mit der Behauptung eines „Wachstumsrückstandes“ ausgerechnet die nicht von Wohnungsnot betroffenen ländlichen Räume mit ihren Ortsteilen unter 2000 Einwohnern der Zersiedelung preisgegeben werden mit infrastrukturellen Folgekosten, anstatt die Siedungsschwerpunkte in den von Wohnungsnot betroffenen großen Städten (Innenentwicklung und Umnutzungen) für die einkommensschwächeren Bevölkerungsschichten zu stärken und deren Naherholungsgebiete im angrenzenden ländlichen Raum zu schonen. Insofern ist zu begrüßen, dass für die Weiterentwicklung von kleinen Ortsteilen zu einem allgemeinen Siedlungsbereich ein nachvollziehbares gesamtgemeindliches Konzept zur angestrebten Siedlungsentwicklung zwingend erforderlich ist.
  • In den meisten Fällen hat nicht die angeblich „ortsansässige Bevölkerung“ von der Ausweitung der so genannten Ortsteile oder Splittersiedlungen unter 2000 Einwohnern profitiert, sondern es fand überwiegend der massive externe Zuzug einkommensstarker Bevölkerungsschichten aus den Städten und Ballungsräumen ins ländliche Umland statt (Krasses Beispiel ist die Stadt Haltern am See für eine solche verfehlte Siedlungspolitik, mit daraufhin explodierenden Grundstücks- und Mietpreisen und zunehmenden Pendlerströmen). Der Erweiterungsbedarf für die ortsansässige Bevölkerung in den kleinen Ortsteilen ist in Wirklichkeit nur sehr gering und untergeordnet; er rechtfertigt nicht die allerorts ausufernden Siedlungserweiterungen an den Ortsrändern. Dort ist auch die Schaffung eines vielfältigen Infrastrukturangebotes kaum oder nur mit großem Kostenaufwand möglich, so dass der Schwerpunkt auf die Erhaltung vorhandener Infrastruktur gelegt werden sollte.
  • Insofern sind die auch zulässigen „Angebotsplanungen“ laut LEP-Erlass äußerst fragwürdig, ebenso die als Alibi eingeforderten „Belege“ für Bauwünsche und Erweiterungsbedarfe der Ortsansässigen. In den außerdem vorzulegenden Bevölkerungsprognosen wird i. d. R. nicht erkennbar, inwieweit sich durch ländliche „Angebotsplanungen“ an Baugebieten im städtischen Umland der Bevölkerungszuwachs überwiegend durch Abwerbung und Fortzug aus sich entleerenden Städten etwa im Ruhrgebiet ergibt, wo es lange Zeit deshalb sogar Wohnungsleerstände gab (Gelsenkirchen, Herten u.a.) bis zum Flüchtlingszuzug.
  • So hat z. B. die ländliche Stadt Haltern am See durch expansive Angebotsplanung ca. 8.000 Einwohner aus den schrumpfenden Städten des Ruhrgebietes in wenigen Jahrzehnten abgezogen und die dortige Infrastruktur gefährdet sowie eigene Infrastruktur neu aufgebaut. Seit 1950 hat sich dadurch die Einwohnerzahl Halterns sogar verdreifacht. Eine aktuell von der Stadt massiv angestrebte weitere Siedlungsausdehnung würde das bevorzugte Naherholungsgebiet für das Ruhrgebiet im Raum Haltern innerhalb des flächendeckenden Naturparks Hohe Mark beeinträchtigen und konnte bisher nur durch restriktive Regional- und Landesplanung etwas gebremst werden.
  • Deshalb darf die Landesplanung ihre steuernde Funktion nicht an die Umlandgemeinden delegieren, wenn sie solche räumliche Fehlentwicklungen mitsamt Konkurrenzkämpfen zwischen benachbarten Gemeinde um Flächen und Einwohner vermeiden will. „Städtebauliche Entwicklung“ sollte nicht nur quantitativ mit Flächenerweiterung und Siedlungswachstum gleichgesetzt werden, sondern mit qualitativer Entwicklung. Für den Wohnungsbau und die Gewerbebedarfe gibt es auch intelligentere und verträglichere Lösungen mitsamt Nachverdichtungen im bestehenden Stadtgefüge. Insofern ist die unverbindliche landeplanerische Empfehlung im LEP für gesamtgemeindliche Konzepte für die Ortsteilentwicklung mitsamt Analyse der Infrastruktur zu einer verpflichtenden Planungsaufgabe der Gemeinden aufzuwerten als Voraussetzung für Genehmigungen.
  • Die stetige Siedungserweiterung an den Ortsrändern in Jahresringen ist völlig kontraproduktiv, irrational und ganz offensichtlich ideologisch und parteipolitisch motiviert, um bestimmte Interessengruppen im ländlichen Raum zu bedienen. Ackerland und Grünland in Bauland zu verwandeln, mag einigen profitierenden Landwirten und involvierten Immobilienmaklern oder Investoren zugutekommen. Es existiert aber weniger ein Mangel an aufwändig zu erschließenden Eigenheim-Baugebieten im Außenbereich für gehobene Einkommensschichten, sondern vielmehr ein Mangel an bezahlbaren Mietwohnungen in der städtischen Urbanität für einkommensschwächere Bevölkerungsgruppen, auch um lange und kostspielige Pendelwege mit erhöhtem Verkehrsaufkommen zu vermeiden.
  • Der Grundsatz gleichwertiger Lebensverhältnisse in Stadt und Land ist nicht von der Besiedelung der freien Landschaft oder der Ausdehnung dortiger Siedlungsansätze abhängig, sondern durch andere sinnvolle Maßnahmen zu erreichen (z. B. Landarzt-Praxen, ÖPNV-Verbindung, Dorfladen und Dorfschule, Sparkassen-Filiale etc.).
  • Die großzügige Freigabe der ländlichen Landschaftsräume für weitere Kleinst- und Splittersiedlungen, die angeblich durch „organische Siedlungsentwicklungen“ im Freiraum verhindert werden sollen, und für neue Siedlungsentwicklungen mit teuren infrastrukturellen Folgekosten geht an der eigentlichen Problemlage und den bedürftigen Zielgruppen vorbei und wirkt kontraproduktiv. Die erweiterten Spielräume für die dann unkontrollierten Gemeinden lassen absehbare massive Fehlentwicklungen in kürzester Zeit befürchten. Landesplanung und Raumordnung geben dadurch ihre gesetzlich gebotenen planerischen Steuerungsmöglichkeiten im Interesse einer ausgewogenen Raumentwicklung insgesamt aus der Hand.
  • So sehr es grundsätzlich angebracht ist, die Planungshoheit der Kommunen zu stärken, so können die politischen Kräfteverhältnisse und Interessengruppen und -Verflechtungen vor Ort jedoch erhebliche planerische Fehlentwicklungen auslösen, wenn die Regional- und Landesplanung auf ihre bisherige steuernde und kontrollierende Funktion, losgelöst von örtlichen Bindungen, verzichtet, entgegen den Vorgaben des ROG (Hierzu erscheint die anderslautende Rechtsauffassung der Landesregierung NRW nicht haltbar).
  • Für die Kommunen wäre es eher hilfreich, wenn einflussstarken privaten Investoren Einhalt geboten würde. Dies hat sich erfahrungsgemäß in der Vergangenheit gerade bei der Siedlungsflächenexpansion in den Freiraum immer wieder als planerisches Konfliktfeld erwiesen, so dass die landesplanerische Einflussnahme weiterhin unverzichtbar ist, um Fehlentwicklungen zu vermeiden. Ansonsten werden Planungskonflikte nicht durch die Raumordnung ausgeglichen, sonder vielfältig erzeugt und verstärkt.
  • Auch die ausdrücklich zugelassene Weiterentwicklung und Erweiterung vorhandener und Erschließung neuer Standorte von überwiegend durch bauliche Anlagen geprägte Erholungs-, Sport- und Freizeit- sowie Tourismuseinrichtungen (Freizeitparks) sowie Ferien- und Wochenendhausgebiete verfestigt und fördert zumeist landschafts- und umweltschädigende Fehlentwicklungen in unverträglicher Weise an oftmals fragwürdigen Standorten und sollte deshalb eingegrenzt und teilweise zurückgebaut werden. Der bloße Hinweis auf die Umwelt-, sozial-und zentrenverträgliche Planung sowie auf vorrangige Freiraumfunktionen und auf das Orts- und Landschaftsbild war schon bislang relativ wirkungslos. Überdies sollte industrielle Tierhaltung in großem Maßstab beendet werden und solange weiterhin in Industriegebieten statt im Außenbereich stattfinden.

