Eine „Gesundheitsdiktatur?

Lb-Mhs. Bauer, Marl, Corona-Pandemie-Kritik, 07.04.2020
Am 7. April 2020 in den Zeitungen des Medienhauses Bauer, Marl

Eine „Gesundheitsdiktatur?

Im Prinzip bin ich gegen eine „Gesundheitsdiktatur“ und plädiere für demokratisches Verhalten im Sinne Kants: Freiheit, Selbstbestimmung, soweit die Freiheitsrechte und -pflichten Anderer nicht tangiert werden. Deshalb habe ich 1968 gegen die Notstandsgesetze der Großen Koalition unter Bundeskanzler Kiesinger *) demonstriert und an Kongressen teilgenommen.

Gegen die Corona-Pandemie helfen jedoch nach Einschätzung fast aller Virologen und anderer Wissenschaftler, wie sich in China gezeigt hat, nur noch rigorose restriktive Maßnahmen: Verbote und Kontrollen, denn in Deutschland herrscht die first me– und SUV -Mentalität, während in asiatischen Ländern, besonders da, wo der authentische Buddhismus und der Konfuzianismus vorherrschen, Achtsamkeit, Selbstdisziplin, Gemeinsinn und Solidarität wichtige Tugenden sind.

Das soll nicht heißen, den Mächtigen, den Politiker*innen und den Konzernen, blind zu vertrauen, sondern – auch dies im Sinne Kants – „Sapere Aude“ –  den Mut zu haben, sich des eigenen kritischen Verstandes zu bedienen und jede Maßnahme zu hinterfragen, auf die demokratischen Rechte und Pflichten hinzuweisen und, wenn sie nicht eingehalten werden, sich zu verweigern und sie nicht zu befolgen.

Demokratie ist eine ständige Herausforderung. Zur Demokratie gehören auch Protest und Widerstand. Autoritätshörigkeit ist infantil.

——-

*) Die Notstandsgesetze

Die Große Koalition von 1966 bis 1969 aus CDU/CSU und SPD unter Kanzler Kiesinger verfügte über die notwendige Zweidrittelmehrheit und sah die Schaffung der Notstandsgesetze als notwendige Regelung an. Ein wichtiges Ziel war es, einen Missbrauch der Regelungen, wie es aus Sicht der Großen Koalition in der Weimarer Republik mit den Notverordnungen geschehen war, zu verhindern.

Dennoch breitete sich zunehmend in der Bevölkerung die Sorge aus, die Notstandsgesetze bedeuteten ein neues Ermächtigungsgesetz. Gewerkschaften, FDP, das Kuratorium „Notstand der Demokratie“ und besonders die Westdeutsche Studentenbewegung der 1960er Jahre mit SDS und LSD opponierten gegen die auf parlamentarische Weise nicht verhinderbaren Pläne.

[Wiikipedia -> https://de.wikipedia.org/wiki/Notstandsgesetze_(Deutschland)

 

Am 7. Mai erinnert Vietnam an die Schlacht um Dien Bien Phu, die vor 65 Jahren zum Ende der Kolonialherrschaft Frankreichs in Ostasien geführt hat

Am 7. Mai 1954 erlitten die in 300 km Luftlinie westlich von Hanoi eingekesselten französischen Truppen eine folgenschwere Niederlage.  Sie ergaben sich nach 57 Tagen der Übermacht. Die Verluste waren auf beiden Seiten sehr hoch, besonders bei uns in der Legion, wo jeder Zweite Deutscher war.

Ich habe nach Recherchen aus authentischen französischen und vietnamesischen Quellen und nach Berichten von Legionären und Offizieren der französischen Fremdenlegion darüber in meinem Roman »Der Ritt auf dem Ochsen oder auch Moskitos töten wir nicht« berichtet. Ein Roman über Gewalt, Krieg und buddhistischen Pazifismus in Vietnam, zügig niedergeschrieben in den Jahren 1995-99.

   Deshalb verstehe ich mein Buch als Beitrag zur Versöhnung zwischen den einst verfeindeten Völkern. dst.

