Eine Runderneuerung mit gravierenden Mängeln. Die GroKo und ihr Vertrag

Leserbrief an das Medienhaus Bauer, Marl, und an die Frankfurter Rundschau zum GroKo-Vertrag  vom 7. Februar 2018:

Eine weitere Groko? Das wäre eine Runderneuerung mit gravierenden Mängeln: Zum Beispiel fehlen im Koalitionsvertrag Hinweise auf die negativen Folgen der Digitalisierung. Existentielle Fragen, die sich daraus ergeben, werden nicht beantwortet. (Kapitel IV.5. „Digitalisierung“ und V.1. „Gute Arbeit“ (S. 37, 50 im Entwurf).

Nach einer Umfrage des IT-Verbands Bitkom unter 500 deutschen Unternehmen werden in Deutschland rund 3,4 Millionen Stellen allein in den kommenden fünf Jahren weg fallen, weil Roboter oder Algorithmen die Arbeit übernehmen. (FAZ, 02.02.2018) Viele Aufgaben können heute leicht zerlegt und über Internetplattformen verteilt werden – ohne feste Arbeitsverträge.

Ein Manager der Plattform Crowdflower: „Bevor es das Internet gab, wäre es sehr schwierig gewesen, jemanden zu finden, der zehn Minuten für einen arbeitet und den man, nachdem er diese zehn Minuten gearbeitet hat, wieder entlassen kann.“ (ZEIT ONLINE, 21.1.2016)

Heimarbeit auf Abruf – wo sie am billigsten ist, in Asien zum Beispiel.

Unter der Digitalisierung am meisten leiden werden jedoch Menschen, die dort heute noch unsere Schuhe und Kleidung, Smartphones, Spielzeug etc. anfertigen. Die Automatisierung wird sie massenhaft arbeitslos machen.

Gravierend sind auch die sozialpsychologischen Folgen: Immer mehr Berufstätige werden an Burn-out, Erschöpfungssyndromen, stressbedingten Erkrankungen, an sozialer Entfremdung und Isolation leiden.

Die Digitalisierung wird unsere gesamte Arbeits- und Lebenswelt völlig verändern, auch den Menschen; sie wird vor allem die heranwachsenden Generationen vor Probleme stellen, die nicht mehr zu lösen sind.

Währenddessen driftet unsere Gesellschaft immer weiter auseinander. Eine weitere GroKo wird das nicht ändern. Denn mit den kleinen, systemimmanenten Korrekturen ihres Programms kann sie ihrer Klientel Sand in die Augen streuen, aber nicht die politischen Voraussetzungen für eine lebenswerte Zukunft für alle Menschen in Deutschland schaffen.

Am 15. Februar in der Frankfurter Rundschau und am 21. gekürzt in den Zeitungen des Medienhauses Bauer. Herausgenommen wurden die meines Erachtens ebenso wichtigen Sätze »Viele Aufgaben können heute leicht zerlegt und über Internetplattformen verteilt werden – ohne feste Arbeitsverträge.

Ein Manager der Plattform Crowdflower: „Bevor es das Internet gab, wäre es sehr schwierig gewesen, jemanden zu finden, der zehn Minuten für einen arbeitet und den man, nachdem er diese zehn Minuten gearbeitet hat, wieder entlassen kann.“ (ZEIT ONLINE, 21.1.2016)

Heimarbeit auf Abruf – wo sie am billigsten ist, in Asien zum Beispiel.

Unter der Digitalisierung am meisten leiden werden jedoch Menschen, die dort heute noch unsere Schuhe und Kleidung, Smartphones, Spielzeug etc. anfertigen. Die Automatisierung wird sie massenhaft arbeitslos machen.«

 

Wilhelm Neurohr: PRIVATISIERUNGSWELLE BEI AUTOBAHNEN UND SCHULEN PER GRUNDGESETZÄNDERUNG

Leserbrief an das Medienhaus Medienhaus Bauer (Politik-Redaktion der Recklinghäuser Zeitung):

 PRIVATISIERUNGSWELLE  BEI AUTOBAHNEN UND SCHULEN  PER GRUNDGESETZÄNDERUNG?

 Sämtliche Medien richten derzeit ihren Fokus vor allem auf Erdogan, Trump und Schulz.  Dabei versäumen  sie, über die wichtigsten und skandalösesten innenpolitischen Weichenstellungen im Endstadium der großen Koalition im Bundestag zu berichten: Dort wird nämlich in diesem Monat  März klammheimlich ohne öffentliche Diskussion das größte Privatisierungsvorhaben noch schnell vor der Bundestagswahl mit Zweidrittelmehrheit durchgeboxt: Per Grundgesetzänderung in 14 Artikeln wird Tür und Tor geöffnet für die Privatisierung der Autobahnen, der Infrastruktur und sogar der Schulen!  Deshalb sind den Koalitionsparteien die medialen Ablenkungsmanöver auf andere Themen wohl ganz recht.

Mit einem neuen Artikel 104c sollen öffentlich-rechtliche Partnerschaften (ÖPP) bei Autobahnen und bei der kommunalen Bildungsinfrastruktur wie Kindergärten und Schulen ermöglicht werden, entgegen den bisherigen föderalen Zuständigkeiten auch mit Weisungsrecht des Bundes. Zugleich soll mit einem Begleitgesetz die Privatisierung auch im Schulbau beschleunigt werden. Auf ganzer Linie hat sich hier eine Lobby erfolgreich durchgesetzt, noch vorbereitet vom SPD-Politiker Sigmar Gabriel in seiner Zeit als Wirtschaftsminister mit einer Expertenkommission aus Vertretern von Banken, Versicherungskonzernen und dem Bund der Deutschen Industrie.

Nunmehr werden ÖPP-Investitionsvorhaben für förderfähig erklärt oder sind künftig sogar die Voraussetzung für eine öffentliche Förderung, mit Beratung durch die neue „ÖPP-GmbH“.  Diese ist die Nachfolge-Organisation der bisherigen Lobbyorganisation „ÖPP Deutschland AG“, die seinerzeit unter Kanzler Schröder und Minister Steinbrück an der Spitze ins Leben gerufen wurde, ganz im Geiste der neoliberalen Agenda 2010. Angeregt wurde damals diese Einrichtung vom Lobbynetzwerk „Finanzstandort Deutschland“ unter Federführung der Bauindustrie. Für die Kommunen soll künftig eine Infrastrukturgesellschaft (IfK) eingerichtet werden, damit sich öffentliche Ausschreibungen erübrigen.

Es wäre interessant, zu erfahren, was Kanzlerkandidat Martin Schulz zu diesem lobbyhörigen Deal seiner Parteifreunde aus dem  Bundestag sagt? Und wie votieren eigentlich unsere heimischen Bundestagsabgeordneten im März im Bundestag? Denn trotz durchweg negativer Berichte der Rechnungshöfe über ÖPP-Projekte an Schulen sollen nebst den Autobahnen vor allem die Schulen und Kindergärten einbezogen werden. Kritiker sehen das größte Privatisierungsprojekt seit den neunziger Jahren auf uns zukommen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund warnt bereits eindringlich vor diesen Plänen mittels der größten Grundgesetzänderung dieses Jahrzehnts.  Denn auch die 70 Änderungsvorschläge aus den Bundesländern wurden von der Bundesregierung in ihrem Entwurf nicht übernommen.

Über die Schulprivatisierung per Grundgesetz freuen sich bereits Privatunternehmen, die als Retter mit ihren Geldern „Gewehr bei Fuß“ stehen. Und das nicht nur für die Schulbauten, sondern auch für die Privatisierung in der Bildung insgesamt, von Microsoft über McKinsey bis Bertelsmann und inzwischen gebildeten „Bildungskonzernen“, die bereits in  anderen EU-Ländern Fuß fassen. Warum liest man so wenig bis fast gar nichts darüber in unseren Tageszeitungen?

Wilhelm Neurohr

Wilhelm Neurohr: FELDZUG GEGEN KORREKTUREN DER AGENDA 2010 MIT „ALTERNATIVEN FAKTEN“ UND „FAKE-NEWS“

Leserbrief an die Recklinghäuser Zeitung zu den aktuellen Berichten und Kommentaren über strittige Korrekturen an der Agenda 2010:

 FELDZUG GEGEN KORREKTUREN DER AGENDA 2010 

MIT „ALTERNATIVEN FAKTEN“ UND „FAKE-NEWS“ 

Das war vorauszusehen: Ein paar winzige Korrekturen an der sozial verheerenden Agenda 2010 durch den Kanzlerkandidaten der „gewandelten“ SPD  lösen sogleich ein reflexartiges Geschrei der Arbeitgeberverbände und der neoliberalen Netzwerke der Wirtschaftslobbyisten aus. Und das ist erst der Anfang des Wahljahres, in dem dieser Feldzug oder „Shitstorm“ gegen Schulzens unwesentliche Agenda-Korrekturen noch orkanartig anschwellen wird.

Gleiches war ja schon zuvor gegen die bescheidene  Anhebung des gesetzlichen Mindestlohnes gestartet worden, die angeblich zu Arbeitsplatzverlusten und Wirtschaftseinbrüchen führen würde. Inzwischen hat sich im Positiven das Gegenteil herausgestellt und das postfaktische Geschrei der Wirtschaftverbände mit ihren „alternativen Fakten und Zahlen“ ist verstummt. Nun kämpft man für die Beibehaltung der sachgrundlos befristeten Zeitarbeitsverträge mit der  fadenscheinigen Begründung von „besorgten Unternehmern“ etwa in der Tagesschau, dass man die Arbeitskräfte „erst nach mindestens 2 Jahren besser kennenlerne“. Das ist in Wirklichkeit nichts anderes als eine gesetzeswidrige Verlängerung der maximal zulässigen Probezeit von einem halben Jahr, also eine Option des beliebigen „Heuerns und  Feuerns“ unter Umgehung des Kündigungsschutzes.

Bei den bislang geplanten Korrekturen der Agenda 2010 in wenigen Einzelpunkten handelt es sich dabei  keineswegs um eine „Abkehr“ von der unsäglichen  Agenda 2010, wie die Arbeitgeberverbände und mit ihnen viele Medien behaupten. Deshalb ist es schlimm, dass die „Mainstrem-Medien“ einschließlich der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender sich dafür hergeben, die überwiegend auf falschen „alternativen Fakten“ beruhenden Behauptungen der Agenda-Verteidiger ungeprüft zu verbreiten und  sich dem anzuschließen. Selbsternannte Arbeitsmarkt-Experten des „Institutes der Deutschen Wirtschaft“ können sich in der Tagesschau dort als „neutrale“ Experten lang und breit über die angeblich segensreiche Wirkung der Agenda 2010 auslassen – ohne einen Fakten-Check.

Und auch der Zeitungskommentator Rasmus Buchsteiner ist wieder vorneweg dabei mit „alternativen Fakten“ wie dieser: Die „aktuell so günstige Arbeitsmarktentwicklung“ sei zu einem großen Teil „den Schröderschen Reformen zu verdanken“. Abgesehen davon, dass es sich zu einem Großteil um  prekäre Beschäftigungen handelt, die zum Lebensunterhalt kaum dauerhaft ausreichen, und dass in der Arbeitsmarktstatistik Millionen faktisch Arbeitslose nicht erfasst und ausgewiesen werden, gehört auch die „segensreiche Wirkung der Agenda 2010“ zu den „Fake-News“:

Sämtliche vorliegenden seriösen wissenschaftlichen Langzeituntersuchungen über 10 Jahre Hartz IV kommen nämlich zum gleichen Ergebnis einer Misserfolgs-Bilanz des Scheiterns; die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist unverändert geblieben. Das wird von Medien und Politikern penetrant ignoriert und totgeschwiegen, die hartnäckig und gebetsmühlenartig ohne Belege einfach das Gegenteil behaupten. Das trotzige Schönreden der gescheiterten Hartz-IV-Reform erweist sich bei Betrachtung der wissenschaftlich einhellig belegten Fakten als billige Propaganda der Neoliberalen.

Was würde es erst für ein Riesengeschrei geben, wenn der Europapolitiker Martin Schulz vorschlagen würde, das Rentenniveau im reichsten EU-Land Deutschland von 43% nicht nur auf wieder 50% anzuheben, wie von den Gewerkschaften und der Linkspartei gefordert, sondern dem Durchschnittsniveau der EU-Länder oder der OECD-Industrieländer  anzupassen: Dann läge das auskömmliche Rentenniveau auch bei uns nämlich bei 70 Prozent statt auf dem letzten Platz! Doch keine Angst: Schulz begnügt sich mit etwas Aufstockung für die diejenigen Rentner knapp über der Armutsgrenze. Wohin die Reise nach dem Willen der Wirtschaft und der ihnen zugeneigten Konservativen gehen soll, hat ja der CDU-Spitzenpolitiker Jens Spahn dieser Tage verkündet: „Mehr Geld fürs Militär und weniger für Sozialleistungen“.

Wilhelm Neurohr

Prof. Mohssen Massarrat: Statistik der Unterbeschäftigten

Leserbrief zu: „Weniger Arbeitslose“, FR-Wirtschaft vom 1. Dezember 2016:

Haben Sie in den letzten Jahren schon mal davon gehört, dass in Deutschland die Zahl der Arbeitslosen ansteigt? Pünktlich zu Ende November verkündete die Bundesagentur für Arbeit mit gut 2,5 Millionen Arbeitslosen den tiefsten Stand seit 1991. Sämtliche Medien verbreiteten diese fröhliche Nachricht. Nur „ZDF Heute Plus“ um Mitternacht vom 30. November wollte sich mit dem „Vierteljahrhundertereignis“ nicht abfinden.

„Die Zahlen auf dem Arbeitsmarkt werden nämlich seit Jahren vor allem schöngerechnet“, kommentierte die Moderatorin. „Bei Statistiken hängt alles von der Berechnungsmethode ab“, wurde im anschließenden Bericht konkretisiert. Und sie „wurde seit 1986 nämlich 17-mal verändert. Überraschung – fast immer danach sind auch die Arbeitslosenzahlen gesunken“. Denn wer arbeitslos ist, wird immer wieder neu definiert.

Konkret wurden bei aktuellen Zahlen 74 866 Arbeitslose nicht mitgezählt, weil sie im Augenblick krankgemeldet sind. Mitgezählt wurden auch nicht 173 782 Arbeitslose, die gegenwärtig eine Fortbildung machen. Aus der Arbeitslosenstatistik fallen auch 160 834 Personen heraus, weil sie über 58 Jahre alt und schwer vermittelbar sind. Nicht mitgezählt werden ferner 87 668 Ein-Euro-Jobber, die bei kommunalen Einrichtungen tätig sind, um ihr Arbeitslosengeld aufzustocken.

Alle diese Gruppen, die im Grunde arbeitslos sind und auch Arbeitslosengeld erhalten, werden unter dem Begriff „Unterbeschäftigte“ zusammengefasst, deren Zahl insgesamt im letzten November an eine Million heranreicht, so die „Heute Plus“-Redaktion. Ohne eine derartige Manipulation der Zahlen wäre die Arbeitslosenquote im November 2016 in Wirklichkeit 7,8 Prozent und nicht, wie behauptet, 5,7 Prozent.

In den Ohren von mindestens 3,5 Millionen Arbeitslosen, die keine Aussicht auf einen Job haben, muss die Ungeheuerlichkeit der mit großem Tamtam auf Pressekonferenzen der Bundesagentur für Arbeit verbreiteten Nachricht, dass die Arbeitslosenzahlen einen neuen Tiefpunkt erreicht haben, ziemlich zynisch klingen. Man braucht sich also auch nicht zu wundern, wenn die betroffenen Menschen ihr Vertrauen in eine Politik verlieren, die – statt auf einen substanziellen Politikwechsel – auf ein Schönrechnen der Zahlen setzt.

Wohin dieser Vertrauensverlust führt, zeigen die Wahlsiege der AfD bei den letzten Landtagswahlen, die nachweislich auf einen großen Zulauf der Arbeitslosen zu dieser Partei zurückzuführen sind.

Prof. Mohssen Massarrat, Osnabrück

[Frankfurter Rundschau vom 10./11.12.2016]

Wilhelm Neurohr: „GLAUBWÜRDIGKEITSVERLUST DER EU BEI CETA LIEGT NICHT AN DEN WALLONEN“

 Leserbrief an die Recklinghäuser Zeitung zum Artikel vom 25.10.206: „Die Glaubwürdigkeit der EU steht auf dem Spiel“ mit Kommentar von Tobias Schmidt: „Demokratie in Europa bleibt auf der Strecke“.

„GLAUBWÜRDIGKEITSVERLUST DER EU BEI CETA LIEGT NICHT AN DEN WALLONEN“

„Wenn Ceta an den Wallonen scheitert, dann bleibt die Demokratie in Europa auf der Strecke“, so behauptet der Kommentator Tobias Schmidt dramatisierend. In Wirklichkeit würde jedoch die Demokratie in Europa dann auf der Strecke bleiben, wenn Ceta trotz des wallonischen und europaweiten zivilgesellschaftlichen Widerstandes in Kraft gesetzt würde. Denn dann würde fortan die neoliberale Wettbewerbsideologie als übergeordneter Maßstab verbindlich  darüber befinden, wann demokratisch und parlamentarisch beschlossene  Umwelt- oder Sozialgesetze und Regelungen zur öffentlichen Daseinsvorsorge als gewinnschmälernde „Handelshemmnisse“  zu beseitigen wären  – und somit wirtschaftliche Konzerninteressen verfassungswidrig über das Gemeinwohl und den Rechtsstaat mit seiner Gewaltenteilung gestellt würden. Nicht gewählte Handelskommissare und offiziell einbezogene Lobbyisten haben mittels Ceta mehr zu sagen als 28 demokratische gewählte Volksvertretungen?

In Wahrheit sind die berechtigten Kritikpunkte der Wallonen an CETA voll identisch mit den „roten Linien“, die der SPD-Konvent dazu beschlossen hatte, wie mehrere SPD-Bundestagsabgeordnete laut Presse bestätigten, über die sich aber SPD-Chef Gabriel und EU-Präsident Martin Schulz (SPD) bekanntlich hinweggesetzt haben. Dass über 2000 Kommunalparlamente in ganz Europa (die meisten auch mit Stimmen von CDU oder Konservativen) sich aus Sorge um die Kommunale Daseinsvorsorge zu „Ceta-freien Zonen“ erklärt haben, findet ebenso wenig Erwähnung in den Medien wie die 3,5 Mio. Unterschriften der Bürgerinnen und Bürger in ganz Europa gegen Ceta oder die übereinstimmenden Umfragen, wonach weit über 60% der Bevölkerung gegen Ceta und TTIP votieren, die auch zu Hunderttausenden gegen Ceta demonstrierend auf die Straße gingen.

Erst recht wird das von 250.000 Bürgen unterstützte und  noch laufende Verfassungsgerichtsverfahren ignoriert, bei dem absehbar ist, dass strenge Anforderungen auch an die notwenige Beteiligung des nationalen Parlamentes vor der voreiligen Unterzeichnung  und anstelle einer „vorläufigen“ Inkraftsetzung gestellt werden. So hat die EU laut europäischem Gerichtshof auch keinerlei Zuständigkeiten für die kommunale und regionale Ebene, hier gilt das Subsidiaritätsprinzip, dennoch beschneidet Ceta  kommunale Selbstverwaltungs-Hoheiten.

Erschreckend ist nun, wie sich trotzdem  nahezu alle Medien unisono  am Wallonen-Bashing beteiligen mit Behauptungen wie: „Eine Region blockiert die EU“ oder „Die Glaubwürdigkeit der EU steht auf dem, Spiel.“  Stets erklärt man die kleinen Länder zu widerspenstigen EU-Blockierern: Mal waren es in den Medien „die Iren als unbedeutende  Schafzüchter“, die  den neoliberalen Lissabon-Grundlagenvertrag der EU blockieren wollten, mal waren es die „uneinsichtigen Griechen“, die den Brüsseler Spardiktaten nicht gehorchen wollten, nun ist es die „kleine Region Wallonien“, die sich eine demokratische Mitsprache anmaßt. Die Medienvertreter haben nicht mitbekommen: „Wallonien ist überall“ in Europa, wie allein die „taz“ in der Ausgabe vom 26. Oktober titelte.

Denn den „demokratische Glaubwürdigkeitsverlust der EU“  haben nicht die Wallonen herbeigeführt, sondern daran ist die EU-Kommission selber schuld uns gibt damit den wachsenden Europa-Skeptikern der rechtspopulistischen Szene eine Steilvorlage.  Hatte sie nicht sieben Jahre lang Geheimverhandlungen zu CETA geführt und die Kritiker und Abgeordneten vertröstet, dass sie erst das endgültige Verhandlungsergebnis abwarten sollten. Nun liegt es vor und es erhebt sich begründete Kritik, aber nun fordern die Medien unisono, die Entscheidungen müssen zentral im bürgerfernen Brüssel und Straßburg und nicht zugleich in den Nationalparlamenten unter Zeitdruck erfolgen: „Das EU-Parlament soll allein entscheiden“.

Haben die Medienvertreter übersehen, dass dem EU-Parlament, das ebenfalls jahrelang die Geheimdokumente der verhandelnden EU-Beamten  nicht einsehen durfte, gar kein richtiges Parlament ist, weil ihm die parlamentarische Kernkompetenz zu eigenen Gesetzesinitiativen ebenso fehlt wie wirksame parlamentarische Kontrollfunktionen? Und dass die EU-Abgeordneten, von denen laut Lobbycontrol über 200 über Verträge mit Wirtschaftsunternehmen Nebeneinnahmen erzielen, nur über Listen gewählt werden, es also gar keine Wahlkreise und Direktkandidaten  gibt und damit auch keinen Bürgerdialog vor Ort? Und dass mit wenigen Ausnahmenfällen sämtliche ausgeschiedenen EU-Kommissare anschließend ohne Karenzzeit zu Finanz- und Wirtschaftsunternehmen oder Lobbyverbänden für ihre ehemaligen Aufgabengebiete gewechselt haben? Solange diese skandalösen Zustände und eklatanten Demokratie-Defizite bei der EU nicht grundlegend verändert werden, solange können demokratische Entscheidungskompetenzen nicht allein auf die Zentralebene verlagert werden. sondern die EU schafft sich dann selber ab, auch ohne die Wallonen.

Wilhelm Neurohr

Wilhelm Neurohr: „CETA-BESCHLUSS OFFENBART ABGRÜNDE IM DEMOKRATIEVERSTÄNDNIS DER SPD“

Leserbrief an das Medienhaus Bauer, Marl, zu den Berichten über CETA-Beschluss auf dem SPD-Konvent

 „CETA-BESCHLUSS OFFENBART ABGRÜNDE

IM DEMOKRATIEVERSTÄNDNIS DER SPD“

Die SPD offenbart mit ihrem umstrittenen CETA-Beschluss auf dem Parteikonvent „Abgründe in ihrem Demokratieverständnis“ und zeigt damit „Lust am Untergang“.  Ihre „soziale Seele“ hat die SPD bereits mit ihrer Agenda 2010 verkauft und damit die  Hälfte ihrer Wähler und Mitglieder verloren. Nun hat die „sozial-demokratische“ Partei mit der kompromissbereiten CETA-Zustimmung  auch noch ihre „demokratische Seele“ verkauft und riskiert damit als „seelenlose“ Partei den Verlust der übrigen Hälfte ihrer Anhänger. Die „Gesichtswahrung“ für ihren Parteivorsitzenden Gabriel war ihnen wichtiger als die grundlegende Sachentscheidung über den gefährdeten  Handlungsspielraum der parlamentarischen Demokratie infolge CETA.

Wie kann eine demokratische Partei faktisch die „Selbstentmachtung der gewählten Parlamente“ beschließen und die Ablösung des Primats der Politik durch den Primat der Wirtschaft akzeptieren, die künftig über die völkerrechtlichen Freihandelsabkommen den Regierungen und Parlamenten den politischen Handlungsspielraum für gesetzliche Regulierungen einschränkt!? Zahlreiche Gutachten von Völkerrechtlern und Verfassungsrechtlern halten CETA in großen Teilen für verfassungswidrig und 125.000 Bürger haben bereits eine gemeinsame Verfassungsbeschwerde eingereicht, die größte Bürgerklage seit Bestehen der Bundesrepublik. Von den Hunderttausenden Demonstranten oder den 3,5 Mio. Unterschriften und 2000 Ratsbeschlüssen gegen CETA in ganz Europa erst gar nicht zu reden, von denen sich die SPD-Spitzer nicht umstimmen lässt.

  ROTE LINIEN ÜBERSCHRITTEN

 Die mutlose Parteibasis der SPD und ihre Delegierten ohne Rückgrat können einem leidtun, schließlich sind sie ja irgendwann einmal in die Partei eingetreten, um Politik mitgestalten zu können im Rahmen „innerparteilicher Demokratie“. So haben sie auf einem Parteitag mit breiter Mehrheit „rote Linien“ beschlossen, die mit CETA nicht überschritten werden dürfen. Doch die Partei-Oberen scheren sich weder um die Meinung ihrer Basis noch der Bevölkerungsmehrheit: Vorstand und Präsidium der SPD sowie der kleine Parteikonvent setzen sich einfach über die demokratischen Parteitagsbeschlüsse der Parteibasis hinweg, obwohl die selbst gesetzten „roten Linien“ zu CETA in vollem Umfang überschritten werden.

Dies wird selbst von der SPD-Arbeitsgemeinschaft der Juristen (ASJ)festgestellt, die in der Aussage gipfelt: „CETA ist ein weiterer Baustein zu einer internationalen Wirtschaftsverfassung unter neoliberalen Vorzeichen. Sozialdemokratische Politik wird in Zukunft strukturell erheblich in die Defensive gedrängt, wenn sie diese Entwicklung nicht erkennt und sie umkehrt“. Doch weder die Juristen in der SPD im Einklang mit dem deutschen Richterbund, noch die SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen oder die SPD-Jugendorganisation (Jusos), nicht einmal die Grundwerte-Kommission unter Prof. Gesine Schwan und Alterspräsident Erhard Eppler oder die Ex-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin konnten den SPD-Vorstand von einer CETA-Ablehnung überzeugen

 „NACHVERHANDLUNGEN“ UNWIRKSAM

 Die als Kompromiss von Gabriel trickreich vorgeschlagenen, aber  aussichtslosen und unwirksamen „Nachverhandlungen“ zu Einzelpunkten von CETA  in Form, „klarstellender Protokollnotizen“ ändern daran keinen Deut und sind pure Augenwischerei, denn das Heft des Handelns liegt gar nicht bei der SPD, sondern bei der bei der „großen Koalition“ im EU-Parlament und bei EU-Kommission, die substantielle Nachverhandlungen ablehnt und  über den Europäischen Gerichtshof sogar  die rechtliche Notwendigkeit zur Beteiligung der Nationalparlamente in Frage stellt.

Der Europarechtler Wolfgang Weiß von der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer hält „rechtliche Nachverhandlungen “für wenig wirksam. In seinem Ceta-Gutachten schreibt er: „Die beabsichtigten Präzisierungen werden, wenn überhaupt, erst in vielen Jahren wirksam werden“.

In der SPD bleibt dennoch also „alles beim Alten“: Zuerst folgt die gehorsame Basis den Basta-Drohungen ihres Vorsitzenden Gerhard Schröder, (dessen Beratervertrag bei der Rothschild-Bank laut Presse übrigens erst vor 2 Wochen abgelaufen ist). Dann akzeptieren sie ohne Widerspruch die geforderte „Beinfreiheit“ für ihren selbst ernannten Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück. Und nun fallen sie (aus wahltaktischer Rücksichtnahme) auf die Verfahrenstricks ihres Vorsitzenden Gabriel folgsam herein. Offensichtlich will sich die älteste Partei Deutschlands demnächst mit einstelligen Wahlergebnissen begnügen oder begeht „Selbstmord aus Angst vor dem Tode“…Eine rot-rot-grüne Mehrheit nach der Bundestagswahl kann die SPD damit vergessen, denn Die Grünen wie die Linkspartei werden wohl nicht mit einem CETA-Befürworter koalieren. Vielleicht wollte Gabriel damit die Fortsetzung der großen Koalition?

Wilhelm Neurohr

[Am 19. 09. 16 per Email des Autors]

Wilhelm Neurohr: Offener Brief an den CDU-Landesvorsitzenden NRW Armin Laschet – Haltung zur CETA Parlamentsbeteiligung

Verkl. Kopie von Europa-FlaggeSehr geehrter Herr Laschet,

den Pressemeldungen der letzten Tage entnehme ich, dass Sie die politische (und rechtlich fragwürdige) Auffassung der EU-Kommission teilen, dass bei CETA eine Beteiligung der Nationalparlamente nicht erforderlich sei. Sie halten die Zustimmung des EU-Parlamentes und  der Nationalregierungen für ausreichend, da es sich angeblich  „um ein reines Handelsabkommen“ handeln würde. Ähnlich hatte sich auch die Kanzlerin und CDU-Bundesvorsitzende zuvor geäußert.

Zugleich werfen Sie jedoch den CETA-Kritikern und Befürwortern einer Bundestags-Beteiligung vor, diese würden sich mit ihrer Forderung nach demokratischer Parlamentsbeteiligung auf das Niveau der Rechtspopulisten begeben und damit aus dem Brexit nichts gelernt zu haben. Auch scheinen Sie die Gutachten von zahlreichen Völker- und Staatsrechtlern sowie ehemaligen Verfassungsrichtern zu ignorieren, die diese Vorgehensweise als nicht mit unserem Grundgesetz vereinbar ansehen. Schon zum EU-Lissabon-Vertrag hatte unser Bundesverfassungsgericht in vielen Punkten auf eine notwendige Einbindung des Bundestages verwiesen.

Ganz offensichtlich spielen Sie damit die keineswegs nur „von rechtsaußen“, sondern quer durch alle politischen Lager und auch wissenschaftlich sowie von Verbänden etc. seit langem kritisierten unbestreitbaren Demokratie-Defizite der EU und deren Exekutivlastigkeit bei Gesetzesvorgaben und Entscheidungsprozessen herunter, die nicht mit unserem Verständnis von Gewaltenteilung kompatibel ist.

Damit offenbaren Sie ihre eigene Lernunfähigkeit und die der Landes-CDU bei den Konsequenzen aus dem Brexit und dem europaweiten politischen Rechtstrend sowie mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit und Reformnotwendigkeit  der EU.

Offensichtlich ist Ihnen entgangen, dass mit CETA (ebenso mit TTIP und TISA) von nicht gewählten Handelskommissaren unter intensiver Beteiligung von Lobbyisten Regelungen vorgesehen werden, die unsere in langjährigen parlamentarischen Verfahren und öffentlichen Diskursen demokratisch errungenen Regelungen zum Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherschutz, zum Arbeits-, Tarif- und Sozialrecht sowie zur kommunalen Selbstverwaltung aushebeln und unser Parlament zur Ohnmacht zwingen.

Diese Kritik kommt auch von ideologisch unverdächtiger Seite wie von den kommunalen Spitzenverbänden, den kirchlichen Organisationen, dem Kulturrat und Richterbund, dem Bundesverband der mittelständischen Unternehmen u. v. m., also nicht nur von den Sozial- und Umweltverbänden und Gewerkschaften etc. Hunderte Kommunalparlamente haben sich (auch mit CDU-Zustimmung vor Ort) ebenso kritisch geäußert. Darüber setzt sich der CDU-Landesvorsitzende einfach hinweg?

Schon bei der Großdemonstration in Berlin seitens der CETA-und TTIP-Kritiker mit 250.000 Telnehmenden wurde die Behauptung in die Welt gesetzt, dass diese besorgten Menschenmassen von der Pegida-Bewegung gesteuert wären, bis eine seriöse Untersuchung der Universität Göttingen anhand der genauen Teilnehmerstruktur belegte, welcher Unfug da verbreitet wurde, um die CETA-Kritiker als angeblich von rechts fremdgesteuert zu diffamieren.

Sollte CETA auf die geplante Weise mit CDU-Unterstützung durch die EU „durchgedrückt“ werden gegen den Willen einer Mehrheit von 60% in der Bevölkerung (laut Umfragen), dann wird das zu noch mehr EU-  und Demokratieverdrossenheit führen und auch zum Unmut gegenüber Ihrer Partei.

Auch viele Wähler und CDU-Mitglieder an der Basis, die aus guten Gründen eine ablehnen Haltung zu CETA haben und weitaus besser über die Inhalte informiert sind als die meisten Spitzenpolitiker, soviel konnte ich regional beobachten, sind über Ihre Aussagen ebenso empört wie viele andere. Bei der nächsten Landtagswahl wird es deshalb mit Sicherheit eine deutliche Quittung für Ihre Landespartei geben, weil sich die Menschen nicht in die rechte Populisten-Ecke von Ihnen stellen lassen, da Sie offenbaren, dass Sie sich weder vertieft mit der CETA-Problematik befasst haben noch den Brexit-Weckruf richtig einordnen können – und  damit der Europa-Idee und der Demokratie einen Bärendienst erweisen. Von Ihnen hätte ich politisch und intellektuell etwas anderes erwartet als platten Gegenpopulismus.

Mit enttäuschten Grüßen

Wilhelm Neurohr

Mitglied des Präsidiums des Gemeinnützigen Instituts für Wissenschaft, politische Bildung & gesellschaftliche Praxis NRW e.V.

Lochtruper Str. 7, D-45721 Haltern am See

+49(0)2364/6043104

w.neurohr@iwipo.eu

www.iwipo.eu

www.Wilhelm-Neurohr.de

 

Wilhelm Neurohr: „TIEFSTAPELEI ÜBER DIE WIRKLICHE ZAHL DER TTIP-KRITIKER UND IGNORANZ GEGENÜBER IHREN BERECHTIGTEN BEDENKEN“

Leserbrief  zum Leitartikel und Kommentar in den Zeitungen des Medienhauses Bauer, Marl , vom 25. April 2016: „An TTIP scheiden sich die Geister“

„TIEFSTAPELEI ÜBER DIE WIRKLICHE ZAHL DER TTIP-KRITIKER UND IGNORANZ GEGENÜBER IHREN BERECHTIGTEN BEDENKEN“

Was uns im Leitartikel auf der Titelseite vom 25.April 2016 unter der Überschrift „An TTIP scheiden sich die Geister“ als „Analyse unserer Nachrichtendienste“ aufgetischt wurde, war aus meiner Sicht ein journalistisches Armutszeugnis, das keinem Faktencheck standhält und keinen wirklichen Informationsgehalt hat, sondern zur Desinformation beiträgt. Der Gipfel der Unseriösität war der dazu abgedruckte Kommentar von Thorsten Henke, der den TTIP-Kritikern fälschlich  „Anti-Amerikanismus unterstellt“ und in diesem Zusammenhang quasi ihre Undankbarkeit gegenüber den damaligen Befreiern von der Nazi-Herrschaft beklagt. Geht es sein wenig sachlicher beim Thema Freihandel, Herr Henke, bei Ihrem kläglichen Versuch, die Leser über vermeintliche „Vorteile“ des TTP“ Abkommens-„aufzuklären“? Ganz offensichtlich sind die Menschen aus allen gesellschaftlichen Bereichen und Gruppierungen weitaus besser und fundierter über TTIP aufgeklärt als die meisten Medienvertreter, die scheinbar vorgefertigte Argumentationsbausteine der EU-Kommission, des Wirtschaftsministers oder der Wirtschaftsverbände abschreiben statt sauber zu recherchieren.

Der fragwürdige Leitartikel beginnt mit der in den Medien mittlerweile üblichen Tiefstapelei über die tatsächliche Zahl der Demonstrationsteilnehmer in Hannover anlässlich des TTIP-Werbefeldzuges von Obama und Merkel. (Letztere ist übrigens nach eigenen Worten „Treiberin des Abkommens“ und weniger die Amerikaner, die vorzugsweise ihr transpazifisches Abkommen TPP mit dem asiatischen Raum dem auch in den USA ungeliebten TTIP mit Europa vorzogen). Anstatt die von den Organisatoren tatsächlich gezählten 90.000 Demonstrationsteilnehmer am Samstag wahrheitsgetreu zu erwähnen, beginnt der Artikel mit 200 Demonstranten der Nachhut am nachfolgenden Sonntag. Immerhin werden im Nachsatz die von der Polizei lediglich geschätzten 35.000 Demonstranten vom Samstag erwähnt, derweil andere Zeitungen diese Zahl nochmals auf 25.000 einfach heruntersetzten.

Schon bei der großen Anti-TTIP-Demonstration mit 250.000 Teilnehmern im Oktober in Berlin – die größte Demonstration seit Jahrzehnten in Deutschland – drückten fast alle Medien die Teilnehmerzahl auf 100.000, sofern sie überhaupt darüber angemessen berichteten. Einige Leitmedien spekulierten sogar in ihren Kommentaren , die Hunderttausende seien von der rechten Pegida-Bewegung gelenkt worden – bis eine seriöse Untersuchung der Universität Göttingen die genaue Teilnehmerstruktur als zu 90 % aus dem eher rot-rot-grünen Spektrum  stammend belegte. Wollen manche Medien den Rechtspopulisten damit den Gefallen tun, dem Vorwurf der „Lügenpresse“ Nahrung zu geben, nur um den Interessen der TTIP-Lobby nachzukommen und die breite Widerstandsbewegung als klein und unbedeutend oder fremdgesteuert darzustellen? (Darunter die kommunalen Spitzenverbände, die Kirchen, die Sozial- und Umweltverbände, die Gewerkschaften und Berufsverbände, der Kulturrat u.v.m.) Nicht nur jeder Dritte ist gegen TTIP, wie die Medien schreiben, sondern Umfragen zufolge weit über 50%!

Unverantwortlich geht es im Leitartikel weiter mit den inhaltlichen Behauptungen zu TTIP, indem überholte und längst widerlegte Zahlen und Gutachten über die Wachstums,- Wohlstands und Beschäftigungseffekte zitiert werden, obwohl die EU-Kommission  und die Wirtschaftsverbände diese falschen Zahlen kleinlaut von ihrer Homepage genommen haben.

Sodann werden lediglich die von Kritikern angeführten Gefahren für den Umwelt- und Verbraucherschutz und die „sinnvolle Standardanpassung“ erwähnt sowie der Streit über die Sonderklagerechte der Konzerne. Die Kernkritik an TTIP wird völlig ignoriert, nämlich die Gefahr für die Demokratie und die Gewaltenteilung: Wieso verhandeln nicht gewählte Handelskommissare und einbezogene Lobbyisten unter Ausschluss der Öffentlichkeit über gesellschaftliche Grundsatz- und Zukunftsfragen wie  Arbeits- Sozial- und Tarifrechte, über Umwelt, Gesundheits- und – und Verbraucherschutz sowie Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und dergleichen. Alles gesellschaftspolitische Entscheidungen, die zuvor in jahrelangen öffentlichen Diskursen und nach mühsamem politischem Ringen durch Parlamente und mit Bürgerbeteiligung demokratisch entschieden wurden. Das alles wird jetzt in bloßen Fußnoten von Handelsverträgen zu bloßen Handelsfragen degradiert und  unter dem Aspekt von „zu beseitigenden Handelshemmnissen“  nebenbei abgehandelt – etliche Verfassungs- und Völkerrechtsexperten und ehemalige Verfassungsrichter sehen darin eindeutige Verstöße gegen das Grundgesetz..

Die Freihandelsverträge sind immerhin völkerrechtliche Verträge, die über der nationalen Gesetzgebung und über dem EU-Recht stehen und deshalb normalerweise von Regierungen und Parlamenten verhandelt und demokratisch verantwortet werden. Hiezur ist auch die Schlussbehauptung in dem fragwürdigen Leitartikel falsch, wonach es „als sicher gilt, das TTIP auch dem Bundestag zur Abstimmung vorgelegt wird“.  Diese Notwendigkeit bestreitet die EU-Kommission und hat deshalb den Europäischen Gerichtshof gebeten, das zu bestätigen, denn laut EU-Lissabon-Vertrag ist für Handelsverträge die EU-Kommission alleinzuständig – und dem hatte der Bundestag seinerzeit zugestimmt….Das alles haben die Nachrichtendienste nicht  recherchiert und die Politikredaktion  des Medienhauses Bauer weder hinterfragt noch überprüft? Also, liebe Leser: Skepsis bei allen TTIP-Artikeln in Ihrer Tageszeitung!

Wilhelm Neurohr

Wilhelm Neurohr: „Wir sollten den Niederländern mit ihrem Referendum dankbar sein“

Zum Kommentar von Rasmus Buchsteiner über das Referendum in den Niederlanden „Es gibt viele Verlierer“. Recklinghäuser Zeitung vom 8. April 2016:

„Wir sollten den Niederländern mit ihrem Referendum dankbar sein“

In seinem Kommentar zum Referendum in den Niederlanden (mit einem Mehrheitsvotum gegen den Ukraine Assoziationsvertrag der EU) spricht der Kommentator Rasmus Buchsteiner davon, dass es daraufhin viele Verlierer gebe“ und angeblich die „populistischen Euroskeptiker von links und rechts“ das Abkommen für ihre Zwecke instrumentalisiert hätten. Ist das nicht eine völlig verzerrte Einschätzung der wirklichen Verhältnisse?

Seine Behauptung (im Einklang mit den übrigen „Mainstream-Medien“) hält nämlich einer differenzierten Betrachtung nicht stand. Zunächst einmal ist nicht jeder EU-Kritiker ein „Europa-Skeptiker oder gar „Europa-Gegner“, wie die Medien populistisch etikettieren – im Gegenteil: Die meisten (wahren) Europäer wollen alternativ ein anderes vereinigtes Europa als das neoliberale EU-Projekt der Eliten mit ihren Demokratie-Defiziten, nämlich ein demokratisches, soziales und humanistisches Europa. Die EU als „Friedensnobelpreisträger“ ist ja gerade dabei, in allen Feldern das Gegenteil zu praktizieren: Sei es in der nationalistisch geprägten Flüchtlingspolitik und zuvor in der Griechenlandkrise, sei es bei den unfairen Freihandelsverträgen mit Afrika als Verstärkung statt Beseitigung von Fluchtursachen, oder sei es die von Eigeninteressen geleiteten Interventions-Kriegseinsätze mitsamt Waffenhandel weltweit, sowie nicht zuletzt bei der anhaltenden neoliberalen Umverteilungspolitik zugunsten der Reichen und zu Lasten der Armen.

Sollen EU-Kritiker das nicht thematisieren? Wenn Rasmus Buchsteiner vorwurfsvoll von Populisten in der Bevölkerung spricht, so trifft der Populismus-Vorwurf doch am ehesten auf die Asyl- und Flüchtlingspolitik der EU selber zu, die in vorauseilendem Gehorsam den rechten Rand der Gesellschaft bedient und dabei in bedenklicher Weise den Boden des Völker- und Menschenrechtes sowie des Verfassungsrechtes schrittweise verlässt.

Noch schlimmer ist die EU-Geheimpolitik bei den umstrittenen Freihandelsverträgen, zu denen auch der sogenannte „Assoziationsvertrag“ mit der Ukraine gehört – in Wirklichkeit nämlich ein fragwürdiger Freihandelsvertrag mit dem willfährigen Oligarchen Poroschenko, der als ukrainischer Staatspräsident ganz oben auf den enthüllten Panama-Papieren mit seinen Briefkastenfirmen steht. (In den Medien wird in diesem Zusammenhang aber nur das nähere Putin-Umfeld erwähnt, seitdem die annähernde Ostpolitik durch neuen kalten Krieg ersetzt wurde). Der Milliardär und „Schokoladenkönig“ Poroschenko hat auch seine Zusage nicht eingehalten, als Staatspräsident seine Firmenbeteiligungen abzugeben. Wenn das Abkommen, von dem er persönlich profitiert, auch ohne Zustimmung aller 28 EU-Staaten vorläufig d. h. unbefristet in Kraft tritt – nach dem Ausscheren der Niederlande durch eine demokratische Volksabstimmung, die in Deutschland leider verwehrt wird – wird das Demokratiedefizit der EU mehr als deutlich.

Und das soll sich bei den von einer Bevölkerungsmehrheit abgelehnten Freihandelsabkommen TTIP und CETA fortsetzen: Letzteres wird nun sogar ohne die versprochene Beteiligung der Nationalparlamente „vorläufig“ von der EU einfach in Kraft gesetzt, obwohl darin weitere demokratische Grundregeln übergangen werden. Warum also der Vorwurf von Rasmus Buchsteiner, die Niederländer hätten „wieder einmal Nein gesagt“? Dabei hatten sie schon 2005 den „richtigen Riecher“, als sie ebenso wie die Franzosen und Iren, den neoliberal geprägten „EU-Verfassungsentwurf“ per Referendum ablehnten, der dann aber durch den gleichlautenden „EU-Lissabon-Vertrag“ ohne Bürgerbeteiligung einfach ersetzt wurde. Und darin steht eben im Artikel 207, dass die EU-Kommission ohne nationale Parlamentsbeteiligung solche Freihandelsverträge abschließen kann. Dem Grundsatz hatte der Bundestag seinerzeit so zugestimmt und wundert sich nun, dass er außen vor ist und die Bevölkerung dagegen rebelliert.

Wir sollten den Niederländern also dankbar sein, statt ihnen Vorwürfe zu machen, Herr Buchsteiner, denn dort gibt es wenigstens so etwas wie Basisdemokratie .mit der Chance, das Projekt „Europa von unten“ vor dem Zugriff der neoliberalen Eliten auf demokratische Weise zu retten und damit auch den politischen Rechtstrend in Europa zu stoppen. Dann gibt es wieder viele Gewinner und wenige Verlierer statt umgekehrt, um die Überschrift von Rasmus Buchsteiner zurechtzurücken.

Wilhelm Neurohr

GLOBALISIERUNG. Begriff und Geschichte

„Unter «GLOBALISIERUNG» versteht man die Zunahme internationaler Wirtschaftsbeziehungen und -Verflechtungen und das Zusammenwachsen von Märkten für Güter und Dienstleistungen über die Grenzen einzelner Staaten hinaus, wobei internationale Kapitalströme und die Diffusion neuer Technologien eine große Rolle spielen. (…) Neben der seit langem zunehmenden Integration des Welthandels für fertige Produkte kommt es zu einer verstärkten Integration und grenzüberschreitenden Organisation der Produktion und der produktionsnahen Dienstleistungen. Die Absatzmärkte werden global, so allerdings auch die Konkurrenzsituation.“

Dies ist eine allgemein gängige Definition aus Lexas Information Network, scheinbar objektiv, wertfrei, eine wissenschaftliche Definition. Globalisierung als ein ökonomischer Prozess. Der übliche Reduktionismus * unserer westlichen Wissenschaft. Denn Globalisierung bedeutet mehr und noch vieles andere. Franz-Johannes Litsch hat es sehr eindrucksvoll beschrieben.** Aber das interessiert diejenigen, die die ökonomische Globalisierung betreiben und am meisten davon profitieren, am wenigsten.

Betrachten wir doch einmal diese materielle Seite der Globalisierung! Schauen wir genau hin! Was passiert denn da? Oder –  was ist da schon alles passiert? Was hängt womit zusammen?
Nach meiner Auffassung ist die ökonomische Globalisierung, wie sie jetzt stattfindet, eine Fortsetzung des Kolonialismus mit noch wirksameren Methoden. Ein Neokolonialismus, deren Folgen weit katastrophaler sind als die des alten Kolonialismus, der im Altertum verhältnismäßig friedlich begann, als Phönizier etwa 1000 Jahre v. u. Zr. die ersten Pflanzstädte im Mittelmeerraum gründeten, Karthago z. B. Alles andere als friedlich waren dann die Raub- und Eroberungszüge im so genannten Zeitalter der Entdeckungen, dem 15.-17. Jh., beginnend mit der Landung des Kolumbus im Jahre 1492 in Amerika:

Die Eroberung der Amerikas (Nord-, Süd-, Mittel-A.) vollzog sich „in einer ausgeprägten Conquistamentalität, die über die Ureinwohner ungeheures Leid gebracht hat“, schrieb der Franziskanerpater Andreas Müller OFM in einer Gedenkschrift zu den Kolumbus-Jubelfeiern im Jahre 1992.

„Ganze Völker wurden ausgerottet, Kulturen zerstört, und bis heute gehören die Nachkommen der großen Kulturvölker der Indianer zu den meist recht- und schutzlosen Randsiedlern der Gesellschaft.“ ***  Teile der heutigen USA waren einmal Kolonien: Englands. Und es gab den Sklavenhandel in den USA, den Handel mit Menschen, bis 1862.

Europäer waren es, die fortan einen Kontinent nach dem andern ausgeplündert und ihre Völker enteignet haben. Auch das deutsche Kaiserreich war daran beteiligt, konnte jedoch mit den großen Kolonialmächten (Frankreich, England, Spanien, Portugal) nicht mithalten und verlor 1918 ihren ebenfalls unrechtmäßig erworbenen Kolonialbesitz.

Die rasante Industrialisierung in Europa und in den USA, die moderne Technik, der Reichtum, fast alles, was auch heute unseren materiellen Wohlstand ausmacht, wäre ohne die Sklavenarbeit indigener Völker und ohne die Rohstoffe, die Lebensmittel, die Genussmittel, ohne das Raubgut aus den Kolonien nicht möglich gewesen.

Die Kolonialherrschaft der Europäer wurde in den 60er Jahren beendet; geblieben ist ein Kolonialismus, der unter dem Namen «GLOBALISIERUNG» als ein Segen für alle Menschen angepriesen wird.

Wir sollten uns aber fragen, ob wir nicht auch Nutznießer/innen dieser Globalisierung sind, ob uns das Elend, das sich über den ganzen Planeten ausbreitet, kalt lässt und ob wir das Gewaltpotenzial in uns selber nicht umwandeln müssen in heilsame Energie.
———–
* «Reduktionismus», philosph. Begriff, der eine Wissenschaft bezeichnet, die seit Newton und Descartes komplexe, multikausale Zusammenhänge ignoriert und alle Phänomene, alles Geschehen auf eine einfache Ursache-Wirkung-Linie zurückführt (reduziert).
** Siehe F-J. Litsch: Buddhismus und Globalisierung
→  http://www.buddhanetz.org/texte/globalisierung.htm
***  Aus: 500 Jahre Indiowiderstand. 500 Jahre Evangelisierung in Lateinamerika. Hsg. Missionszentrale d. Franziskaner, Bonn 1990

Von blog.de (03. 06. 2009) übernommen.