Windkraft:

  • Der auf 1.500 m erweiterte Abstand von Windkraftanlagen zu Wohngebieten ist ebenso nachdrücklich zu begrüßen wie die Verhinderung von Windkraftanlagen in Waldgebieten und die Freihaltung von anderen sensiblen Landschaftbereichen.
  • Begrüßenswert ist deshalb auch die bisher fehlende stärkere planerische Steuerungs- und Einflussmöglichkeit der Kommunen bei der Standortwahl von Windparks (Vorranggebiete sowie frei zu haltenden Tabubereiche), um dem bisherigen ungeplanten Wildwuchs und der Standortfestlegung durch Privatinvestoren entgegenzuwirken.
  • Bedauert wird die im LEP weiterhin vernachlässigte negative Auswirkung der großen Windkraftanlagen auf das Landschaftsbild und die Erholungsfunktion generell, die einer ausgewogenen Konfliktlösung bedürfen.

Rohstoffsicherung:

  • Die im LEP angestrebte „Erleichterung des Abbaus von Rohstoffen“ und der allgemeine „Verzicht auf die vorgegebene Konzentration der Abgrabungsbereiche“ sind ein offenkundiges Zugeständnis allein an die Konzerninteressen der Abbauunternehmen. Vielfältige „Planerische Konfliktlagen“ sind bei Rohstoffabbau in der Landschaft fast immer gegeben, so dass die „Ausnahmen“ überwiegend der Regelfall sind und deshalb die Konzentrationsbereiche beibehalten werden sollten. Die Bezeichnungen als Vorrang-, Eignungs- oder Reservegebiete sind nur unklar unterschieden und auch Ausnahmen zugelassen, so dass selbst in Konfliktfällen nahezu allen Abbaubegehren stattgegeben werden kann. (Hier zeigt sich offensichtlich das Ergebnis erfolgreicher Lobbyarbeit mit mangelnder Abwägung zwischen öffentlichen und privaten Belangen).
  • Die nach dem alten Bergrecht geregelten Abbaugenehmigungsverfahren bedürfen stattdessen zeitgemäßer neuer planungsrechtlicher Genehmigungsgrundlagen, die auch eine wirksamere Behörden-und Bürgerbeteiligung und weiter reichende Umweltverträglichkeitsprüfungen ermöglichen.

Flughäfen:

  • Die schon bisher im LEP als landesbedeutsam genannten Flughäfen als landesbedeutsam in ihrer Entwicklung zu sichern, erscheint sinnvoll.

Rechtsgrundlagen und Rechtswirkungen:

  • Mit dem geänderten und gelockerten LEP zugunsten erleichterter Bauflächenentwicklung und Rohstoffausbeutung im landschaftlichen Außenbereich gibt die Raumordnung ihre gesetzlich zugewiesene übergeordnete und überörtliche Funktion als Mittlerin zwischen gemeindlicher Bauleitplanung und privaten Investoren preis. Sie verzichtet auf die überörtlichen Vorgaben der räumlichen Entwicklungslinien auch gegenüber den Gemeinden, wie m ROG eigentlich vorgeschrieben. Hier scheint die Partei-Ideologie des derzeit zuständigen amtierenden Wirtschafts- und Digitalministers (FDP) nach der Devise „privat vor Staat“ in rechtlich unzulässiger Weise den Ausschlag für diese LEP-Änderung gegeben zu haben, entgegen der Aufgabenzuweisung des § 1 ROG.
  • Insofern mangelt es dem geänderten LEP bezüglich der Flächenentwicklung an der notwendigen Verbindlichkeit für die nachfolgenden Abwägungs-und Ermessenentscheidungen der Gemeinden. Das weiterhin als Alibi enthaltene LEP-Ziel der „flächensparenden Siedlungsentwicklung“ wird nicht näher quantifiziert oder kontingentiert, und kann nicht allein mit dem bloßen Hinweis auf Innenentwicklung und Nachverdichtung aufgefangen werden. Die komplette Streichung des bisherigen Punktes 6.1-2 (Leitbild flächensparende Siedlungswicklung) lässt katastrophale Folgen für die räumliche Landesentwicklung befürchten.
  • Demgegenüber wäre es laut ROG eigentlich die prioritäre Aufgabe des Landesentwicklungsplanes, die landschafts- und Erholungsräume vor ökonomisch attraktiven Raumnutzungswünschen zu sichern und die erstmalige Inanspruchnahme von Freiflächen für Siedlungs-und Verkehrszwecke zu verringern. Trotz anderslautender Beteuerungen in der LEP-Änderungsbegründung verstößt die Landeplanung NRW damit gegen den § 2 (2) 6. Satz 3 des ROG. Stattdessen werden die notwendigen Grundätze und Leitvorstellungen einer nachhaltigen Raumentwicklung verlassen, statt diese zu konkretisieren und zu sichern. Der LEP hat verbindliche Vorgaben zu treffen, die eine strikte Bindung auslösen und nicht durch Abwägung der Gemeinden überwindbar sind. Vielmehr besteht für die Kommunen eine Handlungspflicht zur Umsetzung der Ziele der Raumordnung, die mit der LEP-Änderung unterlaufen wird.
  • Stattdessen räumt der LEP bezüglich der Siedlungsflächenentwicklung den Gemeinden ein schrankenloses Recht auf kommunale Selbstverwaltung ein, dass jedoch gem. Art. 78 (2) der Landesverfassung NRW in diesem Zusammenhang eingeschränkt ist, wie durch Urteil des BVerWG bestätigt. Die Festlegung der Nutzungen und Funktionen des Raumes kann also nicht den Gemeinden allein und uneingeschränkt überlassen oder an diese delegiert werden, wie jedoch mit der LEP-Änderung rechtswidrig angestrebt.
  • Außerordentlich bedenklich erscheint darüber hinaus die von der Landesregierung erwogene Eindämmung des Flächenverbrauchs durch Einführung eines Zertifikatehandels (analog zum CO2-Zertifikatehandel) als „marktwirtschaftliche Lösung“. Damit wäre vorprogrammiert, dass nicht mehr raumplanerisch sinnvolle Flächennutzungen und -zuordnungen zum Zuge kämen, sondern zufällige Verteilungslösungen nach Grundstücksverfügbarkeit und Verhandlungsergebnis sowie völlig unterschiedliche Versiegelungsgrade in den beteiligten Gemeinden. Plan und Markt lassen sich nicht vermischen oder vertauschen. Von einem solchen Modell sollte die Landesregierung umgehend Abstand nehmen, da sie sich damit von einer planvollen und ökologisch sinnvollen Raumordnung vollends verabschieden würde.

Wilhelm Neurohr, Dipl.-Ing. für Städtebau und Landesplanung

18.06.2018

Wilhelm Neurohr: Der politisch denkwürdige Juni 2018

Welch ein aufwühlender politischer Monat, so ist zum Sommeranfang am 21. Juni 2018 festzustellen, zeitgleich mit der Bilanz der deutschen Koalitionsregierung, die genau 100 Tage im Amt ist. Selten war das Politikversagen weltweit so dramatisch wie in diesem denkwürdigen Monat, manches kaum wahrgenommen im Schatten der kommerziellen Fußball-WM. Dabei ist der Monat Juni noch nicht zu Ende und wird noch mancherlei mehr an politisch Skandalösem darbieten in diesem politisch heißen Sommer:

Asylpolitik

Während die Diskussionen um die Zurückweisung von Asylsuchenden und Kriegsflüchtlingen in Deutschland zu einer anhaltenden Regierungskrise führen, geht es im Juni auf dem europäischen Sondergipfel zur Migrationspolitik – 100 Tage vor dem interkulturellen „Tag des Flüchtlings“ – vorrangig um die beschämende Frage, ob inhumane Flüchtlingspolitik national oder europäisch organisiert wird, entgegen dem internationalen Recht und den allgemeinen Menschenrechten.“Diese ganze Debatte ist auf eine Weise verroht, die ich erschreckend finde“, kommentiert der grüne Europa-Abgeordnete Sven Giegold. Zuvor hatten Italien und Malta 629 Flüchtlinge an Bord des Rettungsschiffes „Aquarius“, darunter schwangere Frauen und Kinder, zurückgewiesen, bis sich Spanien erbarmte, sie 1500 km weiter, in Valencia, an Land zu lassen.

Flüchtlingsdrama

Zur gleichen Zeit verkündet der UN-Flüchtlingshochkommissar den traurigen Rekord, wonach durch Krisen und Konflikte in der Welt noch nie so viele Menschen auf der Flucht gewesen sind: Über 16 Millionen Menschen insgesamt, fast 45.000 täglich, davon die Hälfte Kinder. Die größte Bürde der Flüchtlingsaufnahme trägt nicht Europa oder Deutschland – das nur auf dem 59. Platz aller 200 betrachteten Staaten liegt – sondern Libanon und die Türkei. 45% der Flüchtlinge suchen Schutz in Afrika und im mittleren Osten, 31% in Europa (davon 17% in der Türkei) sowie 21 % in Asien. Mit 3 Mio. am geringsten ist im weltweiten Vergleich mit Abstand die Quote der Flüchtlingsaufnahme in den USA, die bis zum Juni sogar Kinder von Migranten von ihren Familien trennte. Im Juni haben die USA unter Trump den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen verlassen, der sich um die Verteidigung die Einhaltung der Menschenrechte bemüht. Laut Trump ist der UN-Menschenrechtsrat „die Jauchegrube der politischen Voreingenommenheit“.

Hungersnöte

Auch die bisherigen Erfolge der Welthungerhilfe bei der Halbierung der Zahl der Hungernden erleidet wieder Rückschläge durch die aktuellen Krise und Kriege und den Klimawandel: Laut „Globalisierungsreport“, den die Bertelsmann-Stiftung im Juni vorlegte, profitiert die Bevölkerung in den Industrieländern als Wohlstandsgewinner am meisten von der Globalisierung. Hingegen ist die Zahl der Hungernden weltweit auf 815 Millionen Menschen wieder angestiegen. Die Bekämpfung der Ursachen für Hunger und Flucht geht kaum voran, auch nicht die Abmilderung des voranschreitenden Klimawandels.

Klimawandel

Vor der internationalen Klimakonferenz in Berlin Mitte Juni muss die deutsche Umweltministerin ebenso wie die Kanzlerin kleinlaut eingestehen: Das Land verpasst  deutlich seine Klimaschutzziele. Statt, wie angekündigt, den CO-2-Ausstoß  bis 2020 um 40% zu senken, erreicht das Land nur eine Reduktion um 32% gegenüber 1990. Während die Klimaziele in weiter Ferne geraten, wurden im Juni auch viele Regionen in Deutschland im Juni von schweren Unwettern heimgesucht. Außerdem verurteilte der EU-Gerichtshof am 21. Juni Deutschland wegen Verletzung des EU-Rechtes angesichts der zu hohen Nitrat-Belastung des Grundwassers, weil die Bundesregierung zu wenig dagegen unternommen hatte.

Rüstungsspirale

Weitaus mehr Ehrgeiz entwickelt die deutsche Regierung in der Rüstungspolitik: Deutschland ist wieder als viertgrößter Waffenexporteur im Wert von 6 bis 7 Mrd. Euro bei der Rüstung ganz vorn, vor allem mit fragwürdigen Importen in Länder außerhalb der Nato und EU, so vermeldeten die Medien im Juni. Zugleich plant die Waffenschmiede Rheinmetall aufgrund einer Gesetzeslücke den Bau einer Panzerfabrik in der Türkei, um von dort aus Exportbeschränkungen umgehen zu können und damit ein Milliardengeschäft zu machen mit Rüstungsverkäufen auch in Spannungs- und Krisengebiete.

Bis 2020 will die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen 25 Mrd. € mehr für die Bundeswehr. Der Wehretat ist schon jetzt der zweitgrößte im Bundeshaushalt mit 41,5 Mrd. im kommenden Jahr und angestrebter Steigerung auf 60 Mrd. € jährlich. Und eine Milliarde Euro werden nach dem Willen der Regierungskoalition laut Bundestagsbeschluss vom Juni zusätzlich mobilisiert für die Anschaffung von umstrittenen Kampfdrohnen aus Israel für die deutsche Bundeswehr im Rahmen eines gemeinsamen europäischen Rüstungsprojektes „Eurodrohne“. In einer gemeinsamen Erklärung von CDU- und SPD-Politikern unternahmen diese zudem einen Vorstoß, die parlamentarischen Mitbestimmungsrechte des Bundestags bei europäischen militärischen Auslandseinsätzen künftig zu beschneiden.

Friedensforscher bedauerten im Juni, dass keine der Atommächte weltweit auf nukleare Abrüstung hinarbeite, sondern die Modernisierung ihrer Atomwaffen in Angriff nehmen. Die neun Atomstaaten besitzen zusammen ca. 15.000 Atomwaffen. Sollte der nordkoreanische Diktator tatsächlich der erste und einzige sein, der in seinem Deal mit Donald Trump die nukleare Abrüstung schrittweise beginnt?

Armutsbekämpfung

Derweil fehlt angeblich das Geld für die Armutsbekämpfung auch im reichsten EU-Land Deutschland, denn im Juni vermeldet der Dachverband der „Tafeln“ zum 25-jährigen Jubiläum, dass 1,5 Mio. bedürftige Menschen, vor allem Senioren als Armutsrentner und Hartz-IV-Empfänger nebst Asylsuchenden, auf die Armenspeisung angewiesen sind, weil ihnen kaum noch Geld zum Leben verbleibt. Derweil kämpfen die Gewerkschaften weiterhin für auskömmliche Einkommen und Renten und fordern einen weitergehenden Kurswechsel von der Regierung, um die vernachlässigte soziale Frage wieder in den Mittelpunkt zu stellen.

Kirchenfinanzierung

Hingegen wurden nach Meldung der Humanistischen Union vom Juni 2018 als Staatsleistung an die beiden großen reichen Kirchen in Deutschland steigende Geldzahlungen der Bundesländer in Rekordhöhe von 538 Mio. € geleistet, das sind 14. Mio. € mehr als im Vorjahr, unabhängig von Kirchensteuer und zusätzlich zu den Zahlungen für kirchliche Dienste (Kindergarten und Altenheime), also für die Kirchenverwaltung und die beamtenähnlichen Gehälter der obersten kirchlichen Würdenträger (Erzbischöfe, Bischöfe, Weihbischöfe und Domvikare). Seit Gründung der Bundesrepublik sind trotz Trennung von Kirche und Staat somit insgesamt rund 16 Mrd. € in die Taschen der Kirchenfunktionäre geflossen statt zugunsten der bedürftigen Armen ausgegeben zu werden.

Parteienherrschaft

Doch die Sorgen der christlichen und sozialen Regierungsparteien sind vorrangig andere, sie gelten nämlich dem eigenen Wohlergehen ihrer Parteien: Im Juni machten die Fraktionen von SPD und CDU/CSU auf Initiative der SPD – deren Zustimmungswerte laut Umfragen im Juni auf 17% sanken – die steuerlichen Zuschüsse für die Wahlkampf- und Parteienfinanzierung deutlich zu erhöhen, nämlich um 15%, das sind 25 Mio. € und damit eine Anhebung auf 190 Mio. € – ohne im Gegenzug die Parteienfinanzierung durch Interesse geleitete Spenden aus der Wirtschaft einzudämmen. Angesehene Juristen halten das für verfassungswidrig. Das Ganze geschah handstreichartig im Eilverfahren ohne Einbindung der Oppositionsparteien kurz vor dem ablenkenden Start der Fußballweltmeisterschaft. Hingegen nehmen der Lobbyismus und die Intransparenz bei der politischen Einflussnahme immer mehr zu, ebenso die Nebentätigkeiten und der bedenkliche Seitenwechsel von der Politik in die Wirtschaft ohne Karenzzeiten, wie die Organisationen Lobbycontrol, Abgeordentenwatch oder Transparency International beklagen. Auch dadurch geht die Politik zugunsten der Wohlhabenden und zu Lasten der Benachteiligten ungebrochen weiter.

Reichtumssteigerung

Im Juni wurde bekanntgegeben, dass weltweit die Zahl der über 18 Millionen Dollar-Millionäre, deren Vermögen die Marke von 70 Billionen Dollar überschritten hat. im Vorjahr um fast 10% gestiegen ist, Insbesondere der Börsenboom und steigende Immobilienpreise vermehrten deren Vermögen um insgesamt 5,2 Billionen Dollar, das ist ein Plus von 7,6%. Die 62 reichsten Menschen der Welt besitzen nach einer Studie der Hilfsorganisation Oxfam so viel wie die 3,6 Mrd. ärmsten Menschen.

Und die Schere geht auch in Deutschland immer weiter auseinander. Hier verfügten  1.364.600 Menschen über ein anlagefähiges Vermögen von über 1 Mio. Dollar, das waren gut 84.000 Personen mehr als im Jahr zuvor.

Mit ein paar kleinen Steuererleichterungen für die Mittelschicht, einer nur teilweise wirksamen Mindestlohnregelung und geringfügigen Kindergelderhöhungen etc. packt die „große Koalition“ diese auch in Deutschland besonders ausgeprägte Schieflage nicht wirklich an, da sie eine wirksame Reform der Vermögens.-und Erbschaftssteuer weiterhin ablehnt.

Europakrise

Ein Jahr vor der Europawahl 2019 in der kriselnden EU, bei der ein Rechtsruck in ganz Europa zu befürchten ist, werden trotz der Vorstöße des französischen Staatspräsidenten Macron wirklich notwendige Reformen für ein sozialeres und demokratischeres Europa, trotz Priorität in den deutschen Koalitionsvereinbarungen und einzelner kleiner Schritte, nicht erkennbar. Lediglich die Hürden für kleinere Parteien sollen nach deutschen Vorstellungen bei der Europawahl durch eine Sperrklausel erhöht werden, damit die etablierten Parteien unter sich bleiben können. Bei allen anderen europäischen Vorhaben gibt es derzeit eine Kakophonie. Allein beim Aufbau einer „Militärunion“ scheint derzeit die europäische Zusammenarbeit gut zu funktionieren.

Der vielgelobte Reformer Emmanuel Macron entpuppt sich im Juni n seinem eigenen Land in der Sozialpolitik als „neoliberaler Hardliner“, der die Bevölkerung und die Gewerkschaften auf die Straßen treibt. Im Juni äußerte er sich kritisch zu dem „kostspieligen, ungenießbaren und ineffizienten“ sozialen System der Beihilfen und Existenzminima. Die Armen müssten sich nach seiner Auffassung anstrengen und mit mehr Genügsamkeit und Erziehung angeleitet werden, sich selber in Eigenverantwortung aus der (quasi individuell verschuldeten) Armut zu befreien. Deshalb will er die Staatsausgaben bis 2022 um 60 Mrd. € kürzen, insbesondere die die diversen Sozialleistungen und Beihilfen – die Armen als lästiger Kostenfaktor. (Das erinnert an die abfälligen Äußerungen und „erzieherischen Maßnahmen“ seinerzeit von Kanzler Schröder und Wirtschaftsminister Clement in Deutschland gegenüber den „faulen“ Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern bei der Einführung von Hartz IV mitsamt den Sanktionsregeln).

Steuergeschenke

Mit dieser Gesinnung lässt sich kaum ein sozialeres und solidarischeres Europa mit einer steuerlichen Korrektur der ungerechten Armuts-Reichtums-Verteilung in Deutschland und Europa aufbauen, trotz aller Lippenbekenntnisse für eine europäische „Sozialunion“ unlängst in Göteborg. Für diese bedürfte es hinreichender Steuereinnahmen von den Reichen und Konzernen, die weiterhin begünstigt und geschont werden.

Zusammen mit Macron will jedoch der deutsche Finanzminister Olaf Scholz, unterstützt von seinem „Goldman-Sachs-Staatssekretär Jörg Kulies, die verkündete Einführung einer Transaktionssteuer nur auf den Handel von Aktien und einigen Anleihen beschränken, nicht aber von Derivaten. Damit wird die Steuer zu einer bloßen Alibi-Steuer oder zu einem Etikettenschwindel mit Einnahmen von nur 5 bis 7 Mrd. Euro statt erzielbaren 40 bis 50 Mrd. €, wie der grüne EU-Abgeordnete Sven Giegold kritisiert. Zudem hält Scholz an Schäubles Politik der „schwarzen Null“ eisern fest, statt überfällige Investitionen im nötigen Umfang zu ermöglichen.

Handelskrieg

Nach dem Motto seiner Lieblingsautorin Ayn Rand – „Egoismus ist eine Tugend, denn es gibt kein Gemeinwohl, und Altruismus ist ein Übel, das Nationen zerstören kann“ – hat US-Präsident Donald Trump mit seinen protektionistischen Strafzöllen einen internationalen Handelskrieg begonnen, der im Juni zu Gegenreaktionen fast aller Wirtschaftsnationen weltweit und auch der EU geführt hat und dessen Folgen nicht absehbar sind. Zugleich wird seit Juni das Heil des freien Handels in der Wiederbelebung der unfairen und umstrittenen Freihandelsverträge TTIP „light“, CETA, Jefta, TiSA, EPA usw,. gesehen, die gerade von der Zivilgesellschaft teilweise ausgebremst oder abgemildert worden sind. Am Ende wird es nur Verlierer geben und keine Gewinner.

Durch den chauvinistischen Nationalismus weltweit werde der Weltfrieden bedroht, sagte im Juni der scheidende UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Said Raad alHussein, in Genf: „Zu viele Regierungen mit selbstsüchtigen und kaltschnäuzigen Führungspersonen täuschten Unterstützung für gemeinsame Ziele vor, kämpften aber nur für eigene Interessen“.

Dieselskandal

Die eigenen Interessen und diejenigen ihrer Aktionäre standen auch im Vordergrund der deutschen Automobilkonzerne, ohne Rücksicht auf die Interessen der Kunden und Käufer oder auf die Gesundheit der von Schadstoffen belasteten und gesundheitlich gefährdeten Menschen – allen voran VW mit staatlicher Beteiligung des Landes Niedersachsen. Nun endlich sind im Juni die millionenfachen Betrügereien nicht als bloße „Schummeleien“, sondern als Menschen gefährdende Straftaten angesehen worden, mit Milliarden-Strafzahlungen, Haftbefehlen und Untersuchungshaft sowie staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen die Automanager und Konzernbosse, die zuletzt noch millionenschwere Boni und Gehälter für ihre Geschäftspolitik kassierten – ähnlich wie bei der kriminellen Deutschen Bank, die mittlerweile am Abgrund steht.

Doch die allzu engen Verflechtungen zwischen Autoindustrie und deren Lobby mit den Spitzenpolitikern der Bundes- und Landesregierung bis hinauf zur Kanzlerin haben immer noch nicht dazu geführt, die technischen Nachrüstungen der Dieselautos rechtlich anzuordnen – obwohl die verantwortlichen Minister und Behördenchefs sich dabei hart an der Grenze der „Strafvereitelung im Amt“ bewegen. Solange weiterhin die Menschen in den verkehrsreichen Städten mit Stickoxiden gesundheitlich gefährdet werden, verletzen die Politiker auch ihrem Amtseid, Schaden vom Volk anzuwenden. Dazu gehört schon eine gehörige Portion Skrupellosigkeit und Abgebrühtheit in der lobbyhörigen Regierungszentrale der GroKo, die vielleicht den Sommer nicht mehr übersteht. Einen Toten gibt es schon, glaubt man dem Journalisten Jakob Augstein, der meint, die SPD sei schon tot, sie habe es nur noch nicht gemerkt…

Wilhelm Neurohr

21. 06. 2018

Wilhelm Neurohr: „Wer ist für die Armuts-Schande verantwortlich?

Leserbrief  an  das Medienhaus Bauer, Marl, zum „Blickpunkt“ vom 22. März 2018 über die Regierungserklärung der Kanzlerin:

 „Wer ist für die Armuts-Schande verantwortlich?“

„Kinderarmut in einem reichen Land wie Deutschland ist eine Schande“, klagte  Kanzlerin Merkel in ihrer Regierungserklärung am 21. März im Bundestag an. Aber wer ist für die Schande verantwortlich? Ein Blick in den Armutsbericht der Bundesregierung offenbart:  In den 12 Jahren  Amtszeit von Merkel als Regierungschefin ist die Kinderarmut von 14,7% in 2005 auf fast 16% heute angestiegen. Betroffen sind 2,5 Mio. Kinder, deren Schicksal bislang politisch tatenlos hingenommen wurde.

Auch beschwört Frau Merkel nun die „Integration der Schwachen“. Meint sie die Armutsrentner, deren Quote  in ihren 12 Regierungsjahren von 11% auf 16% angestiegen ist? Oder meint sie diejenigen Bedürftigen, die auf Tafeln oder Suppenküchen angewiesen sind und deren Zahl in Merkels  12-jährigen Amtszeit sich von 0,5 Mio. auf 1,5 Mio. verdreifacht hat?

„Davor hat die Bundespolitik zu lange die Augen verschlossen, sagt Merkel selbstkritisch und möchte bis zum Ende ihrer Amtszeit  „unsere Gesellschaft menschlicher machen“. In den nächsten 3,5 Jahren will sie das schaffen, was sie in den vorherigen 12 Jahren der „sozialen Kälte“ versäumt hat?

 Wilhelm Neurohr, Haltern am See

Wilhelm Neurohr: „SPD-Minister der GroKo blockieren erneut wichtige UN-Initiative“

Leserbrief an das Medienhaus Bauer zu der aktuellen Blockade des UN-Paktes für Menschenrechte durch die Bundesregierung:

 „SPD-Minister der GroKo blockieren erneut wichtige UN-Initiative“

Einen Vorgeschmack darauf, was uns von der nochmaligen GroKo in wichtigen politischen Fragen an skandalösen Fehlentscheidungen erwartet, lieferten uns nun zum zweiten Mal die dort zuständigen SPD-Minister mit der erneuten Blockade eines wichtigen UN-Abkommens für die Menschenrechte.

Zur Erinnerung: Erst im vorigen Jahr hatte die GroKo unter dem federführenden SPD-Wirtschaftsminister und späteren Außenminister Sigmar Gabriel  – zusammen mit den Atommächten und den NATO-Staaten – die Unterzeichnung des UN-Atomwaffenverbotsvertrages verweigert und boykottiert, der am 7. Juli 2017 von 122 UN-Mitgliedsstaaten feierlich unterzeichnet wurde. Mit der Ablehnung eines Oppositionsantrages der Grünen und Linken im Bundestag für die Unterzeichnung hatten die Regierungsparteien CDU und SPD sich sogar den bloßen Verhandlungen bei den UN verweigert und obendrein eine Protestnote erwogen, um sich die „Option der nuklearen Teilhabe“ offenzuhalten.  Damit stellten sie sich auch gegen den Willen der Bevölkerung, denn laut Umfragen sprachen sich 70% der Deutschen für das Verbotsabkommen für Atomwaffen aus. Die Initiatoren bei der UN, das involvierte zivilgesellschaftliche Bündnis ICAN, erhielt sogar im Dezember 2017 dafür den Friedensnobelpreis. Alles das interessierte die SPD-Minister der GroKO nicht, deren eigener  Friedennobelpreisträger Willy Brandt als überlebensgroße Statue in der Parteizentrale thront (und sich wahrscheinlich im Grab umdrehen würde…)

Denn nun hat die nur geschäftsführende Bundesregierung, namentlich die zuständigen SPD-Ressortminister in ihren letzten Amtstagen vor der Regierungsneubildung ein weiteres wichtiges Abkommen der Vereinten Nationen abgelehnt.  Mit dem unterschriftsreifen UN-Pakt sollten verbindliche Menschenrechtsnormen für transnationale Konzerne und Unternehmen festgelegt werden, um die Menschen in ärmeren Ländern vor Ausbeutung, Landvertreibung, Korruption oder Bedrohung ihrer Gewerkschaftsvertreter  zu schützen.  Doch SPD-Außenminister Gabriel, unterstützt von dem Ressort Justiz unter SPD-Minister Heiko Maas, dem Ressort Arbeit und Soziales unter SPD-Ministerin Andrea Nahles (designierte SPD-Vorsitzende) sowie dem CSU-geführten Entwicklungsministerium lehnten das einhellig ab. Sie  beharren im Interesse der eigenen Wirtschaft  auf bloße „freiwillige Selbstverpflichtungen“ der Konzerne, die bisher so gut wie nie wirklich funktioniert  haben, wie die vielen skandalösen Menschenrechtsverletzungen der jüngsten Zeit zeigen. Offensichtlich haben  die Konzernlobbyisten wieder einmal Gehör bei unserer Regierung gefunden, zu Lasten der oft rechtlosen Arbeitnehmer und Betroffenen in den ärmeren und teils korrupten Ländern.

Offenbar sind für die SPD-Spitzenpolitiker in einer „marktkonformen Demokratie“ sogar die Menschenrechte „verhandelbar“. Jedenfalls wollen Sie auch die anderen EU-Länder auf diese Verhandlungslinie bringen. Wir ahnen nun, was sie unter „inhaltlicher Neuausrichtung sozialdemokratischer Politik“ verstehen oder missverstehen. Wenn die Parteibasis bei ihrer Forderung nach „inhaltlicher und personeller Neuausrichtung“ ihre Parteioberen dafür nicht abstraft, dann wird wohl die älteste Partei Deutschlands durch die Wähler insgesamt weiter abgestraft werden.

Wilhelm Neurohr, Haltern am See. NRW

Wilhelm Neurohr: „Sozialstaatsgebot wieder in Kraft setzen“

Leserbrief an die Ruhr-Nachrichten:

 „Sozialstaatsgebot wieder in Kraft setzen“

Die seit 20 Jahren etablierten Armenspeisungen infolge  der rot-grünen–Politik Agenda-Politik haben sich im reichsten Land Europas seither zahlenmäßig verdreifacht:  Über 1,5 Mio. hungrige Menschen stehen in den ehrenamtlich organisierten Tafelläden und  Suppenküchen Schlange. (Gleichzeitig hat sich auch die Zahl der Obdachlosen verdoppelt).

Ausgerechnet die dafür verantwortlichen Politiker empören sich jetzt moralisch über das umstrittene Vorgehen der Ehrenamtlichen in Essen und Marl, denen die Alltagsprobleme vor Ort über den Kopf wachsen, wenn am untersten Rand die hungrigen Flüchtlinge und die hungrigen Deutschen aufeinanderprallen, weil sie von der Politik im Stich gelassen werden.

„Wir schaffen das?“  Die Politik hat es lediglich geschafft, das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes gemäß Artikel 20 (1) und 28 (1) faktisch außer Kraft zu setzen, obwohl es als „Staatszielbestimmung“ nach Artikel 79 (3) GG im Kern nicht angetastet werden darf! Kümmert Euch also gefälligst schnellstens um die Wiederherstellung der Sozialen Grundrechte und Menschenrechte für die Ärmsten der Armen im reichen Deutschland und macht die Tafeln überflüssig! Doch davon steht kein Wort in den GroKo-Vereinbarungen der „christlichen“ und „sozialen“ Parteipolitiker der „großen“ Volksparteien“….

Wilhelm Neurohr, Haltern am See

Wilhelm Neurohr: Offener Brief an den SPD-Politiker Stephan Weil – Fehleinschätzungen zu Themensetzungen der SPD

Betr.: Fehleinschätzungen zu Themensetzungen der SPD

Sehr geehrter Herr Weil,

gegenüber der Frankfurter Allgemeinen haben Sie heute als SPD-Vorstandsmitglied in Ihrer Analyse der „richtigen und falschen Themensetzungen der kriselnden SPD“ öffentlich behauptet (Zitat): „Auch die Debatten über Freihandelsabkommen oder Vorratsdatenspeicherung interessiert kaum jemanden“.

Kann es sein, dass Sie am Beispiel der Freihandelsverträge die größte deutsche und europäische Bürgerbewegung seit Bestehen der EU nicht wahrgenommen haben und deshalb zu einer SPD-typischen Fehleinschätzung der Bürgeranliegen gelangt sind? Und dann wundern sie sich über den Absturz der SPD auf unter 16% und schieben das allein auf die Personaldebatten?

Alles das haben Sie offenbar in Ihrer Analyse übersehen:

  • Mit 350.000 (!) Teilnehmerinnen und Teilnehmern hat es im Oktober 2015 in Berlin und anderen Städten gegen die Freihandelsabkommen TTIP, CETA und TISA die größte Demonstration in diesem Jahrhundert in Deutschland gegeben (mit Teilnehmern vor allem aus dem  rot-grün-roten Spektrum).
  • Mit 250.000 Unterstützern (!) hat es 2016 die größte Bürgerklage seit Bestehen der Bundesrepublik vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Freihandelsabkommen gegeben.
  • Mit 3,2 Mio. Unterschriften (!) hat es gegen die Freihandelsabkommen das größte europäische Bürgerbegehren (EBI) seit Bestehen der EU gegeben.
  • Über 2000 Kommunalparlamente (!) in Deutschland und Europa haben sich in Sorge um die kommunale Selbstverwaltung gegen die Freihandelsabkommen ausgesprochen oder sich symbolisch zur „TTIP-freien Zone“ erklärt (vor allem die SPD-regierten Städte und Gemeinden, aber auch mit den Stimmen der CDU-Fraktionen).
  • In nahezu allen 13.000 Städten und Gemeinden in Deutschland (und ähnlich in anderen EU-Staaten) hat es flächendeckend örtliche und regionale Bündnisse und gut besuchte bis überfüllte Veranstaltungen zum Thema der Freihandelsabkommen gegeben.
  • Außer der Zivilgesellschaft haben sich nahezu alle gesellschaftlichen Einrichtungen – von den Gewerkschaften und Sozialverbänden sowie kommunalen Spitzenverbänden über die Kirchen und mittelständischen Interessenverbände bis hin zu den Kulturschaffenden und auch Parteiorganisationen (einschl. SPD-Arbeitsgemeinschaften und Grundwertekommission) dazu kritisch positioniert.

Also eine gesamtgesellschaftliche Bewegung, aber von der SPD ignoriert?

Es gehört schon eine Portion Autismus dazu, dieses Bürgeranliegen nunmehr als nicht existent oder unwichtig zu erklären.

Ich nenne diese Thema nur exemplarisch für die Blindheit mancher SPD-Oberen.

Denn es ging den Kritikern nicht „gegen Freihandel“ an sich, sondern für fairen Handel und für Transparenz statt Geheimhaltung. Hier war aber die demokratische Gewaltenteilung und das Primat der Politik in Gefahr durch Selbstentmachtung der Parlamente zugunsten von Lobby-Gremien, ferner die Sozial -und Tarifstandards sowie die Umweltstandards u. v. m. in Gefahr. Also klassische sozialdemokratische Themenfelder!

Mit den „roten Linien“ der SPD per Mehrheitsbeschluss wurde zunächst die Sorge der Bürger widerwillig (nur auf Druck der SPD-Basis) von der Parteispitze aufgegriffen, dann aber durch Parteichef Gabriel missachtet und seither als Thema ausgeblendet.

Nicht nur an diesem Beispiel zeigen sich die eigentlichen Probleme der führenden Sozialdemokraten, die im Vorstand immer noch nicht begriffen haben, was die Basis und die Bürger gegen die Parteioberen momentan so aufbringt.

Man kann nur noch politische Wahrnehmungsstörungen höchsten Ausmaßes attestieren. (Das hat mich nach 33 Jahren aktiver SPD-Mitgliedschaft seit 1967 vor 16 Jahren aus der SPD herausgetrieben…) Die Partei ist soweit von den Bürgern entfernt, wie nie zuvor und wie keine andere Partei, das belegt die Aussage von Stephan Weil eindrucksvoll.

Mit nachdenklichen Grüßen

Wilhelm Neurohr

 

WWW.Wilhelm-Neurohr.de

WWW.iwipo.eu

Wilhelm Neurohr: „Schweigt die Friedensbewegung zur privaten „Münchener Sicherheitskonferenz?“

Leserbrief an das Medienhaus Bauer, Marl, zur Berichterstattung über die Münchener Sicherheitskonferenz:

„Schweigt die Friedensbewegung zur privaten „Münchener Sicherheitskonferenz?“

Die Berichte über die so genannte „Münchener Sicherheitskonferenz“ (früher hieß sie ehrlicherweise „Wehrkundetagung“ der Militärexperten und Rüstungslobby) und zuvor über den „Weltwirtschaftsgipfel von Davos“ offenbaren  uns eine äußerst bedenkliche Tendenz, die alle Demokraten eigentlich wachrütteln sollte: Nicht mehr die dafür eigentlich zuständigen und demokratisch legitimierten Gremien etwa der UN oder der EU organisieren offiziell den internationalen politischen Dialog über globale Wirtschafts- oder Friedensfragen. Sondern zunehmend sind es privat organisierte inoffizielle Großveranstaltungen auf Initiative von Wirtschafts- und Rüstungslobbyisten, die den erlauchten Teilnehmerkreis und die Themen bestimmen.  Stolz brüsten sie sich damit, diese Privatkonferenzen zu den „bedeutendsten informellen Foren“ der „Eliten“ aufgewertet zu haben, mit denen sie die offiziellen Gipfelkonferenzen der Staats- und Regierungschefs in den Schatten stellen.

Und sie bestimmen auch, welche ausgewählten Politiker – diesmal Einhundert an der Zahl – bedeutend genug sind, um von Ihnen exklusiv und selektiv eingeladen und als Redner auserkoren zu werden, nebst der Überzahl der diesmal 400 selbst ernannten zahlreichen Teilnehmern aus Wirtschaft, Lobbyverbänden, Militär und sogar Geheimdiensten. Die so geschmeichelten Politiker geben sich dort gerne die Klinke in die Hand auf den illustren Treffen, so dass auch die Medien meist unkritisch diese von staatlichen Sicherheitskräften bewachten jährlichen privaten Großveranstaltungen wie offizielle internationale Staatskonferenzen oder Wirtschaftsgipfel behandeln. Damit gehen sie alle den Interessengruppen auf den Leim und belegen die enge Verquickung zwischen Politik, Wirtschaft und Militär sowie Medienschaffenden. Nicht zuletzt geben sie damit sogar den „Verschwörungstheoretikern“ neue Nahrung, denn deren Behauptung, dass die eigentlichen politischen Entscheidungen in solchen hochkarätigen „informellen“ Zirkeln vorbereitet werden statt in den gewählten Parlamenten oder durch das Volk als Souverän, erscheint plötzlich nicht so abwegig. Nickt der Bundestag nur noch die ausgetauschten Militär-Strategien der privaten „Sicherheitskonferenz“ ab und akzeptiert die neue teure Rüstungsspirale?

Gerade die letzten drei Münchener Sicherheitskonferenzen von 2016 und 2018 haben ohne begleitende Parlamentsdebatten oder öffentlichen Diskurs bedenkliche Militär- und rüstungspolitische Vorentscheidungen als Paradigmenwechsel politisch unwidersprochen präjudiziert. Die derzeit nur geschäftsführende Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, im Vorjahr in München flankiert vom damaligen Außenminister Steinmeier und Bundespräsidenten Gauck, legt sich  in München erneut auf deutsche Auf- und Nachrüstungsverpflichtungen in nie dagewesener Höhe mit haushaltspolitischer Priorität fest. Zugleich definiert sie mit markigen Worten, am Grundgesetz meines Erachtens vorbei,  eine ganz neue militärische Rolle Deutschlands und Europas. Wen interessiert es, dass Umfragen zufolge über 70% der Deutschen sich gegen eine weitere Aufrüstung und Erhöhung des Verteidigungsetats aussprechen?

Mit einer europäischen Armee neben der NATO in einer „europäischen Militärunion“, wie kürzlich von der EU-Exekutive (am Bundestag vorbei) beschlossen,  wird die Militarisierung der Europapolitik vorangetrieben statt eine neue Abrüstungsinitiative zu starten oder Entspannungspolitik mit dem Osten. Stattdessen das Motto der 1950-er Jahre: „Wenn die Russen kommen…“. Alles läuft auf einen neuen „kalten Krieg“ hinaus, wie schon in der „Sicherheitspolitischen Agenda“ der Bertelsmann-Stiftung im Auftrag der EU vor Jahren entwickelt und empfohlen.  Demgemäß der markige Originalton von der Leyen in München: „Deutschland braucht mehr militärisches Gewicht und darf sich nicht hinter seiner Geschichte verstecken, sondern muss akzeptieren, dass unsere Soldatinnen und Soldaten auch tatsächlich eingesetzt werden, um für Sicherheit und Freiheit zu kämpfen.“ Erschreckend ist das Schweigen der Zivilgesellschaft und der kaum noch existenten Friedenbewegung dazu.                                                                                            

Wilhelm Neurohr