Nach der Bundestagswahl hochaktuell: Kirche von unten, Kirche von oben – Der Fall „Heinrich Knechten “ – Offener Brief an den Bischof von Münster. 18. März 1984

Von Dietrich Stahlbaum

Im September 1982 übernimmt ein junger Priester sein Amt als Kaplan in Oer-Erkenschwick, einer kleinen Bergarbeiterstadt im Kreis Recklinghausen. Er macht bald die Erfahrung, daß – wie er später schreibt – „politische ´Neutralität` die herrschenden Kräfte unterstützt, die Arbeitslosigkeit, Umweltzerstörung, Kriegsgefahr und Elend in der ´3. Welt` verursachen.“

Er wird im Januar 1983 Mitglied der Grünen Wählergemeinschaft Oer-Erkenschwick, baut einen „3. Welt“- Laden auf und bezahlt die 400 DM Miete aus seiner Tasche.

Er engagiert sich in der Friedensbewegung, wendet sich in einer Predigt zum Thema „Frieden bei Franziskus und heute“ und in einem Leserbrief gegen die sogenannte Nachrüstung, moderiert eine Podiumsdiskussion zum Thema „Atomwaffenfreie Zone Oer-Erkenschwick“ und betreut als Seelsorger vor allem Jugendliche, Senioren und Frauen.

Sein Eintritt in die Grüne Wählergemeinschaft löst eine Auseinandersetzung aus, die seine Pfarrgemeinde, die Kirchenbehörde und den Bischof von Münster, die örtliche Presse und natürlich auch ihn ein Jahr lang beschäftigt.

Er gibt eine öffentliche Erklärung ab, in der er zu seiner Parteinahme für die Grüne Wählergemeinschaft Stellung nimmt.

Er nennt vier Gründe:

  1. „Einsatz für die soziale Not der ´3. Welt´ erfordert nicht nur karikative Tätigkeit, sondern auch politische Arbeit, da die Verursacher der Not (Banken, internationale Konzerne) auch in Deutschland anzutreffen sind.“
  2. „Friedensarbeit: Es ist meine Überzeugung, daß wir in Christus Frieden finden, aber diese Überzeugung hat auch Konsequenzen. Wenn das Überleben der Menschheit in Frage gestellt ist durch die augenblickliche Hochrüstung, wenn Millionen verhungern, weil das notwendige Geld anstatt in Entwicklungsprogramme in Rüstungsausgaben geht, darf ich als Priester nicht neutral bleiben.“
  3. „Ökologie: Wenn unsere Umwelt stirbt, kann ich es nicht mit bloßen Appellen bewenden lassen. Gott hat die Welt geschaffen, nicht damit wir sie zerstören und damit der Generation nach uns die Lebensmöglichkeiten nehmen.“   
  4. „Frauenbewegung: Gewalt gegen Frauen, ungleiche Ausbildung und Bezahlung, ungerechte Renten, anstehender Militärdienst der Frauen, ungenügender Mutterschutz; die doppelte Unterdrückung der Frauen in der ´3. Welt´ – all das erfordert politische Arbeit.

Dies sind auch die Ziele der Wählergemeinschaft der Grünen Oer-Erkenschwick.“

Er erhält anonyme Anrufe, z. B.: „Wir brauchen einen Kaplan und keine grüne Tomate.“ Drohungen, Briefe. Die Leiterin der Seniorengruppe schreibt unter anderem: „Es ist mir mich unvorstellbar, daß sich ein Priester so erniedrigt… Ich kenne viele Mütter, die sehr traurig darüber sind, weil ihre Kinder sich auch in diesem grünen Milieu bewegen.“

Die Erkenschwicker Zeitungen veröffentlichen Leserbriefe und Erklärungen des Pfarrgemeinderats gegen den „grünen Kaplan – oder wie es heißt – „grünen Wolf im Schafspelz“.   

Und ein Mitglied des Pfarrgemeinderats erklärt: „Eine Mitgliedschaft (des Kaplans) in der Union hätte keinen so großen Wirbel ausgelöst…“

Im Februar 1983 erklären sich sechs katholische Pfarrer und Kapläne aus den Nachbargemeinden öffentlich mit ihm solidarisch.

Weitere Leserbriefe, in denen für den Kaplan Stellung genommen wird, erscheinen.

Im Juni, bei einem Gespräch mit zwei Leuten aus der Kirchenleitung, zitiert einer von ihnen aus einem Heft „Die chaotische Welt der Grünen“, herausgegeben von einem evangelischen Pastor, den Ausspruch der Alternativen Liste Berlin: „Wir sind gegen die Ehe“ und behauptet, die Grüne Wählergemeinschaft Oer-Erkenschwick sei gegen die Ehe eingestellt.

Ihm wird eine Versetzung angedroht. Er bittet den Bischof, halbtags seelsorgerisch in der Gemeinde, halbtags körperlich arbeiten zu dürfen, weil ihm „die Notwendigkeit, sich auf Dauer in der Arbeitswelt (und in der Welt der Arbeitslosen) zu engagieren, deutlicher“ wird.

Er will als Priester seinen Lebensunterhalt durch körperliche Arbeit verdienen und nicht von der Kirchensteuer leben, deren Abschaffung er fordert.

Er will nicht im Pfarrhaus wohnen, weil dies ein Privileg ist, das einem Priester nicht zusteht, sondern in einem Wohngebiet einfacher Menschen und so wie sie.

Im November 83 wird er vom Bischof von seinen Aufgaben als Kaplan der Pfarrgemeinde St. Josef „befreit“. Dazu der Pfarrgemeinderat in einer öffentlichen Erklärung: „Wir respektieren den Entschluß unseres Kaplans, wenn er den Wunsch hat, sich nach einem neuen Betätigungsfeld umzusehen. Und der Bischof weigert sich, die Gründe für die Amtsenthebung des Kaplans öffentlich zu nennen. Schließlich stimmt der Kaplan dem Vorschlag des Bischofs zu, für mein Jahr, also für eine begrenzte Zeit, als Pfleger in einem Bildungs- und Pflegeheim für Schwerbehinderte zu arbeiten, um danach halbtags Gemeindearbeit und halbtags körperliche Arbeit zu verrichten.

Bei einem Vorstellungsgespräch in diesem Heim wird ihm erklärt, er werde für mehrere Jahre acht Stunden lang als Pfleger eingesetzt, er wolle ja Arbeiterpriester werden. Und: „Wenn die Mitarbeiter den Eindruck haben, hier sollte ihnen eine verkrachte Existenz zwischengeschoben werden, würde er bei denen kein Bein auf die Erde bekommen.“

Im Januar 84 erfolgt die Versetzung in das Bildungs- und Pflegeheim in Gescher. Er wird vom Bischof zum „Mitarbeiter“ ernannt, im Vertrauen des Bischofs darauf, daß er sein „Amt als ´guter und treuer Knecht` (Mt. 25, 21 ff.)  zur Ehre Gottes und zum Heil der Menschen versehen“ wird.

Er weigert sich, diese Stelle anzutreten, weil er sich betrogen sieht.

Er wird für drei Jahre beurlaubt und ist seit vorgestern nach einem befristeten Arbeitsvertrag in den Opelwerken Bochum wieder arbeits- und mittellos.

* * *

Offener Brief an den Bischof von Münster

Herrn Dr. Lettmann

Domplatz 27

4400 Münster

Sehr geehrter Herr Bischof Lettmann!

Wir – die Delegierten der GRÜNEN aus NRW, darunter viele katholischen Glaubens, die z. Zt. hier in Marl versammelt sind, sind bestürzt über die von ihnen verfügte Amtsenthebung und Strafversetzung des Kaplans Heinrich K n e c h t e n aus Oer-Erkenschwick.

Dieser junge Kaplan, übrigens kein Mitglied unserer Partei, hat sich in vorbildlicher Weise um soziale und ökologische Probleme gekümmert.

Er hat Partei ergriffen für die Armen und Schwachen. Er hat vielen, vor allem jungen Menschen geholfen, wieder Mut zu fassen. Er hat sich für den Frieden eingesetzt und damit gegen die menschen- und völkerverachtende Politik der atomaren Abschreckung, gegen die Zerstörung der Natur durch militärische und industrielle Gewalt, gegen die Ausplünderung der Rohstoffländer und der Völker der „Dritten Welt“ durch die Industrienationen und gegen Engstirnigkeit und Apathie in unserer Gesellschaft.

Er hat seinen Wehrpaß zerschnitten und mit einem Begleitschreiben je zur Hälfte an das Bundesverteidigungsministerium und an das Kreiswehrersatzamt Recklinghausen geschickt.

Er hat sich so verhalten, wie es auch Nichtchristen von einem Menschen, der das Leben des Jesus von Nazareth nachzuleben versucht, erwarten. Er hat, wie dieser Unruhe in seine Gemeinde gebracht. Er hat, wie dieser, Menschen schockiert und erschüttert. Er hat aufgerüttelt.

Die Folge war, daß führende und einflußreiche Mitglieder der Pfarrgemeinde St. Joseph, in der Mehrzahl Mitglieder der CDU und sogar Ratsherren der CDU-Fraktion, gegen Kaplan Heinrich Knechten agitiert und seine Kaltstellung betrieben haben. Die Folge waren Unterstellungen, Beschimpfungen, Drohungen und Behinderungen seiner Arbeit, aber auch solidarische Interventionen durch zahlreiche Mitglieder seiner Pfarrgemeinde und Pfarrer aus Nachbargemeinden.

Die Mitgliedschaft eines katholischen Geistlichen in einer Grünen Wählergemeinschaft und seine Kandidatur für den Stadtrat kann kein Grund zur Amtsenthebung und Strafversetzung sein; denn es gibt viele katholische Priester, die Mitglied, Mandatsträger und Funktionäre der CDU und der CSU sind.

Wir bestreiten der Kirche das Recht, Menschen zu verknechten, auch wenn sie Knechten heißen.

Wir erwarten, daß Sie bei künftigen Konflikten dieser Art Entscheidungen treffen, die die im Grundgesetz verankerten Rechte aller Bundesbürger nicht einschränken.

Mit freundlichen Grüßen

Die Landesversammlung der GRÜNEN NRW.

Gez. Dietrich Stahlbaum, Kreissprecher

* * *

Dr. Heinrich Michael Knechten (71) ist seit 1991 Pfarrer der russisch-orthodoxen Gemeinde der heiligen Boris und Gleb in Datteln-Horneburg dst.

Jetzt aktualisiert bei allen Versandbuchhandlungen abrufbar: „Das Buch in der Wolke. Work in Progress“

Coverbild für "Das Buch in der Wolke"

 Klappentext:

„Book in Progress“? Dieses 14. E-Book soll nun wirklich das allerletzte sein. Ein Experiment. Ich bin 93 und kann den natürlichen Alterungsprozess nicht aufhalten, höchstens verzögern. Die Produktivität lässt, wie der Geschlechtstrieb, nach. Das Gehirn arbeitet langsamer.  Gedächtnis, Denken, Sprechen und Schreiben brauchen mehr Zeit. Das Langzeitgedächtnis ist besser als das kurzzeitige. Mir fallen Ereignisse, Erlebnisse, Begegnungen, Menschen und Orte und deren Namen ein, die mich irgendwann mal in meinem Leben beeindruckt haben müssen, längst vergessen sind oder überhaupt nicht existiert haben. „Dichtung und Wahrheit“. Goethe.

Zum Beispiel das Gedicht „Frühlingsglaube“ von Ludwig Uhland, das ich persifliert habe, obwohl ich es wahrscheinlich nie gekannt habe. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, ob wir es im Deutschunterricht „durchgenommen“ haben. Dennoch kam mir die Anfangszeile „Die linden Lüfte sind erwacht“ bekannt vor. Bei Wikipedia fand ich dann die Bestätigung, dass es dieses Gedicht tatsächlich gibt.

Ich werde bis zu meinem Lebensende oder solange ich sehen, denken und empfinden kann, Sehenswertes fotografieren, das Zeitgeschehen beobachten und kommentieren, literarisch arbeiten und die Produkte nach und nach in diesem E-Book publizieren.

Das Buch kann jetzt zum aktuellen Preis von € 0,99 auf ein Lesegerät oder einen PC hier heruntergeladen werden -> https://www.bookrix.de/_ebook-dietrich-stahlbaum-das-buch-in-der-wolke/

 

Am 7. Mai erinnert Vietnam an die Schlacht um Dien Bien Phu, die vor 65 Jahren zum Ende der Kolonialherrschaft Frankreichs in Ostasien geführt hat

Am 7. Mai 1954 erlitten die in 300 km Luftlinie westlich von Hanoi eingekesselten französischen Truppen eine folgenschwere Niederlage.  Sie ergaben sich nach 57 Tagen der Übermacht. Die Verluste waren auf beiden Seiten sehr hoch, besonders bei uns in der Legion, wo jeder Zweite Deutscher war.

Ich habe nach Recherchen aus authentischen französischen und vietnamesischen Quellen und nach Berichten von Legionären und Offizieren der französischen Fremdenlegion darüber in meinem Roman »Der Ritt auf dem Ochsen oder auch Moskitos töten wir nicht« berichtet. Ein Roman über Gewalt, Krieg und buddhistischen Pazifismus in Vietnam, zügig niedergeschrieben in den Jahren 1995-99.

   Deshalb verstehe ich mein Buch als Beitrag zur Versöhnung zwischen den einst verfeindeten Völkern. dst.

Dietrich Stahlbaum

Soldauszahlung in DBP
Soldauszahlung in Bien Phu am 5. Dezember 1953. Dritter von links: Dietrich Stahlbaum

Der Roman:

Reinhard Ganz, Veteran der französischen Fremdenlegion, erhält 40 Jahre nach dem Ende des Indochinakrieges Post aus Hanoi: Aufzeichnungen seines Freundes Miroslav Prochazka, der 1954 in Dien Bien Phu verwundet wurde und seitdem verschollen ist. Er erinnert sich an ihre gemeinsame Zeit in Algerien und Vietnam (1949-54), an einen Krieg, der sie verändert, und an ein Volk, das sich vom Kolonialismus befreit hat.

Im zweiten Teil des Romans schildert Miroslav seinen Weg zu einem engagierten Buddhismus. Er ist mit Hilfe einer jungen Vietnamesin desertiert und lebt bis 1966 in einer buddhistischen Dorfgemeinschaft in den Bergen Nordvietnams. Hier haben Deserteure beider Kriegsparteien und ein verwundeter Ranger Asyl und traumatisierte Waisenkinder ein neues Zuhause gefunden. Mönche, die aus Süd- und Nordvietnam geflüchtet sind, berichten über den gewaltfreien Widerstand gegen das US-amerikanische Eingreifen in Vietnam, gegen die Saigoner Militärdiktatur und gegen Unter- drückung und Verfolgung durch das kommunistische Regime in Hanoi. Am Ende wird auch das Friedensdorf Opfer militärischen Wahns.

   Ein pazifistischer Roman über Soldaten, die erkennen müssen, dass sie nicht töten und zerstören können. Ein zeitdokumentarischer Roman über historische Hintergründe, mit Rückblenden auf eine faschistische Kindheit, auf Erlebnisse eines jungen Tschechen im antifaschistischen Widerstand und auf die ersten Nachkriegsjahre in Ost und West. Ein Entwicklungsroman, der das Wesentliche buddhistischer Lehre und Kultur aus der Sicht eines vermeintlich aufgeklärten Europäers vermitteln und auf ihre Aktualität hinweisen soll.

Mein Carnet des services aériens mit Eintrag 5..-6.12.1953 DBP
Mein Carnet des services aériens mit Eintrag 5..-6.12.1953 DBP

Die Printausgabe des Buches (Aachen 2000) ist vergriffen, Neuauflage seit I/2012 als eBook →  http://www.bookrix.de/_ebook-dietrich-stahlbaum-der-ritt-auf-dem-ochsen-oder-auch-moskitos-toeten-wir-nicht/ 

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Tiens, bien fou! Zum Jahrestag der Schlacht von Dien Bien Phu vor 65 Jahren

Als wir hier [mit unseren Fallschirmen, dst.] gelandet waren und uns versammelten, da drüben am Fluss, ging einer von uns auf den kleinen Hügel und schaute sich um. Er kam zurück und sagte: „Tiens, bien fou!“ Seitdem heißt dieses Plateau nicht mehr Điện Biên Phủ.

Der Capitaine [des 1. Bataillons der französischen Fremdenlegion] hat keine Miene verzogen, als Yang bei einem Befehlsempfang statt Điện Biên Phủ ´Tiens, bien fou!` sagte. Er hat den kleinen Unterschied in der Aussprache wahrscheinlich gar nicht bemerkt.

(„Tiens, bien fou!“ − die Aussprache ist, bis auf das `T`, dieselbe − bedeutet, aus dem Französischen übersetzt: „Sieh da − ganz schön verrückt!“)

Vom 20. bis 23. November landeten 2200 französische Fallschirmjäger in Điện Biên Phủ. Sie sollten die Việt Minh, die Truppen der vietnamesischen Liga für die Unabhängigkeit Vietnams, in dieses Tal, 300 km Luftlinie westlich von Hanoi, locken und in einer den Indochinakrieg entscheidenden Schlacht vernichten.

Der Legionär hatte die Aussichtslosigkeit dieses Unternehmens sofort erkannt und ironisch kommentiert. Die französische Militärführung unter General Navarre hingegen hatte die Intelligenz und die strategischen Fähigkeiten des ehemaligen Lehrers Võ Nguyên Giáp völlig unterschätzt. Die Schlacht endete am 7. Mai 1954 mit einem Desaster und führte noch im selben Jahr zur Aufgabe der französischen Kolonialherrschaft in Ostasien. [Nach Wikipedia: Die Schlacht um Dien Bien Phu, französischen und vietnamesischen Quellen, sowie Berichten von Legionären und Offizieren der Legion]

Ich war als Dispatcher in der Stabskompanie des 1. BEP mitgeflogen und am 5. und 6. Dezember 1953 bei der Truppe.

Die Schlacht – sie begann am 13. März 1954 mit Artilleriefeuer der Vietminh – habe ich nicht mehr miterlebt, weil meine Dienstzeit in Vietnam am 15. März 54 abgelaufen war. Mehr hierzu und Kapitel aus meinem zeitdokumentarischen, autobiografischen Roman »Der Ritt auf dem Ochsen oder Auch Moskitos töten wir nicht« →  https://stahlbaumszeitfragenblog.wordpress.com/2015/11/15/7-mai-1954-dien-bien-phu-die-schlacht-die-zur-beendigung-der-franzoesischen-kolonialherrschaft-in-ostasien-gefuehrt-hat/

Die Printausgabe des Buches (Aachen 2000) ist vergriffen, Neuauflage seit I/2012 als eBook →  http://www.bookrix.de/_ebook-dietrich-stahlbaum-der-ritt-auf-dem-ochsen-oder-auch-moskitos-toeten-wir-nicht/

 

Zwei Lebensläufe

Zwei Lebensläufe, zwei Auffassungen, zwei Ansichten, zwei Denkweisen, zwei (Welt-) Anschauungen, zwei Lebensweisen –  da zeigt sich, wie Ereignisse, Menschen, Zufälle, wie das, was wir erfahren haben und was uns widerfahren ist, uns tief beeinflusst hat, prägt. Unsere Erinnerungen mögen verblassen; manches scheint vergessen zu sein, nicht mehr rückholbar und ist ins Unbewusste verdrängt worden, weil wir es als bedrohlich, als peinlich oder auch als unwichtig empfunden haben. Dennoch ist die Vergangenheit, die wir erlebt und erfahren haben und die teilweise nicht mehr in unserm Gedächtnis ist, vorhanden. Sozusagen in der Cloud, und uns fehlt das Passwort, der Schlüssel, um Einzelheiten abzurufen, und wir bilden uns Ereignisse und Dinge ein, die es nicht gab oder die anders waren.

Du schreibst, lieber . . .:  „Aus mir ist ein Familienvater mit 3 Kindern geworden, der sich den gesellschaftlichen Konventionen angepasst hat und gut bürgerlich sein Leben gelebt hat.“ Aus mir ist ein Familienvater mit 3 Kindern geworden, der sich den gesellschaftlichen Konventionen nicht angepasst hat und das Bürgertum, seine Herkunft, seine Geschichte und sein Wirken erforscht und kritisch hinterfragt hat.

Gesellschaftskritik ist einer meiner Schwerpunkte, auch heute. Dabei habe ich mir nicht nur Zustimmung eingehandelt, sondern zum Teil auch erhebliche Nachteile, in den 70er Jahren sogar eine rechtswidrige Kündigung durch einen nationalkonservativen Bürger und Unternehmer, dem meine gewerkschaftlichen Aktivitäten nicht gepasst haben, darunter Aufklärung der Belegschaft über ihre Rechte und Ermunterung, ihre miserablen und ihre Gesundheit gefährdenden Arbeitsbedingungen nicht unterwürfig hinzunehmen.

Aktiv im Werkkreis Literatur der Arbeitswelt, entstand damals diese realsatirische Geschichte: »Ein Schuss vor den Bauch. Alte Geschichte, wieder aufgetaucht« →  https://stahlbaumszeitfragenblog.wordpress.com/?s=Ein+Schuss+vor+den+Bauch

Seitdem habe ich Foto- /Text-Reportagen über politisch und ökologisch relevante Ereignisse in Deutschland und Frankreich veröffentlicht (Vorträge, Ausstellungen).

Woher meine kritische, mitunter skeptische Einstellung kommt? Sie entstand bereits, als ich in der Nazizeit den Konfirmandenunterricht verweigerte und, indoktrinierter Pimpf, dem Pfarrer sagte, Jesus sei Jude gewesen, und er, ich vermute, ein Deutscher Christ (DC), darauf  geantwortet hat: „Jesus  war blond wie du. Er war kein Jude.“  Das war in Friedland.

Dieter als Pimpf
Dietrich Stahlbaum als Pimpf

Ich war hell-, nicht dunkelblond und machte mir die Haare nass, um älter auszusehen.

Karlheinz Deschner PKarte

Später habe ich fast die gesamte Religions- und kirchenkritische Literatur gelesen (u. a. Voltaire, Ludwig Feuerbach, Kant, Marx, Sigmund Freud, Karlheinz Deschner, arabische und israelische Historiker und Archäologen…) und bin Agnostiker und Atheist geworden.

In Vietnam (1951-54) begegnete ich Buddhist*innen und las später buddh. Literatur, z.B. die überlieferten (Pali-) Urschriften der Reden und Lehren des Gautama Buddha. Auch er war Agnostiker und lehnte den Gottesglauben und den hinduistischen Glauben an eine „Ewige Seele“ ab.

Die Begegnungen mit Buddhist*innen haben mich zum zeitdokumentarischen Roman »DER RITT AUF DEM OCHSEN oder AUCH MOSKITOS TÖTEN WIR NICHT« angeregt. →  https://www.bookrix.de/_ebook-dietrich-stahlbaum-der-ritt-auf-dem-ochsen-oder-auch-moskitos-toeten-wir-nicht/

Der Deserteur ist Miros, mein zweites Ich, eine Kunstfigur. Ich hätte nur zu den Vietminh desertieren können. Das wollte ich nicht. Ich war längst Pazifist und, wie Goethe, Dag Hammarskjöld, Camus, Bertrand Russell, Kosmopolit.

Soweit ein kleiner Ausschnitt aus meiner Vita. Mehr in meinen Schriften. Siehe E-Books.

Allen Leserinnen und Lesern meiner Webseiten diesseits und jenseits des Atlantiks und anderer Meere wünsche ich friedliche, besinnliche und erholsame Feiertage und viele positive Energien im kommenden Jahr!
Meilleurs vœux de Noël et de Nouvel An à toutes mes amies et à tous mes amis!
Merry Christmass and good wishes for the New Year!

 

 

Jörg Sternberg: Die Waffen nieder!

Leserbrief in der Frankfurter Rundschau zu Syrien: „Der Krieg aller gegen alle“, FR-Politik vom 22. Februar:

„Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“, haben sich die Überlebenden des KZ Buchenwald über alle ideologischen Grenzen hinweg – Christen, Gewerkschafter, Sozialdemokraten und Kommunisten – 1945 geschworen. Als Kind habe ich, ohne den Sinn recht zu verstehen, beides in der Zeit der Ausläufer des Nazireichs und der Weltkriegskatastrophe noch erlebt. Wie ein NSDAP-Ortsgruppenleiter von amerikanischen Soldaten verhaftet wurde, wie ein SS-Mann die weiße Fahne vom Dach der Bürgermeisterei riss und die Panzer der Amerikaner, die schon abgerückt waren, wieder die Rohre auf die Häuser richteten. Später habe ich wie andere Lehrer und Historiker auch Schulklassen durch Buchenwald geführt, vorbei am Zoo zur Unterhaltung der Todgeweihten, den Kammern voll von Menschenhaar und Schuhen, der Genickschussanlage und den Verbrennungsöfen. Höcke und Poggenburg hätten darunter sein können.

Heute ist die Nazi-Ideologie als größte Oppositionsfraktion in den Bundestag eingezogen, in Osteuropa probt man in Großmanövern den Krieg und in Syrien drohen die Atommächte USA und Russland konfrontativ im Stellvertreterkrieg aufeinander zu stoßen, so dass selbst der deutsche Außenminister vom Abgrund redet. Der Mainstream westlicher wie östlicher Medien macht jeweils die gegnerische Seite für die Eskalation der Kriegsvorbereitungen, der militärischen wie psychologischen, verantwortlich, listet Statistiken über Aufrüstung auf, inszeniert Drohkulissen, rechtfertigt geostrategische Ansprüche, verweist auf Bündnisverpflichtungen und glaubt, sich mit Abschreckung schützen zu können.

Ja, man erklärt sogar, dass der Einsatz atomarer Massenvernichtungswaffen „im Ernstfall glaubhaft“ sein müsse. Und wenn, wie geschehen, auch nur für Minuten der Koffer mit dem Codewort für den planetaren Untergang für den Präsidenten nicht zuhanden ist, bricht im Gefolge Panik aus. Von all dem rhetorischen Gemetzel, dem Rechtfertigungsgeschwafel für immer mehr Rüstungs- und Aggressionspotenzial in einer Welt mit Hunger, Flucht und Umweltzerstörung sollte man der Überzeugung des Pazifismus folgen: Die Waffen nieder, Schwerter zu Pflugscharen. Heißt konkret für uns: Keine Exporte von Rüstungsgütern, keine Atomwaffen auf deutschem Boden, keine Interventionstruppen, keine Sanktionen, Aufbau kollektiver Sicherheitsbündnisse wie OECD, Stärkung der Völkergemeinschaft in der UN. Unrealistisch? Illusionär? Sicherlich weniger, als zu glauben, die militärischen Optionen könnten uns vor der Höllenfahrt retten.

Jörg Sternberg, Hanau

[FR. 27.02.2018]

Wilhelm Neurohr: „Schweigt die Friedensbewegung zur privaten „Münchener Sicherheitskonferenz?“

Leserbrief an das Medienhaus Bauer, Marl, zur Berichterstattung über die Münchener Sicherheitskonferenz:

„Schweigt die Friedensbewegung zur privaten „Münchener Sicherheitskonferenz?“

Die Berichte über die so genannte „Münchener Sicherheitskonferenz“ (früher hieß sie ehrlicherweise „Wehrkundetagung“ der Militärexperten und Rüstungslobby) und zuvor über den „Weltwirtschaftsgipfel von Davos“ offenbaren  uns eine äußerst bedenkliche Tendenz, die alle Demokraten eigentlich wachrütteln sollte: Nicht mehr die dafür eigentlich zuständigen und demokratisch legitimierten Gremien etwa der UN oder der EU organisieren offiziell den internationalen politischen Dialog über globale Wirtschafts- oder Friedensfragen. Sondern zunehmend sind es privat organisierte inoffizielle Großveranstaltungen auf Initiative von Wirtschafts- und Rüstungslobbyisten, die den erlauchten Teilnehmerkreis und die Themen bestimmen.  Stolz brüsten sie sich damit, diese Privatkonferenzen zu den „bedeutendsten informellen Foren“ der „Eliten“ aufgewertet zu haben, mit denen sie die offiziellen Gipfelkonferenzen der Staats- und Regierungschefs in den Schatten stellen.

Und sie bestimmen auch, welche ausgewählten Politiker – diesmal Einhundert an der Zahl – bedeutend genug sind, um von Ihnen exklusiv und selektiv eingeladen und als Redner auserkoren zu werden, nebst der Überzahl der diesmal 400 selbst ernannten zahlreichen Teilnehmern aus Wirtschaft, Lobbyverbänden, Militär und sogar Geheimdiensten. Die so geschmeichelten Politiker geben sich dort gerne die Klinke in die Hand auf den illustren Treffen, so dass auch die Medien meist unkritisch diese von staatlichen Sicherheitskräften bewachten jährlichen privaten Großveranstaltungen wie offizielle internationale Staatskonferenzen oder Wirtschaftsgipfel behandeln. Damit gehen sie alle den Interessengruppen auf den Leim und belegen die enge Verquickung zwischen Politik, Wirtschaft und Militär sowie Medienschaffenden. Nicht zuletzt geben sie damit sogar den „Verschwörungstheoretikern“ neue Nahrung, denn deren Behauptung, dass die eigentlichen politischen Entscheidungen in solchen hochkarätigen „informellen“ Zirkeln vorbereitet werden statt in den gewählten Parlamenten oder durch das Volk als Souverän, erscheint plötzlich nicht so abwegig. Nickt der Bundestag nur noch die ausgetauschten Militär-Strategien der privaten „Sicherheitskonferenz“ ab und akzeptiert die neue teure Rüstungsspirale?

Gerade die letzten drei Münchener Sicherheitskonferenzen von 2016 und 2018 haben ohne begleitende Parlamentsdebatten oder öffentlichen Diskurs bedenkliche Militär- und rüstungspolitische Vorentscheidungen als Paradigmenwechsel politisch unwidersprochen präjudiziert. Die derzeit nur geschäftsführende Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, im Vorjahr in München flankiert vom damaligen Außenminister Steinmeier und Bundespräsidenten Gauck, legt sich  in München erneut auf deutsche Auf- und Nachrüstungsverpflichtungen in nie dagewesener Höhe mit haushaltspolitischer Priorität fest. Zugleich definiert sie mit markigen Worten, am Grundgesetz meines Erachtens vorbei,  eine ganz neue militärische Rolle Deutschlands und Europas. Wen interessiert es, dass Umfragen zufolge über 70% der Deutschen sich gegen eine weitere Aufrüstung und Erhöhung des Verteidigungsetats aussprechen?

Mit einer europäischen Armee neben der NATO in einer „europäischen Militärunion“, wie kürzlich von der EU-Exekutive (am Bundestag vorbei) beschlossen,  wird die Militarisierung der Europapolitik vorangetrieben statt eine neue Abrüstungsinitiative zu starten oder Entspannungspolitik mit dem Osten. Stattdessen das Motto der 1950-er Jahre: „Wenn die Russen kommen…“. Alles läuft auf einen neuen „kalten Krieg“ hinaus, wie schon in der „Sicherheitspolitischen Agenda“ der Bertelsmann-Stiftung im Auftrag der EU vor Jahren entwickelt und empfohlen.  Demgemäß der markige Originalton von der Leyen in München: „Deutschland braucht mehr militärisches Gewicht und darf sich nicht hinter seiner Geschichte verstecken, sondern muss akzeptieren, dass unsere Soldatinnen und Soldaten auch tatsächlich eingesetzt werden, um für Sicherheit und Freiheit zu kämpfen.“ Erschreckend ist das Schweigen der Zivilgesellschaft und der kaum noch existenten Friedenbewegung dazu.                                                                                            

Wilhelm Neurohr

Uri Avnery: Eine Geschichte der Idiotie

ICH BIN wütend. Und ich habe gute Gründe, wütend zu sein.

 Ich war im Begriff, einen Artikel über ein Thema zu schreiben, über das ich seit langer Zeit nachgedacht habe.

 In dieser Woche öffnete ich die New York Times und siehe da, mein noch ungeschriebener Artikel erscheint auf ihrer Meinungsseite im Ganzen, ein Argument nach dem anderen.

 Wie kommt es dazu? Ich habe nur eine Erklärung: der Autor – ich habe den Namen vergessen – hat die Ideen mit einem magisches Mittel, das gewiss als kriminell bezeichnet werden muss, aus meinem Kopf gestohlen. Eine Person versuchte, einmal, mich deswegen umzubringen.

 Doch habe ich mich trotz allem entschieden, diesen Artikel zu schreiben.

DAS THEMA ist Idiotie. Speziell die Rolle der Idiotie in der Geschichte.

Je älter ich werde, umso überzeugter werde ich, dass reine Idiotie eine größere Rolle in der Geschichte der Nationen spielt.

Große Denker, verglichen mit denen ich nur ein intellektueller Zwerg bin, haben andere Faktoren verfolgt, um zu erklären, wie die Geschichte in ein Schlamassel verwandelt wurde. Karl Marx klagte die Wirtschaft an. Die Wirtschaft hat die Menschheit von Anfang an begleitet.

Andere klagen Gott an. Die Religion hat schreckliche Kriege verursacht und tut es noch immer. Schauen wir uns die Kreuzzüge an, die fast zweihundert Jahre in meinem Land gewütet haben. Schauen wir auf den 30jährigen Krieg, der Deutschland verwüstet hat. Kein Ende in Sicht.

Einige klagen die Rasse an. Weiße gegen die Indianer. Arier gegen Untermenschen. Nazis gegen Juden. Schrecklich.

Oder Geopolitik. Die Bürde des Weißen Mannes. Der Drang nach Osten.

Seit vielen Generationen haben große Denker nach einer tiefsinnigen Erklärung gesucht, der den Krieg verursacht. Es muss solch eine Erklärung geben. Schließlich können schreckliche Ereignisse sich nicht nur ereignen. Da muss es etwas Unerklärliches geben, etwas Unheimliches, das all dieses unerhörte Elend verursacht. Etwas, das die menschliche Rasse von Anfang an begleitet und das unser Schicksal leitet.

ICH HABE die meisten dieser Theorien meiner Zeit akzeptiert. Viele von ihnen beeindruckten mich sehr. Große Denker. Tiefsinnige Gedanken. Ich las viele dicke Bände. Aber am Ende ließen sie mich unbefriedigt.

Am Ende hat es mich getroffen. Es gibt tatsächlich eine allgemeine Kraft, die all diese historischen Ereignisse verursacht hat: die Idiotie, die Torheit.

Ich weiß, dass dies unglaubwürdig klingt. Idiotie? All diese Tausenden von Kriege? All diese Hunderte von Millionen von Opfern? All diese Tausenden Herrscher, Könige, Staatsmänner, Strategen? Alle Toren?

Vor kurzem wurde ich um ein Beispiel gebeten. „Zeige mir, wie das funktioniert,“ fragte ein ungläubiger Zuhörer.

Ich erwähnte den Ausbruch des ersten Weltkrieges, ein Ereignis, das das Gesicht Europas und der Welt für immer veränderte und der nur fünf Jahre, bevor ich geboren wurde, endete. Meine früheste Kindheit wurde im Schatten der Katastrophe verbracht.

Es geschah folgendermaßen:

Ein österreichischer Erzherzog wurde in der Stadt Sarajewo von einem serbischen Anarchisten getötet. Es geschah fast durch Zufall. Der geplante Versuch scheiterte, aber der Terrorist stieß zufällig später noch einmal auf den Herzog und tötete ihn.

Und nun? Der Herzog war eine ganz unbedeutende Person. Tausende solchef Aktionen haben sich vorher und danach ereignet. Aber dieses Mal dachten österreichische Staatsmänner, dass dies eine gute Gelegenheit wäre, den Serben eine Lektion zu lehren. Sie nahm die Form eines Ultimatums an.

Keine große Sache. So etwas geschieht immer wieder. Aber das mächtige russische Reich war mit Serbien verbündet, deshalb hat der Zar eine Warnung erlassen: er befahl, die Mobilisierung seiner Armee, nur um seine Ansicht durchzusetzen.

In Deutschland gingen alle roten Lichter an. Deutschland liegt in der Mitte Europas und hat keine unüberwindlichen Grenzen, keine Meere, kein hohes Gebirge. Es war umgeben von zwei großen Militärmächten, Russland und Frankreich. Jahrelang hatten deutsche Generäle darüber nachgedacht, wie das Vaterland gerettet werden kann, wenn es von beiden Seiten gleichzeitig angegriffen wird.

Ein Meisterplan entwickelte sich. Russland war ein riesiges Land, und es würde mehrere Wochen dauern, bis die russische Armee mobilisiert war. Diese Wochen müssen ausgenützt werden, um Frankreich zu zerschlagen, die Armee umzudrehen und die Russen anzuhalten.

Es war ein brillanter Plan, der bis ins kleinste Detail von brillanten militärischen Planern ausgearbeitet war. Aber die deutsche Armee wurde vor den Toren von Paris angehalten. Die Briten intervenierten und halfen Frankreich. Die Folge war ein Krieg von vier Jahren, in denen sich wirklich nichts bewegte, außer dass Abermillionen menschlicher Wesen hingeschlachtet oder zum Krüppel gemacht wurden.

Am Ende wurde ein Frieden geschlossen, ein Frieden, der so dumm war, dass er einen zweiten Weltkrieg unvermeidbar machte. Dieser brach kaum 21 Jahre später aus mit einer viel größeren Anzahl von Todesfällen/ Gefallenen.

VIELE BÜCHER sind über den „Juli 1914“ geschrieben worden, den entscheidendsten Monat, in dem der 1. Weltkrieg unvermeidbar wurde.

Wie viele Leute waren in die Entscheidungsfindung in Europa involviert? Wie viele Herrscher, Könige, Minister, Parlamentarier. Generäle – ganz abgesehen von Akademikern, Journalisten, Schriftstellern und anderen?

Waren sie alle dumm? Waren sie alle blind gegenüber dem, was sich in ihrem Lande und auf ihrem Kontinent zutrug?

Unmöglich, man ist versucht, aufzuschreien. Viele von ihnen waren äußerst kompetente, intelligente Leute, Leute, die die Geschichte kannten. Sie wussten alles über die früheren Kriege, die während Jahrhunderten in Europa gewütet haben.

Aber all diese Leute spielten ihre Rolle, den schrecklichsten Krieg in den Annalen der Geschichte zu verursachen. Ein Akt reinster Idiotie-

Der menschliche Verstand kann solch eine Wahrheit nicht akzeptieren. Da muss es andere Gründe geben. Tiefsinnige Gründe. Sie schrieben unzählige Bücher, um zu erklären, warum dies logisch war, warum es geschehen war, welches die „hintergründigen“ Ursachen waren.

Die meisten dieser Theorien sind sicherlich plausibel. Aber verglichen mit den Auswirkungen, sind sie kümmerlich. Millionen Menschen marschierten hinaus, um geschlachtet zu werden, singend und fast tanzend vertrauten sie ihrem Herrscher, König, Präsident, Oberkommandeur. Und kehrten nie zurück.

Konnten all diese Führer Idioten sein? Sicherlich konnten sie und sie waren es.

ICH BRAUCHE nicht die Beispiele von tausenden ausländischer Kriege und Konflikte zu nennen, weil ich mitten in solch einem gerade jetzt lebe.

Es ist egal, wie er zustande kam. Die gegenwärtige Situation ist die, dass in dem Land, das gewöhnlich Palästina genannt wird, zwei Völker von verschiedenen Ursprüngen, Kulturen, Geschichte, Religion, Sprachen, Lebensstandard u.a. m. leben. Sie sind jetzt von mehr oder weniger gleichem Umfang.

Zwischen diesen beiden Völkern hat sich seit mehr als einem Jahrhundert ein Konflikt abgespielt.

Theoretisch gibt es nur zwei vernünftige Lösungen: entweder sollen die beiden Völker zusammen als gleiche Bürger in einem Staat leben oder sie sollen Seite an Seite in zwei Staaten leben.

Die dritte Möglichkeit ist keine Lösung – ein ewiger Konflikt, ein ewiger Krieg.

Dies ist offensichtlich so einfach, sie zu leugnen, ist reine Idiotie.

In einem Staat zusammen zu leben, klingt logisch, ist es aber nicht. Es wäre ein Rezept für einen ständigen Konflikt und internen Krieg. Es bleibt also nur, was „Zwei-Staaten für zwei Völker“ genannt wird.

Als ich direkt nach dem 1948er-Krieg, in dem Israel gegründet wurde, darauf hinwies, war ich mehr oder weniger allein. Jetzt ist es ein weltweiter Konsens, überall – außer in Israel.

Gibt es eine Alternative? Es gibt keine. Man macht mit der gegenwärtigen Situation weiter: ein kolonialer Staat, in dem 7Millionen israelische Juden 7 Millionen palästinensische Araber unterdrücken. Die Logik sagt, dass dies eine Situation ist, die so auf Dauer nicht bestehen kann. Früher oder später wird sie zusammenbrechen.

Was sagen unsere Führer dazu? Nichts. Sie geben vor, sich dieser Wahrheit nicht bewusst zu sein.

An der Spitze der Pyramide haben wir einen Führer, der intelligent aussieht, der gut spricht, der kompetent erscheint. Tatsächlich ist Benjamin Netanjahu ein mittelmäßiger Politiker, ohne Vision, ohne Tiefe. Er gibt nicht einmal vor, dass er eine andere Lösung hat. Auch seine Kollegen und möglichen Erben haben keine Lösung.

Was ist das also? Es tut mir leid, dies zu sagen: es gibt dafür keine andere Definition als dass dies die Herrschaft der Idiotie ist.

Uri Avnery vertritt seit 1948 die Idee des israelisch-palästinensischen Friedens und die Koexistenz zweier Staaten: des Staates Israel und des Staates Palästina, mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt. Uri Avnery schuf eine Weltsensation, als er mitten im Libanonkrieg (1982) die Front überquerte und sich als erster Israeli mit Jassir Arafat traf.

Uri Avnery und Arafat
Uri Avnery trifft Jassir Arafat – Foto Uri Avnery 1982

Er stellte schon 1974 die ersten geheimen Kontakte mit der PLO-Führung her. 1993 begründete er mit Freunden die israelische Friedensinitiative Gusch Schalom , erhielt 1997 den Aachener Friedenspreis , 2008 die Carl-von-Ossietzky-Medaille der Internationalen Liga für Menschenrechte und viele andere Auszeichnungen.

Der 1923 in Beckum geborene jüdische Politiker, Schriftsteller und Journalist war als Kind mit seinen Eltern aus dem Münsterland nach Israel ausgewandert und zehn Jahre lang Abgeordneter der Knesset.

[Uri Avnery-Texte, 18. November 2017., dt. Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert]

Neuerscheinung: Dietrich Stahlbaum: Pfingsten am Reihersee und der Heilige Geist (eBook)

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Neuerscheinung: Dietrich Stahlbaum: Pfingsten am Reihersee und der Heilige Geist

Erlebtes, Erdachtes

Kurzgeschichten, Satiren, Reportagen, Berichte, Reime

Klappentext:

Literatur nach der Maxime „Vielfalt statt Einfalt“: Storys aus fast neunzig ereignisreichen Lebensjahren des Autors – vom Ende der Weimarer Republik bis zur Gegenwart. Auch Realsatiren sind dabei. Spontane Einfälle. Fotos.

INHALT:

 Meine ersten anatomischen Kenntnisse

Pfingsten am Reihersee. Erinnerung

Deutschland 1933. Kindheit im Faschismus. Romankapitel

Erst Kaiser-treu, dann Hitler-treu. Von deutschem Bürgertum. Romankapitel

Luftsprünge mit dem Schulgleiter

So war das in der Nazizeit. Romankapitel

Ich kann nicht mehr auf harten Stühlen sitzen. Eine autobiografische Rekonstruktion

Begegnungen in Algerien 1950. Fremdenlegionäre gehen fremd. Romankapitel

Ein Schuss vor den Bauch (1978). Aus der Arbeitswelt

Plogoff: 6 000 Jahre Widerstand in der Bretagne. Foto-Text-Reportage 1980

Eine Reise nach gestern. Mit Ostvertriebenen in Schlesien

Die Grünen wollten es dem Sozialminister einmal zeigen. Realsatire

Die Grünen, die Kriegsgräberfürsorge und der Kleine Mann. Realsatire

Der Atheist und das Vaterunser. Realsatire

Auf der Erde ist der Teufel los oder Jesus, Anarchist. Satire

Der Glaube an einen unbekannten Herrn. Satirischer Dialog

Aphorismen, Reime, Bilder etc. pp.

Hinweise zu einem Blogbeitrag und weiteren eBooks

Stichwörter:

Anti-Atombewegung, Aphorismen, Arbeitswelt, Atheismus, Autobiografie, Autobiografisches, Belletristik, Christentum, Flugsport, Fotografie, Fotos, Frankreich, Fremdenlegion, Glaube, Humor, Jesus, Kindheit, Kindheitserlebnisse, Krieg, Kurioses, Légion Étrangère, Literatur, Nationalismus, Nationalsozialismus, Ökologie, Ostvertriebene, Politik, Protest, Rassismus, Reime, Religion, Reportagen, Satiren, Unternehmer/innen, Zeitzeuge, Zweiter Weltkrieg

Dietrich Stahlbaum: Pfingsten am Reihersee und der Heilige Geist    Erlebtes, ErdachtesKurzgeschichten, Satiren, Reportagen, Berichte, Reime                    

BookRix 2017, 11589 Wörter. ISBN: 978-3-­7396-9749-9

Das eBook kann für 3,99 € auf Ihren Computer oder ein Lesegerät hier heruntergeladen werden →  https://www.bookrix.de/_ebook-dietrich-stahlbaum-pfingsten-am-reihersee-und-der-heilige-geist/

Neuerscheinung: »Verschiedene Ansichten. Neue zeitkritische Beiträge« von Dietrich Stahlbaum

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Klappentext:

Auch für den 90-Jährigen ist es eine „Selbstverständlichkeit, das Zeitgeschehen kritisch zu begleiten und im Netz mitzudebattieren.“ Dies ist nun sein 10. eBook, Fortsetzung des neunten mit Beiträgen des letzten Jahres (2016) zu den gleichen Themen (aktuelle Politik, Globalisierung, Kolonialismus, Krieg und Pazifismus, Flüchtlinge, Fluchtursachen, alte und Neue Rechte, ihr Rassismus, ihre Ängste; philosophische Betrachtungen…) Dazu: Die Arier.  Der folgenschwere Missbrauch eines Begriffes durch Rassisten, Verschwörungstheorien; Entwicklungshelfer – ein Afrika-Fest in Bild und Text, Wer war Martin Luther?… – Rezension eines außergewöhnlichen Buches und ein Zeitungsbericht zu Stahlbaums 90.

Der Autor: geboren 1926, aufgewachsen in einem völkisch deutsch-nationalen Milieu, militaristisch erzogen, faschistisch indoktriniert. „Hitlerjugend“, Militär, I944-45 an zerbröckelnden Fronten, 1949-54 bei der Fallschirmtruppe der französischen Legion in Algerien und Vietnam. Heimkehr als Kriegsgegner. Engagement in Bürgerinitiativen und in der Friedens- und Ökologiebewegung. Berufe: u. a. Fabrikarbeiter, Buchhändler, Verlagsangestellter, Bibliothekar. Publikationen: Prosa, Lyrik, Essays, Reportagen etc. Ein Roman, ein „Lesebuch“, Print- und eBooks.

INHALT:

Verschiedene Ansichten – – Warum feiert heute der Nationalkonservatismus Urständ in Europa? – – Gesamtkultur, Menschheitskultur – – „Fremde“ Kulturen und Verhaltensweisen – – Historische Fluchtursachen – – Deutsche Auswanderer, deutsche Kolonialherrschaft – – PEGIDA, AfD und CO. verbreiteten verschwörungstheoretische Übertreibungen – – „Völkisch“ – – Muslimvereine – – Araberinnen – – Die Arier. Der folgenschwere Missbrauch eines Begriffes durch Rassisten – – Verschwörungstheorien. Eine WDR-Sendung und kritische Anmerkungen – – Multi-ethnischer Staat in Syrien? – – Zur Klimaerwärmung – – Afrika-Fest am 11.Juni 2016 auf dem Schulbauernhof in Recklinghausen (Bild und Text) – – Pazifisten – – Raus aus der NATO? Die Friedensbewegung im „Kalten Krieg“. Wortprotokoll einer Diskussion (1983) – – Der Gewalt (in uns) ein Ende setzen – – Das zurück gegebene Schwert. Eine vietnamesische Legende – – Barack Obama – – Herz und Hirn – – Frauen, die für Gleichberechtigung kämpfen – – Der SPD ist die soziale Kompetenz verloren gegangen – – Wer war Martin Luther? Was hat er gelehrt? Was hat er gewollt? Rezension – –  90 Jahre mitten im Strom der Zeit. Ein Lebensbericht

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Dietrich Stahlbaum:  »Verschiedene Ansichten- Neue zeitkritische Beiträge«                   BookRix-eBook  2017, 11658 Wörter, € 3,99, ISBN: 978-3-7396-9350-7

Das eBook kann für € 3,99 auf Ihren Computer oder ein Lesegerät heruntergeladen werden.