Dietrich Stahlbaum

Soldauszahlung in DBP
Soldauszahlung in Bien Phu am 5. Dezember 1953. Dritter von links: Dietrich Stahlbaum

Der Roman:

Reinhard Ganz, Veteran der französischen Fremdenlegion, erhält 40 Jahre nach dem Ende des Indochinakrieges Post aus Hanoi: Aufzeichnungen seines Freundes Miroslav Prochazka, der 1954 in Dien Bien Phu verwundet wurde und seitdem verschollen ist. Er erinnert sich an ihre gemeinsame Zeit in Algerien und Vietnam (1949-54), an einen Krieg, der sie verändert, und an ein Volk, das sich vom Kolonialismus befreit hat.

Im zweiten Teil des Romans schildert Miroslav seinen Weg zu einem engagierten Buddhismus. Er ist mit Hilfe einer jungen Vietnamesin desertiert und lebt bis 1966 in einer buddhistischen Dorfgemeinschaft in den Bergen Nordvietnams. Hier haben Deserteure beider Kriegsparteien und ein verwundeter Ranger Asyl und traumatisierte Waisenkinder ein neues Zuhause gefunden. Mönche, die aus Süd- und Nordvietnam geflüchtet sind, berichten über den gewaltfreien Widerstand gegen das US-amerikanische Eingreifen in Vietnam, gegen die Saigoner Militärdiktatur und gegen Unter- drückung und Verfolgung durch das kommunistische Regime in Hanoi. Am Ende wird auch das Friedensdorf Opfer militärischen Wahns.

   Ein pazifistischer Roman über Soldaten, die erkennen müssen, dass sie nicht töten und zerstören können. Ein zeitdokumentarischer Roman über historische Hintergründe, mit Rückblenden auf eine faschistische Kindheit, auf Erlebnisse eines jungen Tschechen im antifaschistischen Widerstand und auf die ersten Nachkriegsjahre in Ost und West. Ein Entwicklungsroman, der das Wesentliche buddhistischer Lehre und Kultur aus der Sicht eines vermeintlich aufgeklärten Europäers vermitteln und auf ihre Aktualität hinweisen soll.

Mein Carnet des services aériens mit Eintrag 5..-6.12.1953 DBP
Mein Carnet des services aériens mit Eintrag 5..-6.12.1953 DBP

Die Printausgabe des Buches (Aachen 2000) ist vergriffen, Neuauflage seit I/2012 als eBook →  http://www.bookrix.de/_ebook-dietrich-stahlbaum-der-ritt-auf-dem-ochsen-oder-auch-moskitos-toeten-wir-nicht/ 

coverpic3d.php-Cover RITT eBook groß

Zwei Lebensläufe

Zwei Lebensläufe, zwei Auffassungen, zwei Ansichten, zwei Denkweisen, zwei (Welt-) Anschauungen, zwei Lebensweisen –  da zeigt sich, wie Ereignisse, Menschen, Zufälle, wie das, was wir erfahren haben und was uns widerfahren ist, uns tief beeinflusst hat, prägt. Unsere Erinnerungen mögen verblassen; manches scheint vergessen zu sein, nicht mehr rückholbar und ist ins Unbewusste verdrängt worden, weil wir es als bedrohlich, als peinlich oder auch als unwichtig empfunden haben. Dennoch ist die Vergangenheit, die wir erlebt und erfahren haben und die teilweise nicht mehr in unserm Gedächtnis ist, vorhanden. Sozusagen in der Cloud, und uns fehlt das Passwort, der Schlüssel, um Einzelheiten abzurufen, und wir bilden uns Ereignisse und Dinge ein, die es nicht gab oder die anders waren.

Du schreibst, lieber . . .:  „Aus mir ist ein Familienvater mit 3 Kindern geworden, der sich den gesellschaftlichen Konventionen angepasst hat und gut bürgerlich sein Leben gelebt hat.“ Aus mir ist ein Familienvater mit 3 Kindern geworden, der sich den gesellschaftlichen Konventionen nicht angepasst hat und das Bürgertum, seine Herkunft, seine Geschichte und sein Wirken erforscht und kritisch hinterfragt hat.

Gesellschaftskritik ist einer meiner Schwerpunkte, auch heute. Dabei habe ich mir nicht nur Zustimmung eingehandelt, sondern zum Teil auch erhebliche Nachteile, in den 70er Jahren sogar eine rechtswidrige Kündigung durch einen nationalkonservativen Bürger und Unternehmer, dem meine gewerkschaftlichen Aktivitäten nicht gepasst haben, darunter Aufklärung der Belegschaft über ihre Rechte und Ermunterung, ihre miserablen und ihre Gesundheit gefährdenden Arbeitsbedingungen nicht unterwürfig hinzunehmen.

Aktiv im Werkkreis Literatur der Arbeitswelt, entstand damals diese realsatirische Geschichte: »Ein Schuss vor den Bauch. Alte Geschichte, wieder aufgetaucht« →  https://stahlbaumszeitfragenblog.wordpress.com/?s=Ein+Schuss+vor+den+Bauch

Seitdem habe ich Foto- /Text-Reportagen über politisch und ökologisch relevante Ereignisse in Deutschland und Frankreich veröffentlicht (Vorträge, Ausstellungen).

Woher meine kritische, mitunter skeptische Einstellung kommt? Sie entstand bereits, als ich in der Nazizeit den Konfirmandenunterricht verweigerte und, indoktrinierter Pimpf, dem Pfarrer sagte, Jesus sei Jude gewesen, und er, ich vermute, ein Deutscher Christ (DC), darauf  geantwortet hat: „Jesus  war blond wie du. Er war kein Jude.“  Das war in Friedland.

Dieter als Pimpf
Dietrich Stahlbaum als Pimpf

Ich war hell-, nicht dunkelblond und machte mir die Haare nass, um älter auszusehen.

Karlheinz Deschner PKarte

Später habe ich fast die gesamte Religions- und kirchenkritische Literatur gelesen (u. a. Voltaire, Ludwig Feuerbach, Kant, Marx, Sigmund Freud, Karlheinz Deschner, arabische und israelische Historiker und Archäologen…) und bin Agnostiker und Atheist geworden.

In Vietnam (1951-54) begegnete ich Buddhist*innen und las später buddh. Literatur, z.B. die überlieferten (Pali-) Urschriften der Reden und Lehren des Gautama Buddha. Auch er war Agnostiker und lehnte den Gottesglauben und den hinduistischen Glauben an eine „Ewige Seele“ ab.

Die Begegnungen mit Buddhist*innen haben mich zum zeitdokumentarischen Roman »DER RITT AUF DEM OCHSEN oder AUCH MOSKITOS TÖTEN WIR NICHT« angeregt. →  https://www.bookrix.de/_ebook-dietrich-stahlbaum-der-ritt-auf-dem-ochsen-oder-auch-moskitos-toeten-wir-nicht/

Der Deserteur ist Miros, mein zweites Ich, eine Kunstfigur. Ich hätte nur zu den Vietminh desertieren können. Das wollte ich nicht. Ich war längst Pazifist und, wie Goethe, Dag Hammarskjöld, Camus, Bertrand Russell, Kosmopolit.

Soweit ein kleiner Ausschnitt aus meiner Vita. Mehr in meinen Schriften. Siehe E-Books.

Allen Leserinnen und Lesern meiner Webseiten diesseits und jenseits des Atlantiks und anderer Meere wünsche ich friedliche, besinnliche und erholsame Feiertage und viele positive Energien im kommenden Jahr!
Meilleurs vœux de Noël et de Nouvel An à toutes mes amies et à tous mes amis!
Merry Christmass and good wishes for the New Year!

 

 

Buchtipp: Dietrich Stahlbaum: DIES UND DAS Kurzgeschichten, Kôans, Gathas, Gedichte, Aphorismen, Fotos aus fünf Jahrzehnten. 2., aktualisierte Auflage 2018

DIES UND DASS-eBook-Cover 2018

 

Inhalt:

 Teil I: Kurzgeschichten

Teil II: Kôans und Gathas

Teil III: Gedichte

Teil IV: Aphorismen

 Klappentext:

 Wie schon im Lesebuch «DER KLEINE MANN» sind auch diese Texte „aus dem Leben gegriffen“: Da ist zum Beispiel die Geschichte einer alten, ausgedienten Aktentasche, die sich plötzlich als sehr nützlich erweist. Eine Real-Satire. Oder: «Der Wasserturm». Ein Bubenstreich mit unvorhergesehenen Folgen. Geschichte aus der Kindheit des Autors. Ein «Sommernachts-Albtraum» und andere merkwürdige Ereignisse. Im 2. Teil bieten «Kôans und Gathas» einen Einblick in die zen-buddhistische Welt. Gedichte im 3. Teil, entstanden zwischen 1959 und 2011. Der vierte Teil ist eine Sammlung von Aphorismen. Gedankensplitter aus fünf Jahrzehnten. Ein weites Feld. Und Fotos. Eben: Dies und das.

Das BOOKRIX-eBook kann jetzt für 4,99 EURO auf Ihren Computer oder auf ein Lesegerät hier heruntergeladen werden  →  https://www.bookrix.de/_ebook-dietrich-stahlbaum-dies-und-das/

 

 

 

DIE LINKE, Demokratischer Sozialismus, Utopien. Eine Replik

Der »Demokratische Sozialismus« im Programm der Linken wird von einem Sozialdemokraten als Utopie abgetan. „Der politische Kampf für einen demokratischen Sozialismus kann“, behauptet er, „nur zum Verfall der Demokratie und zum Bürgerkrieg in Deutschland führen.“

Selbst wenn humanistische Ideen nicht voll und ganz realisiert werden können oder verfälscht und pervertiert werden wie Buddhas widerspruchsfreie, als authentisch geltende Lehre, der Pali- Kanon, wir würden, gäben wir sie auf, uns selber aufgeben:

Der Stein des Sisyphus rollt immer wieder bergab.
Aber besteht unser Menschsein nicht darin,
dass wir ihn auch immer wieder den Berg hinauftragen,
damit er nicht unten liegen bleibt?

[In Anlehnung an Camus, Le mythe de sisyphe. Essai sur l`absurde]

„Utopie ist `Denken nach Vorn` (Ernst Bloch) als `die Kritik dessen, was ist, und die Darstellung dessen, was sein soll`“ (Max Horkheimer)

Utopien sind Platons »Staat«, die «Politeia« (4. Jh. v.u.Zr.), Thomas Morus` »Utopia« (1516), Kants »Zum ewigen Frieden« (1795/96). Das waren keine wirkungslose Spinnereien.

„Regieren heißt voraussehen.“ (Robert Jungk) Danach können wir mit Robert Habeck sagen: „Wir haben in Wahrheit keine Regierung“ ,   „sondern ein zusammen getackertes Bündnis von Parteien…“, das, statt die systemischen Übel bei den Wurzeln zu packen, den status quo verwaltet.

Politik verstanden als soziales Handeln, welches das Zusammenleben von Menschen so regelt, wie es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (Resolution 217 A (III) vom 10.12.1948) formuiert ist.

Heute sind, auch in Deutschland, tiefgreifende Veränderungen des Wirtschafts- und Sozialsystems nötig, um den Menschenrechten Geltung zu verschaffen. Die Koalitionäre der SPD sind dazu nicht fähig und nicht willens, denn die Partei ist vom Wohlwollen und von den Wohltaten der zum Teil transnationalen und globalen Banken und Konzernen ebenso abhängig wie die CDU/CSU und die FDP. Sie ist Teil des neoliberalen Systems. Der Grundsatz „Eigentum verpflichtet“ (GG. Art….) ist nur noch eine Leerformel.

Es ist kein Zufall, dass der entfesselte Kapitalismus gleich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der übrigen europäischen realsozialistischen Staaten seinen Anfang nahm und in das von ihr hinterlassene Machtvakuum stieß.

Dadurch sind fast alle Demokratien ausgehöhlt worden und nur noch formal vorhanden. Die Bundesrepublik ist da keine Ausnahme. In den westlichen Gesellschaften dominiert, wie überall, wo der Kapitalismus herrscht, Konsumismus und Egozentrismus. Im Kapitalismus sind die Sinne des Menschen auf den Sinn des Habens verkümmert (K. Marx, E. Fromm).

Trotzdem sollten wir die Möglichkeit, eine sozialistische Gesellschaft durch einen sozialökologischen Umbau der Produktions- und damit auch der Lebensverhältnisse in vielen kleinen konkreten Schritten zu verwirklichen, nicht ausschließen. Denn wir können heute nicht mehr voraussagen, was morgen geschieht. Trumps infantile Extravaganzen und die Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Roboter und andere neue zivile und militärische Technologien machen eine Prognose unmöglich. Die Digitalisierung kann aber auch eine globale Demokratisierung in Gang setzen.

Die Schüler*innen-Poteste gegen Trump und die Waffenlobby haben gezeigt, wie das geht.

Das torlose Tor. Kôan *

Zen-Tor
Das „torlose Tor“ in Oberlethe bei Oldenburg

Der Verstand führt dich bis ans Tor. Hindurchgehen musst du selber.

[Aus: Es ist gut, Zweifel zu haben… Zeitkritische Beiträge: Essays, Kommentare, Aufsätze, Vorträge, Reportagen, Reflexionen, Bilder von Dietrich Stahlbaum. eBook bei BookRIX Januar 2012]

* Ein Kôan ist ein zen-buddhistischer Text,  ein Paradoxon, dessen Sinn nicht logisch, sondern nur intuitiv erschlossen werden kann.

Alles in einem

Alles in einem, und dieses Eine ist der Augenblick, der Moment, in dem du wahrnimmst und das Wahrgenommene festzuhalten versuchst. Ein Augenblick Ewigkeit. Aber sieh, deine Hände sind leer. Auch die Ewigkeit ist eine Illusion. Alles entsteht und vergeht in einem ununterbrochenen Wandel. Was du für dauerhaft hältst, was dir beständig, was dir unveränderlich erscheint, das sind die Muster in deinem Kopf, die Muster, nach denen du den Wandel sich vollziehen siehst.

[Aus meinem Roman Der Ritt auf dem Ochsen oder auch Moskitos töten wir nicht, Aachen 2000, S. 320, Printausgabe vergriffen, jetzt als eBook → http://www.bookrix.de/_ebook-dietrich-stahlbaum-der-ritt-auf-dem-ochsen-oder-auch-moskitos-toeten-wir-nicht/ ]

Cover, RITT... 425981_126700884125975_1712917510_n

Der Buddha in den USA

So habe ich es gehört:

Zu einer Zeit weilte der Buddha in den USA, und da sich dies schnell
herumgesprochen hatte, erfuhr es auch der Präsident. *  Sein Land war
wieder von Terroranschlägen erschüttert worden, und es waren viele
Opfer zu beklagen. Allein bei Las Vegas hatte es über 1.100 Tote gegeben,
als ein Supermarkt in die Luft flog. Das war bereits der sechste
große Anschlag in diesem Jahr.
Obwohl die Regierung schärfste Sicherheitsmaßnahmen ergriffen hatte
– der Überwachungsstaat schien nahezu perfekt und alle Freiheitsrechte
waren außer Kraft gesetzt -, holte sich der Terrorismus Jahr für Jahr
seine unschuldigen Opfer. Der Präsident und seine Berater waren ratlos,
und es gelang ihnen immer weniger, dies zu verbergen. Die Stirnfalten
des Präsidenten ließen sich nicht mehr straffen. Unter seiner Schädeldecke
befanden sich keine klaren Gedanken mehr.
In diesem erbärmlichen Zustand ließ sich der Präsident, von seiner
Sicherheitsberaterin und sechs Bodyguards begleitet, im Helikopter
ans Ufer des Potomac-River fliegen, wo der Buddha unter einem
Baumdach saß – völlig allein. Man hatte ihm diesen Besuch angekündigt.
Der Hubschrauber landete etwa 200 Meter entfernt auf einer Wiese.
Der Präsident ging ohne Begleitung zum Erhabenen, legte seine Hände
zum Gruß zusammen, verbeugte sich und setzte sich neben den weisen
Mann.
So saßen sie ein paar Minuten beieinander – schweigend, denn der
Eine wollte das erste Wort nicht ergreifen und der Andere konnte es
nicht. Dann jedoch, als ihm nämlich auffiel, dass die Stirnfalten des
Anderen nicht verschwanden, sagte der Buddha: „Mr. President,
erwarten Sie von mir keine Wunder! Ich zeige Ihnen nur den Weg.
Gehen müssen Sie ihn selber.“
Und, den verzweifelten Blick bemerkend: „Mr. Präsident, Sie sitzen
hier ja total verkrampft! Zu allererst brauchen Sie Ruhe, verstehen Sie,
was ich meine? Gut. Diese können Sie finden, wenn Sie meinen Rat
befolgen. Lassen Sie, falls sie noch welche haben, alle Gedanken fahren!
Konzentrieren Sie sich auf nichts Anderes als auf Ihren Atem! Verharren
Sie so lange in diesem Zustand, bis ich erkennen kann, dass Sie
zur Ruhe gekommen sind. Aber schlafen Sie dabei nicht ein! Sie sollten
hellwach bleiben. Zählen Sie Ihre Atemzüge still vor sich her. Werden
Sie mit Ihrem Atem eins.“
Der Präsident, zuerst verwundert, dann von der Wirkung angenehm
überrascht, tat, wie ihm gesagt. Nach einer Weile klatschte der Buddha
in die Hände und begann zu reden: „Mr. President, Sie sind der
mächtigste Mann der Welt. Sie haben die oberste Befehlsgewalt über
den größten Militärapparat, den es gibt, über alle Soldaten der Vereinigten
Staaten, über das gefährlichste Waffenarsenal, über Flugzeuge
und Raketen, Panzer und Schiffe. Und Sie haben Ihre Geheimdienste
mit Vollmachten ausgestattet, die diese nicht einmal während des Kalten
Krieges hatten. Dennoch gelingt es Ihnen selbst im eigenen Lande
nicht, Terroristen davon abzuhalten, zu töten und zu zerstören, wo
immer sie wollen. Woran liegt das wohl? Was meinen Sie, Mr. President?“
Der Präsident wusste keine Antwort.
„Ist es nicht so, dass hier in Ihrem Land Wald- und Steppenbrände
manchmal mit gezielter, kontrollierter Brandlegung bekämpft werden,
vorbeugend oder wenn Brände bereits ausgebrochen sind?“
„Das ist übliche Praxis bei uns. Das hat Tradition.“
„Und Sie glauben, Mr. President, auf diese Weise auch die terroristische
Gewalt, die überall in der Welt zuschlägt, bekämpfen und eindämmen
zu können?“
„Ja. Wir werden unsere Anstrengungen verstärken, Herr Gotama.
Dann wird das eines Tages gelingen.“
„Haben Sie, Mr. President, schon darüber nachgedacht, warum es
diesen Terrorismus gibt, wodurch er entstanden ist?“
„Religiöser Fanatismus, Hass auf unsere Zivilisation.“
„… und ob die Maßnahmen, die Sie ergreifen, nicht ebenfalls Terror
zur Folge haben, Angst und Schrecken selbst bei Menschen, die den
Terrorismus ablehnen?“
„Kollateralschäden werden sich nicht immer vermeiden lassen.
Nennen Sie es nicht Terror, Herr Gotama.“
„Was empfinden Sie, Mr. President, wenn Ihnen von neuen Attentaten
berichtet wird?“
„Trauer und Wut.“
„Und?“
„Warum fragen Sie, Herr Gotama? Es versteht sich doch von selbst:
Hass. Hass natürlich auch.“
„Sehen Sie, Mr. President: Hass! Wie und wodurch entsteht Hass?
Haben Sie darüber nachgedacht?“
„Ja, durch solche Terrorakte beispielsweise.“
„Durch welche, durch wessen?“
„Ich verstehe nicht, wie Sie das meinem, Herr Gotama.“
„Mr. President, eben haben Sie gesagt, auch Sie empfänden Hass.
Also gibt es Hass auf beiden Seiten. Betrachten Sie nun diesen Hass,
unabhängig davon, auf welcher Seite er auftritt! Was ist Hass, tödlicher
Hass?“
„Es ist Sache der Philosophen, darüber nachzudenken, nicht die des
Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Der hat dazu gar
keine Zeit.“
„…sich über seine Gefühle im Klaren zu sein, Mr. President?“
„Ich kann nicht ständig eine Nabelschau veranstalten, Herr Gotama!“
„Das wird auch niemand von Ihnen erwarten. Aber wenn solch ein
Gefühl wie der Hass alles Denken und Handeln bestimmt, Tod und
Trauer verursacht, Zerstörung, Elend, unsägliches Leid, sollten wir dann
nicht endlich anfangen, danach zu fragen, wo dieser Hass, wo dieses
Gefühl der Abneigung, der Feindschaft, der Rachsucht herkommt,
welche tiefen Narben da aufgebrochen sind und ob Hass, ein Zustand,
in dem man ´außer sich` ist, nicht eine unheilvolle Krankheit des Geistes
ist?“
„ ? “
„Und wenn wir erkannt haben, dass Hass zwar eine unheilvolle, jedoch
nicht unheilbare Krankheit des Geistes ist, gibt es dann nicht auch
Mittel und Wege, diesen kranken Geist, diesen tödlichen Ungeist, zu
heilen?“
„Wie denn?“
„Versetzen Sie sich in diese Menschen, die von Ihnen gehasst werden
und die Sie hassen. Ist es nicht dasselbe Gefühl?“
„Es ist dasselbe Gefühl!“
„Ihnen gemeinsam ist der Hass. Und weil Sie dieses Gefühl gemeinsam
haben, kämpfen Sie gegeneinander. Ist das nicht absurd?“
„Sie sagen es, Herr Gotama.“
„Es sind Menschen, wie Sie einer sind, so gut und so böse wie Sie
selber. Warum lassen Sie „gut“ und „böse“ nicht fahren und gehen
aufeinander zu? Was hindert Sie daran?“
„Ich weiß es nicht, Herr Gotama.“
„Es sind die konkreten, die realen Ursachen dieses Gefühls, Ihre
Interessen und die Interessen derer, die Sie sich gegenüber stehen sehen,
Mr. President.“
„Ja, das ist es eben, was uns trennt.“
„Muss es das? Sie haben dasselbe Gefühl, den Hass, die Feindschaft,
die Rache, die Vergeltungssucht. Aber haben Sie nicht auch gemeinsame
Interessen…“
„Ich weiß es nicht, Herr Gotama.“
„..abgesehen davon, dass Sie einander vernichten wollen? Ist das nicht
verrückt, Mr. President?“
„Sie sagen es, Herr Gotama.“
„Nun, das scheinen Sie verstanden zu haben, Mr. President. Jetzt
erhebt sich die Frage, ob, wenn es gemeinsame Interessen gibt, es
möglich ist, sich über die Interessen, die Sie nicht gemeinsam haben,
zu verständigen und sich einig zu werden. Oder sagen wir es mit Ihren
Worten: Das, was Sie voneinander trennt, aus dem Weg zu räumen.“
„Das wird schwierig sein.“
„Warum meinen Sie, es sei schwierig, etwas aus dem Weg zu räumen,
das eine ständige Gefahr ist, weil es den Frieden behindert? Man hat
mir gesagt, das Öl habe für Sie eine sehr große Bedeutung, Mr. President,
denn die vielen Kriegsschiffe, die vielen Kampfflugzeuge, die vielen
Panzer, die vielen Lastwagen, die vielen Jeeps und die vielen Militäranlagen,
die Sie überall in der Welt unterhalten, verbrauchen viel Öl.
Wenn Sie dies alles abschaffen, wird sehr viel Öl eingespart und die116
Welt fühlt sich von Ihnen viel weniger bedroht! Wäre das nicht
wunderbar, Mr. President?“
„Das ist für mich eine völlig neue Sichtweise, Herr Gotama.“
„’Stehende Heere bedrohen andere Staaten unaufhörlich mit Krieg
durch die Bereitschaft, immer dazu gerüstet zu sein…’ Wissen Sie, wer
dies geschrieben hat, Mr. President – vor 207 Jahren?“
„Sie wissen es, Herr Gotama.“
„Der weise Deutsche, der aus Königsberg. Kennen Sie seine Schrift
‘Zum ewigen Frieden’?“
„Lassen Sie mir Zeit, Herr Gotama!“
„Ich kann Ihnen diese Zeit nicht geben, Mr. President. Die müssen
Sie sich selber nehmen. Dann werden Sie den Terror sehr schnell
beendet haben.“
Der Buddha erhob sich, legte die Hände zusammen, verbeugte sich
vor dem Präsidenten, ging zum Fluss, entkleidete sich, bündelte sein
Gewand und schwamm ans andere Ufer. Der Präsident indes runzelte
schon wieder die Stirn. Noch lange saß er auf seinem Platz

———

* G. W. Bush

[Aus: Der kleine Mann. Geschichten, Satiren, Reportagen aus sechs Jahrzehnten von Dietrich Stahlbaum, Recklinghausen 2005, S. 112 ff., Die Printausgabe ist vergriffen. Jetzt als eBook → http://www.bookrix.de/_title-de-dietrich-stahlbaum-der-kleine-mann ]
__