Jetzt aktualisiert bei allen Versandbuchhandlungen abrufbar: „Das Buch in der Wolke. Work in Progress“

Coverbild für "Das Buch in der Wolke"

 Klappentext:

„Book in Progress“? Dieses 14. E-Book soll nun wirklich das allerletzte sein. Ein Experiment. Ich bin 93 und kann den natürlichen Alterungsprozess nicht aufhalten, höchstens verzögern. Die Produktivität lässt, wie der Geschlechtstrieb, nach. Das Gehirn arbeitet langsamer.  Gedächtnis, Denken, Sprechen und Schreiben brauchen mehr Zeit. Das Langzeitgedächtnis ist besser als das kurzzeitige. Mir fallen Ereignisse, Erlebnisse, Begegnungen, Menschen und Orte und deren Namen ein, die mich irgendwann mal in meinem Leben beeindruckt haben müssen, längst vergessen sind oder überhaupt nicht existiert haben. „Dichtung und Wahrheit“. Goethe.

Zum Beispiel das Gedicht „Frühlingsglaube“ von Ludwig Uhland, das ich persifliert habe, obwohl ich es wahrscheinlich nie gekannt habe. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, ob wir es im Deutschunterricht „durchgenommen“ haben. Dennoch kam mir die Anfangszeile „Die linden Lüfte sind erwacht“ bekannt vor. Bei Wikipedia fand ich dann die Bestätigung, dass es dieses Gedicht tatsächlich gibt.

Ich werde bis zu meinem Lebensende oder solange ich sehen, denken und empfinden kann, Sehenswertes fotografieren, das Zeitgeschehen beobachten und kommentieren, literarisch arbeiten und die Produkte nach und nach in diesem E-Book publizieren.

Das Buch kann jetzt zum aktuellen Preis von € 0,99 auf ein Lesegerät oder einen PC hier heruntergeladen werden -> https://www.bookrix.de/_ebook-dietrich-stahlbaum-das-buch-in-der-wolke/

 

Ernesto Cardenal. Ein Leserbrief: Kritik an einem Zeitungsartikel

… an das Medienhaus Bauer, Marl:

  •  Von: Dietrich Stahlbaum, Recklinghausen
  • Betr.: Artikel „Poet, Priester, Revolutionär” von Denis Düttmann
  • Vom 3. März
In den Zeitungen d. Mhs. Bauer, Marl, 03.03.2020
Am 3. März 2020 in den Zeitungen des Medienhauses Bauer, Marl
Am 9. März 2020 in den Zeitungen des Mediernhauses Bauer, Marl
Am 9. März 2020 auf der Seite KULTUR der Recklinghäuser Zeitung
Zeichnung von Tisa mit Gedicht von E. Cardenal
Zeichnung von Tisa von der Schulenburg mit Gedicht von Ernesto Cardenal

 

 

 

 

Tisa von der Schulenburg (um 1980)
Zeichnung von Tisa von der Schulenburg (um 1980) mit einem Gedicht von Ernesto Cardenal 

Tisa von der Schulenburg (*1903 als Elisabeth Karoline Mary Margarete Veronika Gräfin von der Schulenburg) war die Tochter des preußischen Generals und späteren SS-Obergruppenführers Friedrich Bernhard Graf von der Schulenburg und die Schwester von Fritz-Dietlof, der dem Widerstandskreis um Graf von Stauffenberg angehört hat und nach dem misslungenen Hitler-Attentat hingerichtet worden ist. Tisa war schon sehr früh eine politisch engagierte linke Künstlerin. Im Mittelpunkt ihres Werkes (Zeichnungen, Grafiken, Skulpturen und Schriften) stehen der Bergarbeiter, Arbeitslose, Verfolgte, Flüchtlinge: Menschen, die unter den sozialen Verhältnissen leiden, und antifaschistischer Widerstand. 1949 konvertierte Tisa zum katholischen Glauben und starb 2001 als Schwester Paula im Dorstener Ursulinenkloster.

Ernesto Cardenal (*1925) ist katholischer Priester, Befreiungstheologe, Politiker und Dichter. Er war von 1979 bis 87 Kulturminister von Nicaragua.

Ich habe Tisa um 1980 in Dorsten besucht und eine Ausstellung mit Zeichnungen von ihr in der Stadtbücherei Recklinghausen organisiert. Als Dank dafür hat sie mir dieses Bild geschenkt.

 

 

Mein kategorischer Imperativ. Zwei Gedichte zur Auswahl

P1070014

Mein kategorischer Imperativ

I.

Die Herbstzeitlosen sind erblüht.

Der Sommer ist schon längst verglüht.

Unwetter weit und breit.

Sie kommen Schlag auf Schlag.

Sicher bist du nirgendwo.

Lebe so,

als wäre heute dein letzter Tag.

Vergeude keine Zeit.

II.

Die Herbstzeitlosen sind erblüht.

Der Sommer ist verglüht.

Vergeude keine Zeit.

Lebe so,

als wäre heute dein letzter Tag.

24. Dezember 1960. Gedicht

24. Dezember 1960

Was bin ich heute?
Clochard, gehe vorüber!
Musik,
hinter Fenstern. Stimmen, Gebete
aus einer verschütten Welt.
Schreie? Oder Gelächter?
Wer singt: Engel? Menschen?
Man hat mir zu essen geben.
Ich habe keinen Hunger.
Man hat mich an einen Ofen gerufen.
Da friere ich nur.
Heute muss man doch fröhlich sein.
Auch das hat man gesagt.
Das Brot warf ich den Vögeln hin.
Die Flasche zerschlug ich an einem Stein.
Ich habe roten Schnee gesehn.
Was ich besitze, ist zu gering.
Was ich nicht besitze, ist zu kostbar für mich,
und meine Füße sind wund.

© Dietrich Stahlbaum 1960

Sich selbst ins Ohr geflüstert. Gedicht

Sich selbst ins Ohr geflüstert

…so sinnlos, das Gehirn
wie eine Mülltonne zu durchwühlen,
die Dinge, die sich nie entwirrn,
aus der Vergangenheit heraufzuspülen,
so sinnlos, wenn da leer gemahlne Mühlen
sich weiterdrehn und ihre Flügel schwirrn.
Du wirst dich immer irrn.

So sinnlos und dir selbst zum Hohn,
nach jedem Essen sauer aufzustoßen
wie von verdorbnem Fleisch und faulen Soßen.
Warum versagt die Digestion?
Weil du dich überfressen hast?
Weil du das Kostbarste: die Zeit verpasst?
Weil du – du weißt es schon,
du weißt, du glaubst es fast,
weil du – dich hasst!

© Dietrich Stahlbaum 07. 02. 1960

P s a l m . Gedicht

P s a l m

Die Knospen im Kastanienpark
öffnen sich wie Hände, weit nach oben.
Vögel ihr Winter war sehr karg ,
die Tempelvögel in den schwarzen Roben
krächzen Lieder aus dem Psalter.
Der Specht vernagelt einen Sarg.
Der Wind hat einen gelben Falter
auf einen Halm gehoben.
Die Vögel rufen!
Komm, diese Hand ist stark.
Spürst du es? Hier, diese Stufen!
Der Weg zu Bett und Sarg.

© Dietrich Stahlbaum 22. 5. 1960

Anti – Gedicht

Anti – Gedicht

I. ALLES IST NICHTIG:
Und wozu noch reden?
Wozu Bücher schreiben?
Wozu lesen?
Von allen Thesen
ist keine richtig.
Bleiben
Tao te king und Veden,
bleiben
Zeugen und Verwesen.
Ist der Tod so wichtig?
Und was wir betreiben?
Frage jeden
Inder und Chinesen
er weiß. Und du?
Bleich und schlafgesichtig.
Wozu
die Augen blutig reiben?
Du bist doch nie richtig
wach gewesen.

II. PANTA RHEI:
Aus der Erde fließen
wie aus einem Munde
Wasser, Blut und Harn.
Schattenvögel scharrn
an der Wunde,
und als sei
diese Falte
nie zu schließen,
springt ein neues Ei,
wiederholt das alte,
furchtbare Sich vergießen.
Lippen schließen
sich um einen hohlen Schrei.
Stöhnen,
Flüstern,
Gekicher,
Gelall
widertönen
lüstern
Stern und Stundenfall.
Nirgends bist du sicher!

III. ALLES
IST SCHON EINMAL WORT
GEWESEN, und die Worte
stehn um dich herum
wie Sphinxe: Zeugen des Verfalles.
Und die Lügen stehen dort:
steinerne Fantome, Orte
ohne Zuflucht: V a k u u m.
Worte ohne Ort.

Trage die Sprache fort!

Was sind Worte? H u r e n,
klammern sich
an jeden Reim,
gehen auf den Strich,
hinterlassen Spuren
von Puder, Lippenstift und Schleim,
manchmal ein Ekzem,
manchmal Hautgeruch,
süßen Seim.

WORTE: HUREN,
tragen einen Teil von dem,
was wir Lüge nennen, Fluch.
Ach ihr Vögel klebt an jedem Leim
und ihr tragt so viel
von unsrer Schuld.
DIESE WELT will ihren Mumienkult
und ihr Fußballspiel.
DIESE WELT: von Lügen eingelullt.

Keine Stimme holt dich heim.

IV. ALLES IST PARADOX ,
was je aus einem Dichter schrie.
vox
populi
und das Sprachgewirr
um Gott und Mensch und Vieh.
Die Welt braucht eine neue Therapie
des Schocks.
Du bist irr.

V.

Welt, dem Dichter brechen sie die Füße,
Welt, dem Gauner küssen sie das Knie,
Welt, aus Andrer Kummer
schlagen sie Profit,
und was Name war, wird Nummer.
Welt, ich begrüße
deine Bourgoisie
als Fremder, Blinder, Tauber, Stummer
ohne Lied.

© Dietrich Stahlbaum 29. 5. 1960

Herbst 1960 / 2015

am DachsbergRegenschirm im HerbstJetzt hast du so viele Jahre
gelebt, so viele Jahre hast du
gelebt: partout.*
Schatten im Gesicht. Die ersten grauen Haare.
Bald fallen dir auch die Augen zu.
An den Bäumen verbrennt das Laub.
Und die Beeren glühn. Pflugschare
schälen die Erde.
Und die Pferde
schäumen an der Kandare.
Wie Staub
hängen die Blätter. Und die Stare
versammeln sich auch – zur Flucht,
an den Flammenrändern.
Über den Gärten, Ländern
und über der Schlucht:
Wolkenreste,
wie Asche, als ob alles schwebe.
Spinnen spannen ihre Gewebe
zwischen die schwarzen Äste.
Aus den Bäumen fällt die Frucht.

* frz. überall

(im Taunus, 24. 10. 1960)

© Dietrich Stahlbaum 1960