Jetzt aktualisiert bei allen Versandbuchhandlungen abrufbar: „Das Buch in der Wolke. Work in Progress“

Coverbild für "Das Buch in der Wolke"

 Klappentext:

„Book in Progress“? Dieses 14. E-Book soll nun wirklich das allerletzte sein. Ein Experiment. Ich bin 93 und kann den natürlichen Alterungsprozess nicht aufhalten, höchstens verzögern. Die Produktivität lässt, wie der Geschlechtstrieb, nach. Das Gehirn arbeitet langsamer.  Gedächtnis, Denken, Sprechen und Schreiben brauchen mehr Zeit. Das Langzeitgedächtnis ist besser als das kurzzeitige. Mir fallen Ereignisse, Erlebnisse, Begegnungen, Menschen und Orte und deren Namen ein, die mich irgendwann mal in meinem Leben beeindruckt haben müssen, längst vergessen sind oder überhaupt nicht existiert haben. „Dichtung und Wahrheit“. Goethe.

Zum Beispiel das Gedicht „Frühlingsglaube“ von Ludwig Uhland, das ich persifliert habe, obwohl ich es wahrscheinlich nie gekannt habe. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, ob wir es im Deutschunterricht „durchgenommen“ haben. Dennoch kam mir die Anfangszeile „Die linden Lüfte sind erwacht“ bekannt vor. Bei Wikipedia fand ich dann die Bestätigung, dass es dieses Gedicht tatsächlich gibt.

Ich werde bis zu meinem Lebensende oder solange ich sehen, denken und empfinden kann, Sehenswertes fotografieren, das Zeitgeschehen beobachten und kommentieren, literarisch arbeiten und die Produkte nach und nach in diesem E-Book publizieren.

Das Buch kann jetzt zum aktuellen Preis von € 0,99 auf ein Lesegerät oder einen PC hier heruntergeladen werden -> https://www.bookrix.de/_ebook-dietrich-stahlbaum-das-buch-in-der-wolke/

 

Die Angst der regierenden Parteien, von den Grünen überflügelt zu werden. Leserbriefe

Leserbrief an das Medienhaus Bauer, Marl*), und an die Frankfurter Rundschau:

Zu „Die Klima-Hysterie schadet“ von Annegret Zessin vom 19. Juni 2019

Warum bieten Sie Frau Zessin hier so viel Platz für einen Leserbrief, mit dem sie die bekannten halbwahren, vor fake News und Gehässigkeit strotzenden Ansichten von Pegida und der AfD verbreitet?

   Auch ich übe Kritik an den Grünen, aber ich werde meine ehemaligen Parteifreunde nicht in die Pfanne hauen, sondern mich an die Fakten halten, die ich besser kenne als Frau Zessin, Pegida und die AfD.

   Bei den regierenden Altparteien herrscht große Angst, von den Grünen überflügelt zu werden. Denn jetzt werden von den cleveren „Ökos“, die unter dem Druck einer neuen, internationalen Jugendbewegung die sozialistische Komponente der LINKEN in ihr Vokabular übernommen haben und medienwirksam alle Altparteien in den Schatten stellen, die wichtigsten politischen Probleme auf die Tagesordnung gesetzt.

  Geschickt setzen sie neue, unverbrauchte Gesichter kluger, wissenschaftlich und rhetorisch kompetenter, moralisch integrer und philosophisch gebildeter junger Männer und vor allem Frauen ein, um Zustimmung zu gewinnen.       

   Übersehen wird dabei, dass auch die Grünen ihre Widersprüche nicht gelöst haben, Parteispenden von der Wirtschaft erhalten (in den Jahren 2013 bis 2015 u. a. 495.460,78 EURO von BMW und der Fam. Quandt/Klatten, 444.999,94 von Daimler, 751.136 von der Allianz. Quelle: Lobbypedia) Das macht sie von der Wirtschaft abhängig und lässt vom Pazifismus einer Petra Kelly (1947-1992) nichts mehr übrig.

  Man könnte es realpolitisches Wellenreiten nennen.

  Aber der internationale Aufstand junger Menschen, die sich um ihre Zukunft betrogen sehen, wenn nicht nur geredet, sondern sofort gehandelt wird, wird auch den Grünen das Taktieren austreiben. 

—–

*) Medienhaus Bauer. Am 24. Juni 2019 leicht gekürzt veröffentlicht.

– Frankfurter Rundschau: Kursiver Text. Am 25. Juni 2019 ungekürzt veröffentlicht.

Jörg Sternberg: Die Waffen nieder!

Leserbrief in der Frankfurter Rundschau zu Syrien: „Der Krieg aller gegen alle“, FR-Politik vom 22. Februar:

„Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“, haben sich die Überlebenden des KZ Buchenwald über alle ideologischen Grenzen hinweg – Christen, Gewerkschafter, Sozialdemokraten und Kommunisten – 1945 geschworen. Als Kind habe ich, ohne den Sinn recht zu verstehen, beides in der Zeit der Ausläufer des Nazireichs und der Weltkriegskatastrophe noch erlebt. Wie ein NSDAP-Ortsgruppenleiter von amerikanischen Soldaten verhaftet wurde, wie ein SS-Mann die weiße Fahne vom Dach der Bürgermeisterei riss und die Panzer der Amerikaner, die schon abgerückt waren, wieder die Rohre auf die Häuser richteten. Später habe ich wie andere Lehrer und Historiker auch Schulklassen durch Buchenwald geführt, vorbei am Zoo zur Unterhaltung der Todgeweihten, den Kammern voll von Menschenhaar und Schuhen, der Genickschussanlage und den Verbrennungsöfen. Höcke und Poggenburg hätten darunter sein können.

Heute ist die Nazi-Ideologie als größte Oppositionsfraktion in den Bundestag eingezogen, in Osteuropa probt man in Großmanövern den Krieg und in Syrien drohen die Atommächte USA und Russland konfrontativ im Stellvertreterkrieg aufeinander zu stoßen, so dass selbst der deutsche Außenminister vom Abgrund redet. Der Mainstream westlicher wie östlicher Medien macht jeweils die gegnerische Seite für die Eskalation der Kriegsvorbereitungen, der militärischen wie psychologischen, verantwortlich, listet Statistiken über Aufrüstung auf, inszeniert Drohkulissen, rechtfertigt geostrategische Ansprüche, verweist auf Bündnisverpflichtungen und glaubt, sich mit Abschreckung schützen zu können.

Ja, man erklärt sogar, dass der Einsatz atomarer Massenvernichtungswaffen „im Ernstfall glaubhaft“ sein müsse. Und wenn, wie geschehen, auch nur für Minuten der Koffer mit dem Codewort für den planetaren Untergang für den Präsidenten nicht zuhanden ist, bricht im Gefolge Panik aus. Von all dem rhetorischen Gemetzel, dem Rechtfertigungsgeschwafel für immer mehr Rüstungs- und Aggressionspotenzial in einer Welt mit Hunger, Flucht und Umweltzerstörung sollte man der Überzeugung des Pazifismus folgen: Die Waffen nieder, Schwerter zu Pflugscharen. Heißt konkret für uns: Keine Exporte von Rüstungsgütern, keine Atomwaffen auf deutschem Boden, keine Interventionstruppen, keine Sanktionen, Aufbau kollektiver Sicherheitsbündnisse wie OECD, Stärkung der Völkergemeinschaft in der UN. Unrealistisch? Illusionär? Sicherlich weniger, als zu glauben, die militärischen Optionen könnten uns vor der Höllenfahrt retten.

Jörg Sternberg, Hanau

[FR. 27.02.2018]

Wilhelm Neurohr: Wie geht es weiter mit Europa?

Übersicht:

  • Existenzielle Krise der EU im 60. Jubiläumsjahr
  • Drohendes Scheitern und Auseinanderbrechend der EU

Teil I : Zum gegenwärtigen Zustand der Europäischen Krisen-Union

  • EU seit 12 Jahren im dauerhaften Krisenmodus
  • Konzeptionslosigkeit statt Neuaufbau der EU?
  • Es fehlt der Antrieb zu einem solidarischen Europa
  • Die Militarisierung der expandierenden EU als heikles Unterfangen
  • Uneinigkeit und Zerstrittenheit hinter den Kulissen durch nationale Egoismen
  • Marktradikale Ökonomisierung zerstört idealistischen Zauber der EU-Idee
  • Die EU verliert die Akzeptanz der Bevölkerung und erzeugt eine „verlorene Generation“
  • Ungelöste Konflikte und Probleme überfordern die EU
  • Eklatante Demokratie-Defizite und Bürgerferne der EU
  • Mangelnde Gewaltenteilung, hemmendes Einstimmigkeitsprinzip, unklarer Status
  • Soziale Schieflage durch fehlende einklagbare soziale Grundrechte
  • Europa als Steuerparadies und Tummelfeld für Lobbyisten
  • Krisenbündel als „Weckruf“ für Europa mit Aufwacherlebnissen
  • Die Krise als Chance für überfällige Reformen

Teil II : Wie geht es weiter mit der EU – Reformvorschläge „von oben“

  • Weiter so“ statt dringend notwendige Reformen?
  • Junckers Szenarien zum Rückzug der EU – fragwürdige  Zukunftsmodelle
  • Umstrittene Reformvorschläge des EU-Kommissionspräsidenten
  • Die „Sozialunion“ ist trotz der Erklärung von Göteborg umstritten
  • Die Reformagenda des französischen Präsidenten Macron für die EU
  • Gegenwind zu den Plänen von Juncker und Macron
  • Die offizielle Erklärung von Rom durch die führenden EU-Vertreter
  • Die vier Ziele der EU für die nächsten 10 Jahre
  • Die EU will eine militärische Macht werden und aufrüsten
  • Europäische Militärausgaben überflügeln Russland um das Dreifache
  • Europa hält an Atomwaffen fest statt an Abrüstungsvereinbarungen

 Teil III : Zivilgesellschaftliche Alternativ-Vorschläge für die Neugründung eines     anderen Europa „von unten“

  • Kampf zwischen Kultur und Kommerz – Europa von oben oder von unten?
  • Pro-europäische Bürgerbewegung – Heraus aus der Zuschauerdemokratie –   Ein funktionierendes Europa von unten muss erkämpft werden
  • Bündnis „Europa neu begründen – Die Krise durch Solidarität und Demokratie bewältigen“
  • „Puls of Europe“- Für Europa auf die Straße
  • Memorandum 2017: „Alternativen für ein solidarisches Europa“ statt „Germany first“
  • Vielfältige zivilgesellschaftliche Initiativen für ein anderes Europa von unten – Bürgerkonvent für eine neue EU-Verfassung
  • „DiEM 25“ – Paneuropäische Bewegung „Demokratie in Europa“  – gegen Nationalismus und Demokratieverfall
  • Institutionelle Reformen zur Demokratisierung der EU-Entscheidungsprozesse
  • Perspektiven für die Zukunft Europas und seine Rolle in der Wert

 Zum gegenwärtigen Zustand der Europäischen Krisen-Union

 Existenzielle Krise der EU im 60. Jubiläumsjahr

 Mit dem Thema „Europa“ konnte man noch vor einigen Jahren niemanden „hinter dem Ofen hervorlocken“. Dies bezeugen auch die geringen Wahlbeteiligungen um nur 40% bei den zurückliegenden Europawahlen.

Inzwischen hat sich jedoch der Blick auf Europa dramatisch geändert, denn „unsere Europäische Union ist in einer existenziellen Krise“. Das sind nicht meine Worte, sondern diese ehrliche Diagnose stellte EU-Kommissionspräsident Jean Claude Juncker, und zwar im September 2016 in seiner Rede zur Lage der Europäischen Union.

Dabei sollten wir uns als Europäer eigentlich in diesem Jahr des 60. Jubiläumsjahres der Europäischen Union erfreuen. Denn die Römischen Verträge von 1957 gelten ja als Gründungsdatum der  Europäischen Gemeinschaft.

Die EU hat uns rückblickend 70 Jahre lang Frieden beschert (sieht man von auswärtigen Kriegseinsätzen durch EU-Länder sowie vom Jugoslawienkrieg ab, dessen Kriegsverbrecher gerade vor dem UN-Tribunal abgeurteilt wurden).

Die EU hat uns Freizügigkeit und Reisefreiheit sowie Völkerfreundschaft ermöglicht, gemeinsame Währung (die wir im Urlaub zu schätzen wissen), ferner Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit sowie weitgehende Einhaltung der Menschenrechte auf der Basis gemeinsamer Werte. Aber auch Wohlstand für viele, wenn auch längst nicht für alle, sowie lange Zeit auch funktionierende Demokratie und Sozialstaatlichkeit – kurz: ein offenes und liberales Europa, das wir alle zu schätzen wissen.

Diese Werte sind derzeit in Gefahr mit Blick auf die zunehmende Renationalisierung und Entsolidarisierung, aber auch wegen der Grenzschließungen infolge der  Flüchtlingsbewegungen. Ferner durch Rechtspopulismus und soziale Spaltung, durch unzureichende Finanzmarktregulierungen und unklares Vorgehen bei der Euro-Rettung.

Nicht zuletzt ist die EU gefährdet auch durch eklatante Demokratie-Defizite, durch den Siegeszug der Lobbyisten und die sinkende Akzeptanz der Bevölkerung wegen fehlender Zukunftsperspektiven und -konzepte – bis hin zur zunehmenden Militarisierung der EU-Politik mit massiven Aufrüstungen statt Abrüstungen durch eine EU, die vor 5 Jahren den Friedensnobelpreis erhielt.

Heute, 60 Jahre später steht Europa „auf der Kippe“, zumindest in einem Erosionsprozess und bedarf eines ganz neuen Anlaufs. Denn mit den Ideen der europäischen Vordenker und Gründungsväter von einst hat die heutige Union nur noch wenig gemeinsam. Die Ursprungsidee ist geradezu degeneriert. Die EU ist in einer regelrechten Sinnkrise.

Drohendes Scheitern und Auseinanderbrechen der EU

„Wir feiern jetzt groß in Rom“, sagte der ehemalige belgische Premierminister Verhofstadt, „aber in Wirklichkeit ist das Projekt gescheitert“, so seine Worte. Auch andere europäische Spitzenpolitiker beschworen noch im vorigen Jahr 2016 allesamt in pessimistischen Reden unisono „das Auseinanderbrechen der EU“, von Ratspräsident Donald Tusk und dem französischen Ex-Präsidenten Hollande über den damaligen deutschen Außenminister Steinmeier und dem vorigen Bundespräsidenten Joachim Gauck, bis hin zum damaligen EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz.

Originalton Martin Schulz: „Ja, die EU kann scheitern. Wenn wir nicht aufpassen, fällt sie auseinander“. Der frühere deutsche Außenminister Joschka Fischer malte in einem Interview 2016 die Lage noch viel dramatischer: „Europa ist viel zu schwach und zu zerrissen. Und so wird die westliche Welt, wie wir sie kennen, vor unseren Augen versinken.“ Doch wäre nicht das Zerbrechen Europas eine moralische Bankrotterklärung der zivilisierten westlichen Welt?

Deshalb soll in diesem Beitrag im ersten Teil der bedenkliche Zustand der EU mit ihren Fehlentwicklungen in einer Problemanalyse näher betrachten werden. Im zweiten Teil sollen die inzwischen vorliegenden diversen Reformvorschläge „von oben“ bewertet werden – also was von offizieller Seite, von den EU-Institutionen und Europas Spitzenpolitikern (wie Juncker und Macron) daraufhin für die Rettung Europas und seine Zukunft geplant ist (und ob das ausreicht oder in die falsche Richtung geht).

Und im dritten und wichtigsten Teil soll der Blick darauf gelenkt werden, was „von unten“ aus der Zivilgesellschaft an Alternativen für ein bürgernahes Europa von unten und  seine Neubegründung vorgeschlagen wird und welche Aktivitäten und Initiativen dazu ergriffen werden.

TEIL I:

 Zum gegenwärtigen Zustand der Europäischen Union

 EU seit 12 Jahren im dauerhaften Krisenmodus

Der bedenkliche Zustand der EU, die sich seit 12 Jahren in einem dauerhaften Krisenmodus befindet, spiegelt sich in folgenden Zitaten aus Zeitungsschlagzeilen:

  • „Ist Europa schon tot, oder liegt es noch im Koma?“
  • „Der taumelnde Riese EU“
  • „Diese EU ist am Ende““
  • „Europa am Scheideweg“

Andere Vorwürfe lauten:

  • „Die EU zerstört die europäische Idee“
  • „Der Euro spaltet Nord und Süd“
  • „Europa ist eine lahme Ente – statt neuen Schwung zu nehmen“
  • „Das europäische Projekt hat seine Versprechen nicht gehalten“

Und Zeitungskommentatoren attestieren:

  • „Die Reformfähigkeit der EU steht in zentralen Politikfeldern in Frage“
  • „Europa ist im Begriff, sich in einen gescheiterten Kontinent zu verwandeln“
  • „Abbruchstimmung statt Aufbruch-Stimmung in Europa“
  • „Fehlende Zukunftsvisionen und nationalistische Rückwärtsgewandtheit“
  • „Europa fällt zurück in längst überwunden geglaubte Zeiten“

Einer behauptet sogar:

  • „Wenn die EU untergeht, wird keiner weinen“

Das darf allerdings bezweifelt werden, denn der Verlust wäre zweifellos tragisch.

Weitere Schlagzeilen:

  • „Was ist los mit dir, Europa?“
  • „Schicksalsjahr für Europa
  • „Die Europäische Union ist in einer schweren Krise“

Und ein Leitartikler in der Zeitung „Die Welt“ schrieb 2017: „Die EU ist in Teilen dysfunktional und im Kern nicht mehr reformfähig. Sie hat ausgedient. Sie muss neu aufgebaut werden.“ Immer lauter wird deshalb die nach vollziehbare Forderung nach einer Totalrevision der europäischen Verträge. Doch Europa sei „mit 60 noch nicht reif für die Rente“, meint der Luxemburger Regierungschef Xavier Bettel.

 Konzeptionslosigkeit statt Neuaufbau der EU?

Der amtsmüde Kommissionspräsident Juncker musste nach den Jubiläums-Feierlichkeiten in Rom eingestehen: „Ein echtes Konzept fehlt. Eine Antwort darauf haben wir nicht, wie die Zukunft der EU konkret aussieht.“ Das ist quasi eine Bankrotterklärung von höchster Stelle, ein politisches Armutszeugnis. Aber sollten wir nicht für die Wiederbelebung Europas energisch kämpfen?

Gerade jetzt kommt es doch auf die gemeinsamen europäischen Werte an – auch als freiheitliches Gegenmodell zu den Systemen von Trump, Erdogan, Putin, Orban und anderen. Dazu ist ein grundlegendes Überdenken der Politik und Architektur der EU dringend gefordert, wenn dieser Kontinent nicht scheitern soll. Die Prinzipien der europäischen Friedens- und Sicherheitsordnung stehen auf dem Spiel, ebenso die sozialen und demokratischen Prinzipien.

Europa wird meines Erachtens weniger an der Flüchtlingsfrage zerbrechen als vielmehr an der ungelösten sozialen Frage und an seinen eklatanten Demokratie-Defiziten. Daran ändern auch nichts die vor wenigen Tagen in Göteborg von den EU-Institutionen gemeinsam verkündeten unverbindlichen Aussagen für einen „sozialen Pfeiler der EU“, die im Weiteren noch näher hier betrachtet werden.

Die Menschen in Europa sind die politischen Bücklinge gegenüber den internationalen Finanzoligarchen leid, die uns als „marktkonforme Demokratie“ verkauft werden. Dabei brauchen wir einen demokratiekonformen Markt, denn die Wirtschaftslastigkeit Europas erzeugt mehr Verlierer als Gewinner. Die Sehnsucht nach einer tragenden Idee für Europa wurde kaum erfüllt; Europa hat seine Versprechungen nicht gehalten.

Die Menschen sind zwar mehrheitlich für die europäische Integration, aber sie wollen ein anderes Europa als das der Eliten. Andernfalls vollzieht sich mit den Rechtspopulisten in Europa und Amerika bereits eine gefährliche antiliberale Revolte. Vielleicht hat der ehemalige EU-Parlamentspräsident Martin Schulz nicht ganz Unrecht mit seiner Aussage, dass die EU sich außen- und wirtschaftspolitisch zunehmend von den USA emanzipieren sollte, dann hätte die Ära Donald Trump wenigstens in dieser Hinsicht ihr Gutes.

 Es fehlt der Antrieb zu einem solidarischen Europa

In Wirklichkeit fehlt der Antrieb zu einem solidarischen Europa – mit höheren Löhnen, kürzerer Arbeitszeit, bezahlbaren  Wohnungen und umfassender Sozialversicherung sowie Wohlstand für alle, wie jüngst in Göteborg zwar von der EU-Spitze verkündet – allein, es fehlt der Glaube. Deutschland als reichstes Land will nicht draufzahlen  – weil es heute schon 13 Mrd. € mehr einzahlt als es an EU-Mitteln erhält, Und keiner will sein Wohlstandsniveau absenken. Im Hinterkopf des größten und einflussreichsten EU-Landes versteckt sich in Wirklichkeit das Anliegen „Germany first“.

Der „Exportweltmeister Deutschland“ mit seinen Exportüberschüssen und seiner Niedriglohnpolitik ist mit diesem nationalen Wirtschaftsegoismus  mitverantwortlich für den wirtschaftlichen Niedergang der südeuropäischen Länder und deren Verschuldung, von der Deutschland auch noch profitiert, so attestieren die Wirtschaftswissenschaftler. Und außenpolitisch muss Europa seine Handels- und Entwicklungspolitik korrigieren, wenn ihm wirklich an der Beseitigung der Fluchtursachen in den Armutsländern außerhalb Europas gelegen…

VOLLTEXT

Siegfried Born: Parole „Gemeinsam für soziale Gerechtigkeit“ darf keine bloße Worthülse bleiben. Überlegungen zum 1. Mai 2017

Der 1. Mai 2017

Das Motto des diesjährigen 1. Mai lautet: „Wir sind viele – wir sind eins“. Gemeint ist damit offenbar, dass wir vielen Menschen sind in den kleineren und größeren Städten der sechzehn Bundesländer, die sich als eine Einheit betrachten sollten. „Gemeinsam sind wir stark“ war und ist ein Motto der DGB-Gewerkschaften im Kampf vor allem um berechtigte Lohnforderungen. Aber wir sollten auch gemeinsam Seite an Seite kämpfen gegen den sich immer stärker werdenden Rechtspopulismus und den damit einhergehenden Fremdenhass.

Wir sind eins gegen rechts

Gemeinsam gegen rechts ist umso notwendiger, je mehr es Leute gibt, die den rechten Rattenfängern in die Arme laufen, die glauben, dass mit Nationalismus, Populismus und Fremdenfeindlichkeit und den dumpfen und hohlen Parolen wie „Ausländer raus“ oder „wir wollen keine Flüchtlinge“ oder „es muss eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen geben“ usw. hier in Deutschland, der soziale Friede, die soziale Gerechtigkeit wieder hergestellt werden würde. Das Gegenteil wäre der Fall.

Wir müssen hier und heute, hier und in den Betrieben, hier und bei unseren Freunden, Nachbarn, ja sogar in unseren eigenen Familien klar und deutlich machen, dass berechtigte Ängste um den Arbeitsplatz,  Sorge um die Zukunft unserer Kinder und vielleicht Ohnmacht gegenüber der Regierung nicht den Rechtspopulisten Zulauf und Vorteile verschaffen dürfen.

Kein Hass gegen Fremde

 Wer Hass auf andere entfaltet, der macht immer die Anderen für ein mögliches Versagen im eigenen Bereich verantwortlich, der macht die Flüchtlinge in ihren Notunterkünften, den Hassan von gegenüber, den Gemüsehändler aus Griechenland, den Eisverkäufer aus Italien usw. für seine schlechte Lage verantwortlich.

Der Andere soll verantwortlich sein für den Wegfall des eigenen Arbeitsplatzes, für die kaum ausreichende Sozialhilfe, für die viel zu  niedrige Rente, für die teure Mietwohnung und für das eigene soziale Elend.

Millionenfaches Leid durch die AGENDA 2010

 Aber nicht der Andere ist Schuld an der Misere, in der viele von uns stecken. Schuld sind vielfach gesetzliche Bestimmungen, wie beispielsweise die AGENDA 2010 unter Gerhard Schröder, die millionenfaches Leid über uns, die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, gebracht hat. Neulich war der WAZ zu entnehmen, dass die Verelendung großer Teile unserer Bevölkerung durch die Einführung der AGENDA 2010 erst gekommen ist. So sehen es auch viele Schuldnerberatungsstellen.

Ganz wichtig: soziale Gerechtigkeit

 Wir brauchen wieder mehr soziale Gerechtigkeit, hatte unlängst der neue Messias der SPD, Martin Schulz, vor laufenden Kameras gesagt. Ja, möchte man ihm zurufen, dann sieh doch zu, dass es wieder zu mehr sozialer Gerechtigkeit kommt in unserem Lande. Ja, möchte man ihm zurufen, dann verändere doch sofort die schlimmen gesetzlichen Bestimmungen, die erst dazu geführt haben, dass es uns in Deutschland so schlecht geht, hin zu besseren Gesetzen, die für die Betroffenen wieder Perspektiven bieten.

Weg mit Hartz IV ist dabei nur eine von zahlreichen nachzuempfindende Forderung aus der Bevölkerung, vor allem aus dem Lager der betroffenen Hartz-IV-Empfänger.

Jobcenter: Mangelverwaltung und Sanktionen verhängen

 Die AGENDA 2010 hat die Arbeitslosen bekämpft, nicht die Arbeitslosigkeit. Unter dem damaligen Superminister Wolfgang Clement, der gar keinen Widerspruch dulden mochte, auch nicht von SPD-Genossinnen und –Genossen, gegen seine Supervorhaben wie beispielsweise der Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zu den uns heute bekannten Jobcentern, weil er sich dadurch Synergieeffekte erhoffte, wurden und werden Arbeitslose verwaltet und schikaniert. Er sah damals in jedem Arbeitslosen Hilfeempfänger potenzielle Betrüger, die den Staat nur so nach Laune betrügen wollten, wie es ihnen gerade im Kram passte. Nachgewiesen war später,  dass nur ganz wenige Hilfesuchende betrügerische Absichten gegen den Sozialstaat hegten, während die überwiegende Masse sich ihrem Schicksal hingab und auf Besserung am Arbeitsmarkt wartete und wartete und bis heute noch wartet.

Auch heute werden immer noch Sanktionen gegen Arbeitslose ausgesprochen, sei es, weil sie mal irgendeinen Termin nicht wahrgenommen haben oder schlichtweg aus Willkür.

Wäre es nicht viel besser für die betroffenen Hilfesuchenden, aber auch für die hinter den Schreibtischen sitzenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jobcenter, wenn uns die Nachricht erreichen würde: Jobcenter X punktet mit einer Vielzahl von guten Arbeitsangeboten, gerade für die zahlreichen Langzeitarbeitslosen der Stadt Y.

Städte teilen sich auf in arme und reiche Stadtteile

 Festzustellen ist auch, dass sich in Deutschland Quartiere herausgebildet haben, die in arme oder reiche Quartiere unterteilt werden müssen. Die Politik konzentriert sich auf die reichen Quartiere und macht Politik gegen sozial abgehängte Menschen. Die Entwicklung hier in Deutschland geht in Richtung Kapitalismus, weiter in Richtung Finanzmacht bis hin zum Neoliberalismus. Die Gesellschaft wird sich spalten in Arm und Reich, so die Feststellung von Prof. Butterwegge, dem Bundespräsidentschaftskandidaten der LINKEN und Armutsforscher.

Gründe hierfür sind:

  1. Die Deregulierung des Arbeitsmarktes,
  2. Die Lockerung des Kündigungsschutzes
  3. Die zahllosen prekären Arbeitsverhältnisse

5 Millionen Menschen in der BRD sind in Minijobs tätig, begünstigt durch erleichterte Werkverträge. Es muss hinzugefügt werden, dass es die Strategie der Schröder-Regierung war, Lohndumping einzuführen. Die Folgen erkennen wir nun in Griechenland, in Italien, Portugal und Spanien. Das Löhnedrücken ist exportiert worden in die genannten Nachbarländer.

Sozialstaat wird demontiert

 Weitere Gründe für die Spaltung unserer Gesellschaft in nur noch Arm und nur noch Reich ist u. a. auch die Demontage des Sozialstaates, also der US-Amerikanisierung in arm und reich. Es herrscht zurzeit ein Marktradikalismus ungeahnten Ausmaßes und damit müssen wir eine neue soziale Eiseskälte verspüren. Das alles hat nichts mit sozialer Gerechtigkeit zu tun. Das Gegenteil ist der Fall.  Auch diese schlimmen Dinge könnten die Verantwortlichen um Martin Schulz verändern und zurücknehmen, wenn sie denn nur wollten.

Umverteilung von oben nach unten, nicht umgekehrt!

 Als schreiende soziale Ungerechtigkeit muss die  Umverteilung von unten nach oben gesehen werden. Es muss aber eine Umverteilung von oben nach unten erfolgen. Dieses so wichtige Thema beschäftigt inzwischen 26 Organisationen in Deutschland, darunter auch den DGB, die Einzelgewerkschaft ver.di, viele kirchliche und Nichtregierungsorganisationen.

1,7 Millionen Sozialhilfeempfänger in Langzeitarmut

Wenn nicht alsbald ein Gegensteuern vorgenommen wird, wird Deutschland  gegen die Wand gefahren. 16 % der deutschen Bevölkerung müssen zu den armen gerechnet werden, 350tausend Menschen in Deutschland sind obdachlos. Die Flüchtlinge werden zu den Armen in Deutschland nicht mitgerechnet.  1,7 Millionen Sozialhilfeempfänger befinden sich in Langzeitarmut. 40 % der unteren Einkommensbezieher, die schon fast Sozialhilfeempfänger sind oder sogar schon von Sozialhilfe leben müssen, haben nichts Erspartes. Wenn da mal der Kühlschrank oder die Waschmaschine defekt werden, ist die Not noch größer, denn diese Leute bekommen keinen Kredit mehr. Und das in einem Land, das das fünftreichste dieser Erde ist.

Was ist von Martin Schulz zu erwarten?

 Ach ja, der momentane Heilsbringer der SPD, Martin Schulz, sprach ja davon, dass es wieder gerechter zugehen möge hier in Deutschland. Ja, möchte man ihm zurufen, dann tu doch etwas dafür. Bis zur Bundestagswahl im September dieses Jahres hätte er und seine SPD Zeit, eine Reihe von guten Vorschlägen der Großen Koalition in Berlin vorzulegen und eine Vielzahl der damaligen gesetzlichen Bestimmungen, der Grausamkeiten unter dem Kürzel AGENDA 2010, wieder rückgängig zu machen.

Wenn den vollmundigen Äußerungen von Martin Schulz, der ja an der AGENDA 2010 nicht unbeteiligt gewesen ist, jetzt noch Taten folgen würden, damit die vielen Millionen Menschen, die arbeitslos sind, die von prekären Arbeitsverhältnissen leben müssen, die aufstockende Sozialhilfe beantragen müssen, obwohl sie acht Stunden am Tag arbeiten, die Rente beziehen, die unter der Armutsgrenze liegt usw., dann, ja dann könnte man vielleicht in Erwägung ziehen, sich wieder für die SPD zu interessieren.

Rentenniveau sinkt ständig ab

 In Sachen Rentenniveau haben sich die Sozialdemokraten damals wie heute nicht mit Ruhm bekleckert, ist doch der Prozentwert auf unter 50 gesunken mit Tendenz in Richtung 40 % des letzten Bruttos. Von der Rente muss man leben können sagen dann die gleichen Politiker, die zuvor das Rentenniveau stetig absenken. Angesichts solcher Praktiken fühlen sich die Rentnerinnen und Rentner hier in Deutschland doch mehr als getäuscht und sind dann auch zu recht enttäuscht von der Politik.

Bei der Rentengewährung Vorbild Österreich

In unserem Nachbarland Österreich beispielsweise  wird eine so genannte Mindestrente jedem Rentner und jeder Rentnerin gewährt in Höhe von über 800 Euro. Zudem erwerben die meisten Rentnerinnen und Rentner in Österreich eine Anwartschaft auf eine zweite Rente, die hinzukommt, so dass fast alle Rentenbezieher in Österreich über eine Mindestrente von ca. 1.100,- Euro verfügen. Das Rentenniveau ist auch wesentlich höher als im fünftreichsten Land der Erde. Es liegt bei über 50 %. Also insofern können wir was von Österreich lernen. Was in Österreich machbar ist, dürfte doch für uns in Deutschland gar kein Problem darstellen, Frau Nahles und Herr Schulz!

Ob sich was ändert bis zur Bundestagswahl?

 Gemeinsam für soziale Gerechtigkeit dürfte keine bloße Worthülse bleiben sondern müsste zu Veränderungen, d. h. zu Verbesserungen für diejenigen unter uns führen, die von der AGENDA 2010 betroffen waren und betroffen sind.

Dann und nur dann würde auch schlagartig der Hass auf die Anderen eingedämmt werden, denn ein ganzes Stück mehr an Gerechtigkeit führt immer auch dazu, den Anderen mit anderen, viel weniger verhassten Augen zu sehen, als dies noch der Fall ist.

Die Worte von Martin Schulz hören wir wohl, allein es fehlt uns aber der Glaube daran, dass es wieder besser werden könnte.  Und so wird es wie fast immer bei vollmundigen gut gemeinten Worten bleiben, die uns glauben machen sollen, dass nach dem Wahltag alles besser wird für uns und wir werden feststellen, dass der Rechtsruck in Deutschland geblieben ist und die so vollmundig herbei geredete Gerechtigkeit einmal mehr auf der Strecke geblieben ist.

Wir sind viele –wir sind eins gegen soziale Ungerechtigkeiten, gegen Rentenkürzungen, gegen prekäre Arbeitsverhältnisse, gegen Leiharbeit, gegen befristete schlecht bezahlte Minijobs,  gegen Armut, gegen Rassismus, gegen Ausländerfeindlichkeit, gegen Rechtspopulismus und für die Umverteilung des Vermögens von oben nach unten.

Siegfried Born

Mitglied der Gewerkschaft ver.di, Mitglied bei attac und kritischer Beobachter der Bundesregierung

 

Neuerscheinung: »Verschiedene Ansichten. Neue zeitkritische Beiträge« von Dietrich Stahlbaum

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Klappentext:

Auch für den 90-Jährigen ist es eine „Selbstverständlichkeit, das Zeitgeschehen kritisch zu begleiten und im Netz mitzudebattieren.“ Dies ist nun sein 10. eBook, Fortsetzung des neunten mit Beiträgen des letzten Jahres (2016) zu den gleichen Themen (aktuelle Politik, Globalisierung, Kolonialismus, Krieg und Pazifismus, Flüchtlinge, Fluchtursachen, alte und Neue Rechte, ihr Rassismus, ihre Ängste; philosophische Betrachtungen…) Dazu: Die Arier.  Der folgenschwere Missbrauch eines Begriffes durch Rassisten, Verschwörungstheorien; Entwicklungshelfer – ein Afrika-Fest in Bild und Text, Wer war Martin Luther?… – Rezension eines außergewöhnlichen Buches und ein Zeitungsbericht zu Stahlbaums 90.

Der Autor: geboren 1926, aufgewachsen in einem völkisch deutsch-nationalen Milieu, militaristisch erzogen, faschistisch indoktriniert. „Hitlerjugend“, Militär, I944-45 an zerbröckelnden Fronten, 1949-54 bei der Fallschirmtruppe der französischen Legion in Algerien und Vietnam. Heimkehr als Kriegsgegner. Engagement in Bürgerinitiativen und in der Friedens- und Ökologiebewegung. Berufe: u. a. Fabrikarbeiter, Buchhändler, Verlagsangestellter, Bibliothekar. Publikationen: Prosa, Lyrik, Essays, Reportagen etc. Ein Roman, ein „Lesebuch“, Print- und eBooks.

INHALT:

Verschiedene Ansichten – – Warum feiert heute der Nationalkonservatismus Urständ in Europa? – – Gesamtkultur, Menschheitskultur – – „Fremde“ Kulturen und Verhaltensweisen – – Historische Fluchtursachen – – Deutsche Auswanderer, deutsche Kolonialherrschaft – – PEGIDA, AfD und CO. verbreiteten verschwörungstheoretische Übertreibungen – – „Völkisch“ – – Muslimvereine – – Araberinnen – – Die Arier. Der folgenschwere Missbrauch eines Begriffes durch Rassisten – – Verschwörungstheorien. Eine WDR-Sendung und kritische Anmerkungen – – Multi-ethnischer Staat in Syrien? – – Zur Klimaerwärmung – – Afrika-Fest am 11.Juni 2016 auf dem Schulbauernhof in Recklinghausen (Bild und Text) – – Pazifisten – – Raus aus der NATO? Die Friedensbewegung im „Kalten Krieg“. Wortprotokoll einer Diskussion (1983) – – Der Gewalt (in uns) ein Ende setzen – – Das zurück gegebene Schwert. Eine vietnamesische Legende – – Barack Obama – – Herz und Hirn – – Frauen, die für Gleichberechtigung kämpfen – – Der SPD ist die soziale Kompetenz verloren gegangen – – Wer war Martin Luther? Was hat er gelehrt? Was hat er gewollt? Rezension – –  90 Jahre mitten im Strom der Zeit. Ein Lebensbericht

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Dietrich Stahlbaum:  »Verschiedene Ansichten- Neue zeitkritische Beiträge«                   BookRix-eBook  2017, 11658 Wörter, € 3,99, ISBN: 978-3-7396-9350-7

Das eBook kann für € 3,99 auf Ihren Computer oder ein Lesegerät heruntergeladen werden.

Claus Kittsteiner: Bauchgeprägtes Denken macht blind

Leserbrief zum Attentat von Berlin: „Der Erfolg der Terroristen“, FR-Meinung vom 21. Dezember

Mit Traurigkeit verfolge ich das schlimme Geschehen der Terroranschläge. Traurig und wachsam macht mich auch so mancher Kommentar von „Normalbürgern“, die die terroristischen Anschläge für ihre und für Parteizwecke instrumentalisieren. Sie tun es zur Bestätigung ihrer ohnehin bestehenden Ablehnung gegenüber Menschen, die ihnen als fremd erscheinen. Kennen wir doch!

Ich bin selber Flüchtling. Meine Familie hat diese dumpfe Ablehnung von „Fremden“, selbst erlebt. Vor Jahrzehnten sogar im eigenen Lande, als von Schlesien nach Süddeutschland Evakuierte, und das vonseiten von Mitbürgern, die das „gesunde Volksempfinden“ für sich beanspruchten.

„Bauchgeprägtes“ Denken in aktualisierter Form macht viele blind gegenüber den Folgen der vom Westen (mit)verursachten Kriege im Nahen Osten. Die Quittung haben wir nun vor Augen, flüchtende Menschen kommen zu uns. Die im Vergleich zu deren Gesamtzahl und zur aktuellen Kriminalstatistik geringe Zahl an Kriminellen unter ihnen wird gezielt und bewusst angsterzeugend verallgemeinert – genau davon lebt die neue Partei des sog. gesunden Volksempfindens. Sie kommt an bei Leuten, die nicht gelernt haben oder sich weigern, den Unterschied zwischen Ursachen und Folgen zu sehen. Das sog. gesunde Volksempfinden blüht wieder auf, die AfD befeuert es und macht wissend ihr großes Geschäft daraus.

Die Unterstellung, Führer- und Wählerschaft der sich als „völkisch“ propagierenden AFD seien nur Dummköpfe, greift historisch nicht. Unter den völkischen Mitläufern und Vollziehern im NS-Lebensraumkrieg war der Anteil von Akademikern bekanntlich groß, nicht nur in Hitlers SS. Was sagt uns das heute? Formale Bildung allein hilft nicht gegen Rassismus, menschliche Dummheit und zwischenmenschliche Abgestumpftheit. Die Folgen sind bekannt. Land, pass auf!

Claus Kittsteiner, Berlin

[Frankfurter Rundschau vom 24.12.2016]

Lorenz Gösta Beutin: Realistisch ist, für die ganz andere Gesellschaft zu kämpfen

Lorenz Gösta Beutin
Lorenz Gösta Beutin

Kandidaturrede auf der Vertreter*innenversammlung der Linken Schleswig Holstein zur Wahl der Landesliste zur BTW 2017 für Platz 2:

Liebe Genossinnen und Genossen,

gestern habe ich mit vielen anderen Menschen in Kiel gegen einen Auftritt von Beatrix von Storch demonstriert. Es ist richtig, gegen die AfD auf die Straße zu gehen. Wir dürfen niemals zulassen, dass Rassismus zur Normalität wird.

Aber machen wir uns nichts vor, der Erfolg der AfD kommt nicht aus dem Nichts. