Wilhelm Neurohr: Verteilungsgerechtigkeit: „Irgendwann gehört alles einem Einzigen“

Noch nie zuvor hat sich weltweit und in Deutschland die Reichtumskonzentration auf einige Wenige einerseits und die gleichzeitige Verarmung eines Großteils der Bevölkerung andererseits so krass entwickelt wie seit dem neoliberalen Siegeszug der Finanzoligarchie, die nachweislich mit den politischen Eliten personell eng verflochten ist.

20 Jahre lang haben lobbyhörige Regierungen in Deutschland unter verschiedenen Parteikonstellationen mit ihrer Politik die Umverteilungen von unten nach oben nicht nur ungebremst geschehen lassen und geduldet, sondern politisch ermöglicht und forciert: 13 Jahre unter Kanzlerin Merkel, davon 9 Jahre GroKo mit der SPD und 4 Jahre schwarz-gelb mit der FDP sowie vorher 8 Jahre rot-grün unter Schröder mit der SPD und den Grünen. Daran wird auch die auf der Kippe stehende GrOKO nach 100 Tagen Amtszeit nichts ändern.

„Nützliche Idioten“

Nicht zuletzt die EU hat vor und nach der Finanzkrise die ungerechte Umverteilungspolitik wesentlich begünstigt und beschleunigt. In einem Kommentar im Feuilleton der konservativen Frankfurter Allgemeinen Zeitung heißt es dazu unter der Überschrift „Der Krieg der Banken gegen das Volk“ bereits in 2011:

„Wenn die Troika aus EZB, Europäischer Union und IWF verkündet, dass die Bevölkerung aufkommen müsse für das, was die Reichen sich nehmen, stehlen, am Finanzamt vorbeischleusen, so ist das keine politisch neutrale Haltung. Hier wird unfair erlangter Reichtum privilegiert. Ein demokratisches Fiskalregime würde progressive Steuern auf Einkommen und Grundbesitz erheben und Steuerflucht ahnden“.

Deshalb spricht der Kommentator Michael Hudson mit Blick auf die dafür verantwortlichen Politiker zutreffend von „nützlichen Idioten“. Und das ist das Ergebnis des eklatanten Politikversagens in punkto „sozialer Gerechtigkeit“:

  • 45 Superreiche in Deutschland besitzen so viel wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung (Quelle: isw)
  • Dem reichsten 1% in Deutschland gehört 40,5% des Vermögens (Quelle: Statistikportal Sozial Statista)
  • Die reichsten 10% in Deutschland besitzen 52% des Nettovermögens (Neue Passauer Presse 2013/ Zahlen des Bundessozialministeriums)
  • Den reichsten 5% in Deutschland gehört die Hälfte aller Wohnungen und Häuser (Quelle: WDR)

Weltweit ist die Reichtums-Verteilung oder Verteilungs-Ungerechtigkeit ebenso erschütternd:

  • Die 62 reichsten Menschen der Welt besitzen so viel wie die 3,6 Mrd. ärmsten (Quelle: Deutschlandfunk Kultur)
  • 8 Milliardäre besitzen mehr als die ärmere Bevölkerungshälfte (Quelle: Oxfam)
  • 1% der Weltbevölkerung hat mehr als alle anderen 99% (Quelle: Zeit online)
  • Einer hat soviel wie 58 Millionen andere zusammen (Quelle: Deutschlandfunk Kultur)
  • Die reichsten 1% besitzen mehr als 50% des globalen Vermögens (Quelle: Telepolis)
  • Die 85 reichsten Menschen in der Welt besitzen so viel Vermögen wie die andere Hälfte der Weltbevölkerung (Quelle: Oxfam)

Wenn nicht politisch gegengesteuert wird, dann könnte in wenigen Jahren die Schlagzeile absehbar wie folgt lauten:

  • „Jetzt gehört einem Einzigen ganz Deutschland und alles in der Welt“

Wie ist das mit dem Regierungsziel eines sozialeren Deutschland und Europa oder mit der versprochenen „Bekämpfung von Korruption und Fluchtursachen in den ärmeren Ländern“ vereinbar?

Solange führende Politiker nach ihrer Amtszeit in die Finanzwirtschaft wechseln oder umgekehrt Investment-Banker von Goldman-Sachs als Staatssekretäre beim deutschen SPD-Finanzminister Olaf Scholz anheuern, solange ausgeschiedene EU-Kommissionspräsidenten wie Emmanuel Barroso selber als Lobbyisten bei Goldman-Sachs einsteigen, und solange eine deutsche Bundeskanzlerin ihre auf Staatskosten ausgetragene Geburtstagsfeier für den damaligen Chef der kriminellen Deutschen Bank, Josef Ackermann, als angemessen in einer „marktkonformen Demokratie“ verteidigt – solange wird sich an diesen sozialen Ungerechtigkeiten nichts ändern…

Wilhelm Neurohr

Eine Runderneuerung mit gravierenden Mängeln. Die GroKo und ihr Vertrag

Leserbrief an das Medienhaus Bauer, Marl, und an die Frankfurter Rundschau zum GroKo-Vertrag  vom 7. Februar 2018:

Eine weitere Groko? Das wäre eine Runderneuerung mit gravierenden Mängeln: Zum Beispiel fehlen im Koalitionsvertrag Hinweise auf die negativen Folgen der Digitalisierung. Existentielle Fragen, die sich daraus ergeben, werden nicht beantwortet. (Kapitel IV.5. „Digitalisierung“ und V.1. „Gute Arbeit“ (S. 37, 50 im Entwurf).

Nach einer Umfrage des IT-Verbands Bitkom unter 500 deutschen Unternehmen werden in Deutschland rund 3,4 Millionen Stellen allein in den kommenden fünf Jahren weg fallen, weil Roboter oder Algorithmen die Arbeit übernehmen. (FAZ, 02.02.2018) Viele Aufgaben können heute leicht zerlegt und über Internetplattformen verteilt werden – ohne feste Arbeitsverträge.

Ein Manager der Plattform Crowdflower: „Bevor es das Internet gab, wäre es sehr schwierig gewesen, jemanden zu finden, der zehn Minuten für einen arbeitet und den man, nachdem er diese zehn Minuten gearbeitet hat, wieder entlassen kann.“ (ZEIT ONLINE, 21.1.2016)

Heimarbeit auf Abruf – wo sie am billigsten ist, in Asien zum Beispiel.

Unter der Digitalisierung am meisten leiden werden jedoch Menschen, die dort heute noch unsere Schuhe und Kleidung, Smartphones, Spielzeug etc. anfertigen. Die Automatisierung wird sie massenhaft arbeitslos machen.

Gravierend sind auch die sozialpsychologischen Folgen: Immer mehr Berufstätige werden an Burn-out, Erschöpfungssyndromen, stressbedingten Erkrankungen, an sozialer Entfremdung und Isolation leiden.

Die Digitalisierung wird unsere gesamte Arbeits- und Lebenswelt völlig verändern, auch den Menschen; sie wird vor allem die heranwachsenden Generationen vor Probleme stellen, die nicht mehr zu lösen sind.

Währenddessen driftet unsere Gesellschaft immer weiter auseinander. Eine weitere GroKo wird das nicht ändern. Denn mit den kleinen, systemimmanenten Korrekturen ihres Programms kann sie ihrer Klientel Sand in die Augen streuen, aber nicht die politischen Voraussetzungen für eine lebenswerte Zukunft für alle Menschen in Deutschland schaffen.

Am 15. Februar in der Frankfurter Rundschau und am 21. gekürzt in den Zeitungen des Medienhauses Bauer. Herausgenommen wurden die meines Erachtens ebenso wichtigen Sätze »Viele Aufgaben können heute leicht zerlegt und über Internetplattformen verteilt werden – ohne feste Arbeitsverträge.

Ein Manager der Plattform Crowdflower: „Bevor es das Internet gab, wäre es sehr schwierig gewesen, jemanden zu finden, der zehn Minuten für einen arbeitet und den man, nachdem er diese zehn Minuten gearbeitet hat, wieder entlassen kann.“ (ZEIT ONLINE, 21.1.2016)

Heimarbeit auf Abruf – wo sie am billigsten ist, in Asien zum Beispiel.

Unter der Digitalisierung am meisten leiden werden jedoch Menschen, die dort heute noch unsere Schuhe und Kleidung, Smartphones, Spielzeug etc. anfertigen. Die Automatisierung wird sie massenhaft arbeitslos machen.«

 

Lorenz Gösta Beutin*, DIE LINKE, im Bundestag: „..ohne dass nur eine Glühbirne im Lande flackert!“

Der Ausstieg aus Kohle, aus Öl, aus Gas ist machbar ohne Wohlstandsverlust, Stromausfälle oder Deindustrialisierung. Wirtschaftsministerium und Bundesnetzagentur haben vorgerechnet, dass mindestens 7 Gigawatt Kohlekraft vom Netz gehen können. Sofort, ohne dass nur eine Glühbirne im Lande flackert. Die neue Wirklichkeit ist längst nicht mehr so, wie es die Querfront der Klimaschutzverweigerer von AfD, FDP, Union und Groko-SPD immer wieder an die Wand malt.

[Fraktion DIE LINKE. im Bundestag , 21.11.2017]

*Es ist die erste Rede des am 24. September 2017 in den Bundestag gewählten Landessprechers der Linken in Schleswig Holstein.

 

Wilhelm Neurohr: PRIVATISIERUNGSWELLE BEI AUTOBAHNEN UND SCHULEN PER GRUNDGESETZÄNDERUNG

Leserbrief an das Medienhaus Medienhaus Bauer (Politik-Redaktion der Recklinghäuser Zeitung):

 PRIVATISIERUNGSWELLE  BEI AUTOBAHNEN UND SCHULEN  PER GRUNDGESETZÄNDERUNG?

 Sämtliche Medien richten derzeit ihren Fokus vor allem auf Erdogan, Trump und Schulz.  Dabei versäumen  sie, über die wichtigsten und skandalösesten innenpolitischen Weichenstellungen im Endstadium der großen Koalition im Bundestag zu berichten: Dort wird nämlich in diesem Monat  März klammheimlich ohne öffentliche Diskussion das größte Privatisierungsvorhaben noch schnell vor der Bundestagswahl mit Zweidrittelmehrheit durchgeboxt: Per Grundgesetzänderung in 14 Artikeln wird Tür und Tor geöffnet für die Privatisierung der Autobahnen, der Infrastruktur und sogar der Schulen!  Deshalb sind den Koalitionsparteien die medialen Ablenkungsmanöver auf andere Themen wohl ganz recht.

Mit einem neuen Artikel 104c sollen öffentlich-rechtliche Partnerschaften (ÖPP) bei Autobahnen und bei der kommunalen Bildungsinfrastruktur wie Kindergärten und Schulen ermöglicht werden, entgegen den bisherigen föderalen Zuständigkeiten auch mit Weisungsrecht des Bundes. Zugleich soll mit einem Begleitgesetz die Privatisierung auch im Schulbau beschleunigt werden. Auf ganzer Linie hat sich hier eine Lobby erfolgreich durchgesetzt, noch vorbereitet vom SPD-Politiker Sigmar Gabriel in seiner Zeit als Wirtschaftsminister mit einer Expertenkommission aus Vertretern von Banken, Versicherungskonzernen und dem Bund der Deutschen Industrie.

Nunmehr werden ÖPP-Investitionsvorhaben für förderfähig erklärt oder sind künftig sogar die Voraussetzung für eine öffentliche Förderung, mit Beratung durch die neue „ÖPP-GmbH“.  Diese ist die Nachfolge-Organisation der bisherigen Lobbyorganisation „ÖPP Deutschland AG“, die seinerzeit unter Kanzler Schröder und Minister Steinbrück an der Spitze ins Leben gerufen wurde, ganz im Geiste der neoliberalen Agenda 2010. Angeregt wurde damals diese Einrichtung vom Lobbynetzwerk „Finanzstandort Deutschland“ unter Federführung der Bauindustrie. Für die Kommunen soll künftig eine Infrastrukturgesellschaft (IfK) eingerichtet werden, damit sich öffentliche Ausschreibungen erübrigen.

Es wäre interessant, zu erfahren, was Kanzlerkandidat Martin Schulz zu diesem lobbyhörigen Deal seiner Parteifreunde aus dem  Bundestag sagt? Und wie votieren eigentlich unsere heimischen Bundestagsabgeordneten im März im Bundestag? Denn trotz durchweg negativer Berichte der Rechnungshöfe über ÖPP-Projekte an Schulen sollen nebst den Autobahnen vor allem die Schulen und Kindergärten einbezogen werden. Kritiker sehen das größte Privatisierungsprojekt seit den neunziger Jahren auf uns zukommen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund warnt bereits eindringlich vor diesen Plänen mittels der größten Grundgesetzänderung dieses Jahrzehnts.  Denn auch die 70 Änderungsvorschläge aus den Bundesländern wurden von der Bundesregierung in ihrem Entwurf nicht übernommen.

Über die Schulprivatisierung per Grundgesetz freuen sich bereits Privatunternehmen, die als Retter mit ihren Geldern „Gewehr bei Fuß“ stehen. Und das nicht nur für die Schulbauten, sondern auch für die Privatisierung in der Bildung insgesamt, von Microsoft über McKinsey bis Bertelsmann und inzwischen gebildeten „Bildungskonzernen“, die bereits in  anderen EU-Ländern Fuß fassen. Warum liest man so wenig bis fast gar nichts darüber in unseren Tageszeitungen?

Wilhelm Neurohr

Wilhelm Neurohr: FELDZUG GEGEN KORREKTUREN DER AGENDA 2010 MIT „ALTERNATIVEN FAKTEN“ UND „FAKE-NEWS“

Leserbrief an die Recklinghäuser Zeitung zu den aktuellen Berichten und Kommentaren über strittige Korrekturen an der Agenda 2010:

 FELDZUG GEGEN KORREKTUREN DER AGENDA 2010 

MIT „ALTERNATIVEN FAKTEN“ UND „FAKE-NEWS“ 

Das war vorauszusehen: Ein paar winzige Korrekturen an der sozial verheerenden Agenda 2010 durch den Kanzlerkandidaten der „gewandelten“ SPD  lösen sogleich ein reflexartiges Geschrei der Arbeitgeberverbände und der neoliberalen Netzwerke der Wirtschaftslobbyisten aus. Und das ist erst der Anfang des Wahljahres, in dem dieser Feldzug oder „Shitstorm“ gegen Schulzens unwesentliche Agenda-Korrekturen noch orkanartig anschwellen wird.

Gleiches war ja schon zuvor gegen die bescheidene  Anhebung des gesetzlichen Mindestlohnes gestartet worden, die angeblich zu Arbeitsplatzverlusten und Wirtschaftseinbrüchen führen würde. Inzwischen hat sich im Positiven das Gegenteil herausgestellt und das postfaktische Geschrei der Wirtschaftverbände mit ihren „alternativen Fakten und Zahlen“ ist verstummt. Nun kämpft man für die Beibehaltung der sachgrundlos befristeten Zeitarbeitsverträge mit der  fadenscheinigen Begründung von „besorgten Unternehmern“ etwa in der Tagesschau, dass man die Arbeitskräfte „erst nach mindestens 2 Jahren besser kennenlerne“. Das ist in Wirklichkeit nichts anderes als eine gesetzeswidrige Verlängerung der maximal zulässigen Probezeit von einem halben Jahr, also eine Option des beliebigen „Heuerns und  Feuerns“ unter Umgehung des Kündigungsschutzes.

Bei den bislang geplanten Korrekturen der Agenda 2010 in wenigen Einzelpunkten handelt es sich dabei  keineswegs um eine „Abkehr“ von der unsäglichen  Agenda 2010, wie die Arbeitgeberverbände und mit ihnen viele Medien behaupten. Deshalb ist es schlimm, dass die „Mainstrem-Medien“ einschließlich der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender sich dafür hergeben, die überwiegend auf falschen „alternativen Fakten“ beruhenden Behauptungen der Agenda-Verteidiger ungeprüft zu verbreiten und  sich dem anzuschließen. Selbsternannte Arbeitsmarkt-Experten des „Institutes der Deutschen Wirtschaft“ können sich in der Tagesschau dort als „neutrale“ Experten lang und breit über die angeblich segensreiche Wirkung der Agenda 2010 auslassen – ohne einen Fakten-Check.

Und auch der Zeitungskommentator Rasmus Buchsteiner ist wieder vorneweg dabei mit „alternativen Fakten“ wie dieser: Die „aktuell so günstige Arbeitsmarktentwicklung“ sei zu einem großen Teil „den Schröderschen Reformen zu verdanken“. Abgesehen davon, dass es sich zu einem Großteil um  prekäre Beschäftigungen handelt, die zum Lebensunterhalt kaum dauerhaft ausreichen, und dass in der Arbeitsmarktstatistik Millionen faktisch Arbeitslose nicht erfasst und ausgewiesen werden, gehört auch die „segensreiche Wirkung der Agenda 2010“ zu den „Fake-News“:

Sämtliche vorliegenden seriösen wissenschaftlichen Langzeituntersuchungen über 10 Jahre Hartz IV kommen nämlich zum gleichen Ergebnis einer Misserfolgs-Bilanz des Scheiterns; die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist unverändert geblieben. Das wird von Medien und Politikern penetrant ignoriert und totgeschwiegen, die hartnäckig und gebetsmühlenartig ohne Belege einfach das Gegenteil behaupten. Das trotzige Schönreden der gescheiterten Hartz-IV-Reform erweist sich bei Betrachtung der wissenschaftlich einhellig belegten Fakten als billige Propaganda der Neoliberalen.

Was würde es erst für ein Riesengeschrei geben, wenn der Europapolitiker Martin Schulz vorschlagen würde, das Rentenniveau im reichsten EU-Land Deutschland von 43% nicht nur auf wieder 50% anzuheben, wie von den Gewerkschaften und der Linkspartei gefordert, sondern dem Durchschnittsniveau der EU-Länder oder der OECD-Industrieländer  anzupassen: Dann läge das auskömmliche Rentenniveau auch bei uns nämlich bei 70 Prozent statt auf dem letzten Platz! Doch keine Angst: Schulz begnügt sich mit etwas Aufstockung für die diejenigen Rentner knapp über der Armutsgrenze. Wohin die Reise nach dem Willen der Wirtschaft und der ihnen zugeneigten Konservativen gehen soll, hat ja der CDU-Spitzenpolitiker Jens Spahn dieser Tage verkündet: „Mehr Geld fürs Militär und weniger für Sozialleistungen“.

Wilhelm Neurohr

Wilhelm Neurohr: PERSONENKULT DER SPD STATT GLAUBWÜRDIGE INHALTLICHE KEHRTWENDE?

Leserbrief an die Recklinghäuser Zeitung zur aktuellen Berichterstattung und Kommentierung der Nominierung von Martin Schulz zum SPD-Kanzlerkandidaten (Ende Januar 2017)

 „PERSONENKULT  DER SPD

STATT  GLAUBWÜRDIGE  INHALTLICHE  KEHRTWENDE?“

 Der lange Zeit deprimierten und nun euphorischen SPD-Basis will ich ungern ihre Vorfreude  auf den Wahlkampf mit dem „Hoffnungsträger“ Martin Schulz verderben. Aber erzeugt sie nicht mit dem „Personenkult“ um den von Herrn Gabriel ausgesuchten neuen Spitzenmann und Kanzlerkandidaten der SPD völlig überzogene Erwartungen und falsche Hoffnungen auf einen wirklichen Politikwechsel?

Wenn Martin Schulz gleich in seiner ersten Antrittsrede ausdrücklich betonte: „Auch ein Gerhard Schröder hat Deutschland gut getan“, dann ist das alles andere als ein Abschied von der neoliberalen und sozial verheerenden Agenda 2010 der SPD, die ja Hauptursache für die Armutsentwicklung bei Löhnen und Renten sowie für die Steuerungerechtigkeit war und  ist. Martin Schulz gehört ebenso wie Sigmar Gabriel und der von diesem vorgeschlagene Präsidentschaftskandidat Walter Steinmeier – als ein Architekt der Agenda 2010 unter Schröder – dem „Seeheimer Kreis“ an, also dem neoliberal orientierten rechten Flügel der SPD. Dennoch stellt er sich nun gefühlsselig und phrasenhaft als „Anwalt der kleinen, hart arbeitenden Leute“ mit Bauchgefühl dar, wie am Sonntagabend bei Anne Will.

Im EU-Parlament war Martin Schulz als Architekt der dortigen informellen „großen Koalition“ eng befreundet mit dem konservativen und neoliberalen EU-Kommissionspräsidenten Jean Claude Juncker. Als dieser in Bedrängnis geriet beim „Luxembourg-Leak-Skandal“ wegen der Luxemburger Steueroase für Reiche und Konzerne, verhinderte Martin Schulz einen vom Parlament geforderten Untersuchungsausschuss, um Juncker vor einem Rücktritt zu bewahren. Und nun redet Schulz von angestrebter „Steuergerechtigkeit“  und „Verhinderung von Steuerflucht“. Hatten nicht die SPD-Finanzminister Eichel, Clement und Steinbrück  als Agenda 2010-Projekt großzügige Steuergeschenke für die Reichen und ein steuerliches Ausbluten der Kommunen zu verantworten? Und hat nicht  die SPD seitdem die jährlichen „Armuts-Reichtums-Berichte“ stur ausgesessen statt gegen zusteuern? Warum wehrt sich die SPD immer noch gegen höhere Vermögens- und Erbschaftssteuern?

Ganz zu schweigen vom Engagement des Martin Schulz im EU-Parlament für die umstrittenen und von fast 70 Prozent der Bevölkerung abgelehnten neoliberalen und lobbygeprägten Freihandelsverträge, mit denen Arbeitnehmerrechte, Verbraucherschutz und demokratische Gewaltenteilung gefährdet würden zugunsten des Primats der Wirtschaft über dem Primat der Politik. Schulz hat auch mit Nachdruck die gnadenlose Spar- und Austeritätspolitik von CDU-Finanzminister Schäuble in der EU unterstützt, als Griechenland und andere in die Staatsschuldenkrise gerieten. Ergebnis: über 50% Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa und Höchststand der Arbeitslosigkeit in der EU mit 22 Mio. arbeitslosen Menschen und der höchsten Obdachlosigkeit. Und auch die von Gabriel als Wirtschaftsminister noch schnell vorbreiteten sogenannten PPP-Modelle zugunsten der Privatisierung  der Autobahnen wird Martin Schulz wohl nicht ausbremsen.

In der Polit-Talkshow am Sonntagabend hat Anne Will es sträflich versäumt, dem hochgejubelten SPD-Kanzlerkandidaten zu all diesen Punkten auf den Zahn zu fühlen. Stattdessen betrieb sie eine halbe Stunde lang psychologisierendes Befragen über die Motive für die Kandidatur und beteiligte sich wie die übrigen Medien an dem unerträglichen „Personenkult“ in unserer „Zuschauerdemokratie“.  Fazit: Oberflächliches Bauchgefühl und Emotionen mit der Überbewertung von „Führungsgestalten“ siegen in der „postfaktischen Ära“ über rationale politische Bewertungen. Die Ernüchterung kommt spätestens nach dem Wahltag am 24. September, aber der Wahlkampf wird eine große „Kleine-Leute-Show“.

Wilhelm Neurohr

(Haltern am See)

Warum kandidiert Prof. Dr. Christoph Butterwegge für das Amt des Bundespräsidenten? Wer ist Butterwegge?

 Agenda der Solidarität für eine inklusive Gesellschaft

Prof. Dr. Christoph Butterwegge ist der Kandidat der LINKEN für das Amt des Bundespräsidenten

Am 12. Februar 2017 wählt die 16. Bundesversammlung einen neuen Bundespräsidenten. Die Bundesversammlung ist ein nichtständiges Verfassungsorgan der Bundesrepublik Deutschland, dessen einzige Aufgabe es ist, den Bundespräsidenten zu wählen. Die 16. Bundesversammlung besteht aus den 630 Mitgliedern des Deutschen Bundestages und einer gleichen Zahl von Mitgliedern, die von den Volksvertretungen der Länder gewählt werden – insgesamt also aus 1.260 Mitglieder. DIE LINKE ist durch 94 Mitglieder in der 16. Bundesversammlung vertreten. Professor Christoph Butterwegge bewirbt sich für DIE LINKE um das Amt des Bundespräsidenten.

Beweggründe von Christoph Butterwegge für die Bewerbung um das Bundespräsidentenamt

Mit meiner Kandidatur möchte ich die Öffentlichkeit für soziale Probleme sensibilisieren, denn obwohl die Gesellschaft immer stärker auseinanderfällt, nimmt das Establishment diesen Polarisierungsprozess nicht oder falsch wahr. Außerdem möchte ich der weiteren Zerstörung des Wohlfahrtsstaates durch neoliberale Reformen entgegentreten – gerade wird die Privatisierung der Autobahnen und damit ein neuerlicher Höhepunkt der Ökonomisierung und Kommerzialisierung aller Lebensbereiche vorbereitet – sowie jenen Teilen der Bevölkerung eine politische Stimme geben, die immer stärker ausgegrenzt werden. weiterlesen

Pressekonferenz mit Christoph Butterwegge

Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit den Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger sowie den Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch am 21. November 2016 hat Christoph Butterwegge über die Beweggründe für seine Bewerbung gesprochen. Hier das Video.

Links

www.christophbutterwegge.de

www.linksfraktion.de/…/bundesversammlung-2017

Rückblick: Christoph Butterwegge im DISPUT

https://www.die-linke.de/die-linke/wahlen/bundespraesidentenwahl-2017/

 

Wilhelm Neurohr: „GLAUBWÜRDIGKEITSVERLUST DER EU BEI CETA LIEGT NICHT AN DEN WALLONEN“

 Leserbrief an die Recklinghäuser Zeitung zum Artikel vom 25.10.206: „Die Glaubwürdigkeit der EU steht auf dem Spiel“ mit Kommentar von Tobias Schmidt: „Demokratie in Europa bleibt auf der Strecke“.

„GLAUBWÜRDIGKEITSVERLUST DER EU BEI CETA LIEGT NICHT AN DEN WALLONEN“

„Wenn Ceta an den Wallonen scheitert, dann bleibt die Demokratie in Europa auf der Strecke“, so behauptet der Kommentator Tobias Schmidt dramatisierend. In Wirklichkeit würde jedoch die Demokratie in Europa dann auf der Strecke bleiben, wenn Ceta trotz des wallonischen und europaweiten zivilgesellschaftlichen Widerstandes in Kraft gesetzt würde. Denn dann würde fortan die neoliberale Wettbewerbsideologie als übergeordneter Maßstab verbindlich  darüber befinden, wann demokratisch und parlamentarisch beschlossene  Umwelt- oder Sozialgesetze und Regelungen zur öffentlichen Daseinsvorsorge als gewinnschmälernde „Handelshemmnisse“  zu beseitigen wären  – und somit wirtschaftliche Konzerninteressen verfassungswidrig über das Gemeinwohl und den Rechtsstaat mit seiner Gewaltenteilung gestellt würden. Nicht gewählte Handelskommissare und offiziell einbezogene Lobbyisten haben mittels Ceta mehr zu sagen als 28 demokratische gewählte Volksvertretungen?

In Wahrheit sind die berechtigten Kritikpunkte der Wallonen an CETA voll identisch mit den „roten Linien“, die der SPD-Konvent dazu beschlossen hatte, wie mehrere SPD-Bundestagsabgeordnete laut Presse bestätigten, über die sich aber SPD-Chef Gabriel und EU-Präsident Martin Schulz (SPD) bekanntlich hinweggesetzt haben. Dass über 2000 Kommunalparlamente in ganz Europa (die meisten auch mit Stimmen von CDU oder Konservativen) sich aus Sorge um die Kommunale Daseinsvorsorge zu „Ceta-freien Zonen“ erklärt haben, findet ebenso wenig Erwähnung in den Medien wie die 3,5 Mio. Unterschriften der Bürgerinnen und Bürger in ganz Europa gegen Ceta oder die übereinstimmenden Umfragen, wonach weit über 60% der Bevölkerung gegen Ceta und TTIP votieren, die auch zu Hunderttausenden gegen Ceta demonstrierend auf die Straße gingen.

Erst recht wird das von 250.000 Bürgen unterstützte und  noch laufende Verfassungsgerichtsverfahren ignoriert, bei dem absehbar ist, dass strenge Anforderungen auch an die notwenige Beteiligung des nationalen Parlamentes vor der voreiligen Unterzeichnung  und anstelle einer „vorläufigen“ Inkraftsetzung gestellt werden. So hat die EU laut europäischem Gerichtshof auch keinerlei Zuständigkeiten für die kommunale und regionale Ebene, hier gilt das Subsidiaritätsprinzip, dennoch beschneidet Ceta  kommunale Selbstverwaltungs-Hoheiten.

Erschreckend ist nun, wie sich trotzdem  nahezu alle Medien unisono  am Wallonen-Bashing beteiligen mit Behauptungen wie: „Eine Region blockiert die EU“ oder „Die Glaubwürdigkeit der EU steht auf dem, Spiel.“  Stets erklärt man die kleinen Länder zu widerspenstigen EU-Blockierern: Mal waren es in den Medien „die Iren als unbedeutende  Schafzüchter“, die  den neoliberalen Lissabon-Grundlagenvertrag der EU blockieren wollten, mal waren es die „uneinsichtigen Griechen“, die den Brüsseler Spardiktaten nicht gehorchen wollten, nun ist es die „kleine Region Wallonien“, die sich eine demokratische Mitsprache anmaßt. Die Medienvertreter haben nicht mitbekommen: „Wallonien ist überall“ in Europa, wie allein die „taz“ in der Ausgabe vom 26. Oktober titelte.

Denn den „demokratische Glaubwürdigkeitsverlust der EU“  haben nicht die Wallonen herbeigeführt, sondern daran ist die EU-Kommission selber schuld uns gibt damit den wachsenden Europa-Skeptikern der rechtspopulistischen Szene eine Steilvorlage.  Hatte sie nicht sieben Jahre lang Geheimverhandlungen zu CETA geführt und die Kritiker und Abgeordneten vertröstet, dass sie erst das endgültige Verhandlungsergebnis abwarten sollten. Nun liegt es vor und es erhebt sich begründete Kritik, aber nun fordern die Medien unisono, die Entscheidungen müssen zentral im bürgerfernen Brüssel und Straßburg und nicht zugleich in den Nationalparlamenten unter Zeitdruck erfolgen: „Das EU-Parlament soll allein entscheiden“.

Haben die Medienvertreter übersehen, dass dem EU-Parlament, das ebenfalls jahrelang die Geheimdokumente der verhandelnden EU-Beamten  nicht einsehen durfte, gar kein richtiges Parlament ist, weil ihm die parlamentarische Kernkompetenz zu eigenen Gesetzesinitiativen ebenso fehlt wie wirksame parlamentarische Kontrollfunktionen? Und dass die EU-Abgeordneten, von denen laut Lobbycontrol über 200 über Verträge mit Wirtschaftsunternehmen Nebeneinnahmen erzielen, nur über Listen gewählt werden, es also gar keine Wahlkreise und Direktkandidaten  gibt und damit auch keinen Bürgerdialog vor Ort? Und dass mit wenigen Ausnahmenfällen sämtliche ausgeschiedenen EU-Kommissare anschließend ohne Karenzzeit zu Finanz- und Wirtschaftsunternehmen oder Lobbyverbänden für ihre ehemaligen Aufgabengebiete gewechselt haben? Solange diese skandalösen Zustände und eklatanten Demokratie-Defizite bei der EU nicht grundlegend verändert werden, solange können demokratische Entscheidungskompetenzen nicht allein auf die Zentralebene verlagert werden. sondern die EU schafft sich dann selber ab, auch ohne die Wallonen.

Wilhelm Neurohr

Wilhelm Neurohr: „CETA-BESCHLUSS OFFENBART ABGRÜNDE IM DEMOKRATIEVERSTÄNDNIS DER SPD“

Leserbrief an das Medienhaus Bauer, Marl, zu den Berichten über CETA-Beschluss auf dem SPD-Konvent

 „CETA-BESCHLUSS OFFENBART ABGRÜNDE

IM DEMOKRATIEVERSTÄNDNIS DER SPD“

Die SPD offenbart mit ihrem umstrittenen CETA-Beschluss auf dem Parteikonvent „Abgründe in ihrem Demokratieverständnis“ und zeigt damit „Lust am Untergang“.  Ihre „soziale Seele“ hat die SPD bereits mit ihrer Agenda 2010 verkauft und damit die  Hälfte ihrer Wähler und Mitglieder verloren. Nun hat die „sozial-demokratische“ Partei mit der kompromissbereiten CETA-Zustimmung  auch noch ihre „demokratische Seele“ verkauft und riskiert damit als „seelenlose“ Partei den Verlust der übrigen Hälfte ihrer Anhänger. Die „Gesichtswahrung“ für ihren Parteivorsitzenden Gabriel war ihnen wichtiger als die grundlegende Sachentscheidung über den gefährdeten  Handlungsspielraum der parlamentarischen Demokratie infolge CETA.

Wie kann eine demokratische Partei faktisch die „Selbstentmachtung der gewählten Parlamente“ beschließen und die Ablösung des Primats der Politik durch den Primat der Wirtschaft akzeptieren, die künftig über die völkerrechtlichen Freihandelsabkommen den Regierungen und Parlamenten den politischen Handlungsspielraum für gesetzliche Regulierungen einschränkt!? Zahlreiche Gutachten von Völkerrechtlern und Verfassungsrechtlern halten CETA in großen Teilen für verfassungswidrig und 125.000 Bürger haben bereits eine gemeinsame Verfassungsbeschwerde eingereicht, die größte Bürgerklage seit Bestehen der Bundesrepublik. Von den Hunderttausenden Demonstranten oder den 3,5 Mio. Unterschriften und 2000 Ratsbeschlüssen gegen CETA in ganz Europa erst gar nicht zu reden, von denen sich die SPD-Spitzer nicht umstimmen lässt.

  ROTE LINIEN ÜBERSCHRITTEN

 Die mutlose Parteibasis der SPD und ihre Delegierten ohne Rückgrat können einem leidtun, schließlich sind sie ja irgendwann einmal in die Partei eingetreten, um Politik mitgestalten zu können im Rahmen „innerparteilicher Demokratie“. So haben sie auf einem Parteitag mit breiter Mehrheit „rote Linien“ beschlossen, die mit CETA nicht überschritten werden dürfen. Doch die Partei-Oberen scheren sich weder um die Meinung ihrer Basis noch der Bevölkerungsmehrheit: Vorstand und Präsidium der SPD sowie der kleine Parteikonvent setzen sich einfach über die demokratischen Parteitagsbeschlüsse der Parteibasis hinweg, obwohl die selbst gesetzten „roten Linien“ zu CETA in vollem Umfang überschritten werden.

Dies wird selbst von der SPD-Arbeitsgemeinschaft der Juristen (ASJ)festgestellt, die in der Aussage gipfelt: „CETA ist ein weiterer Baustein zu einer internationalen Wirtschaftsverfassung unter neoliberalen Vorzeichen. Sozialdemokratische Politik wird in Zukunft strukturell erheblich in die Defensive gedrängt, wenn sie diese Entwicklung nicht erkennt und sie umkehrt“. Doch weder die Juristen in der SPD im Einklang mit dem deutschen Richterbund, noch die SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen oder die SPD-Jugendorganisation (Jusos), nicht einmal die Grundwerte-Kommission unter Prof. Gesine Schwan und Alterspräsident Erhard Eppler oder die Ex-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin konnten den SPD-Vorstand von einer CETA-Ablehnung überzeugen

 „NACHVERHANDLUNGEN“ UNWIRKSAM

 Die als Kompromiss von Gabriel trickreich vorgeschlagenen, aber  aussichtslosen und unwirksamen „Nachverhandlungen“ zu Einzelpunkten von CETA  in Form, „klarstellender Protokollnotizen“ ändern daran keinen Deut und sind pure Augenwischerei, denn das Heft des Handelns liegt gar nicht bei der SPD, sondern bei der bei der „großen Koalition“ im EU-Parlament und bei EU-Kommission, die substantielle Nachverhandlungen ablehnt und  über den Europäischen Gerichtshof sogar  die rechtliche Notwendigkeit zur Beteiligung der Nationalparlamente in Frage stellt.

Der Europarechtler Wolfgang Weiß von der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer hält „rechtliche Nachverhandlungen “für wenig wirksam. In seinem Ceta-Gutachten schreibt er: „Die beabsichtigten Präzisierungen werden, wenn überhaupt, erst in vielen Jahren wirksam werden“.

In der SPD bleibt dennoch also „alles beim Alten“: Zuerst folgt die gehorsame Basis den Basta-Drohungen ihres Vorsitzenden Gerhard Schröder, (dessen Beratervertrag bei der Rothschild-Bank laut Presse übrigens erst vor 2 Wochen abgelaufen ist). Dann akzeptieren sie ohne Widerspruch die geforderte „Beinfreiheit“ für ihren selbst ernannten Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück. Und nun fallen sie (aus wahltaktischer Rücksichtnahme) auf die Verfahrenstricks ihres Vorsitzenden Gabriel folgsam herein. Offensichtlich will sich die älteste Partei Deutschlands demnächst mit einstelligen Wahlergebnissen begnügen oder begeht „Selbstmord aus Angst vor dem Tode“…Eine rot-rot-grüne Mehrheit nach der Bundestagswahl kann die SPD damit vergessen, denn Die Grünen wie die Linkspartei werden wohl nicht mit einem CETA-Befürworter koalieren. Vielleicht wollte Gabriel damit die Fortsetzung der großen Koalition?

Wilhelm Neurohr

[Am 19. 09. 16 per Email des Autors]

Wilhelm Neurohr: Offener Brief an den CDU-Landesvorsitzenden NRW Armin Laschet – Haltung zur CETA Parlamentsbeteiligung

Verkl. Kopie von Europa-FlaggeSehr geehrter Herr Laschet,

den Pressemeldungen der letzten Tage entnehme ich, dass Sie die politische (und rechtlich fragwürdige) Auffassung der EU-Kommission teilen, dass bei CETA eine Beteiligung der Nationalparlamente nicht erforderlich sei. Sie halten die Zustimmung des EU-Parlamentes und  der Nationalregierungen für ausreichend, da es sich angeblich  „um ein reines Handelsabkommen“ handeln würde. Ähnlich hatte sich auch die Kanzlerin und CDU-Bundesvorsitzende zuvor geäußert.

Zugleich werfen Sie jedoch den CETA-Kritikern und Befürwortern einer Bundestags-Beteiligung vor, diese würden sich mit ihrer Forderung nach demokratischer Parlamentsbeteiligung auf das Niveau der Rechtspopulisten begeben und damit aus dem Brexit nichts gelernt zu haben. Auch scheinen Sie die Gutachten von zahlreichen Völker- und Staatsrechtlern sowie ehemaligen Verfassungsrichtern zu ignorieren, die diese Vorgehensweise als nicht mit unserem Grundgesetz vereinbar ansehen. Schon zum EU-Lissabon-Vertrag hatte unser Bundesverfassungsgericht in vielen Punkten auf eine notwendige Einbindung des Bundestages verwiesen.

Ganz offensichtlich spielen Sie damit die keineswegs nur „von rechtsaußen“, sondern quer durch alle politischen Lager und auch wissenschaftlich sowie von Verbänden etc. seit langem kritisierten unbestreitbaren Demokratie-Defizite der EU und deren Exekutivlastigkeit bei Gesetzesvorgaben und Entscheidungsprozessen herunter, die nicht mit unserem Verständnis von Gewaltenteilung kompatibel ist.

Damit offenbaren Sie ihre eigene Lernunfähigkeit und die der Landes-CDU bei den Konsequenzen aus dem Brexit und dem europaweiten politischen Rechtstrend sowie mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit und Reformnotwendigkeit  der EU.

Offensichtlich ist Ihnen entgangen, dass mit CETA (ebenso mit TTIP und TISA) von nicht gewählten Handelskommissaren unter intensiver Beteiligung von Lobbyisten Regelungen vorgesehen werden, die unsere in langjährigen parlamentarischen Verfahren und öffentlichen Diskursen demokratisch errungenen Regelungen zum Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherschutz, zum Arbeits-, Tarif- und Sozialrecht sowie zur kommunalen Selbstverwaltung aushebeln und unser Parlament zur Ohnmacht zwingen.

Diese Kritik kommt auch von ideologisch unverdächtiger Seite wie von den kommunalen Spitzenverbänden, den kirchlichen Organisationen, dem Kulturrat und Richterbund, dem Bundesverband der mittelständischen Unternehmen u. v. m., also nicht nur von den Sozial- und Umweltverbänden und Gewerkschaften etc. Hunderte Kommunalparlamente haben sich (auch mit CDU-Zustimmung vor Ort) ebenso kritisch geäußert. Darüber setzt sich der CDU-Landesvorsitzende einfach hinweg?

Schon bei der Großdemonstration in Berlin seitens der CETA-und TTIP-Kritiker mit 250.000 Telnehmenden wurde die Behauptung in die Welt gesetzt, dass diese besorgten Menschenmassen von der Pegida-Bewegung gesteuert wären, bis eine seriöse Untersuchung der Universität Göttingen anhand der genauen Teilnehmerstruktur belegte, welcher Unfug da verbreitet wurde, um die CETA-Kritiker als angeblich von rechts fremdgesteuert zu diffamieren.

Sollte CETA auf die geplante Weise mit CDU-Unterstützung durch die EU „durchgedrückt“ werden gegen den Willen einer Mehrheit von 60% in der Bevölkerung (laut Umfragen), dann wird das zu noch mehr EU-  und Demokratieverdrossenheit führen und auch zum Unmut gegenüber Ihrer Partei.

Auch viele Wähler und CDU-Mitglieder an der Basis, die aus guten Gründen eine ablehnen Haltung zu CETA haben und weitaus besser über die Inhalte informiert sind als die meisten Spitzenpolitiker, soviel konnte ich regional beobachten, sind über Ihre Aussagen ebenso empört wie viele andere. Bei der nächsten Landtagswahl wird es deshalb mit Sicherheit eine deutliche Quittung für Ihre Landespartei geben, weil sich die Menschen nicht in die rechte Populisten-Ecke von Ihnen stellen lassen, da Sie offenbaren, dass Sie sich weder vertieft mit der CETA-Problematik befasst haben noch den Brexit-Weckruf richtig einordnen können – und  damit der Europa-Idee und der Demokratie einen Bärendienst erweisen. Von Ihnen hätte ich politisch und intellektuell etwas anderes erwartet als platten Gegenpopulismus.

Mit enttäuschten Grüßen

Wilhelm Neurohr

Mitglied des Präsidiums des Gemeinnützigen Instituts für Wissenschaft, politische Bildung & gesellschaftliche Praxis NRW e.V.

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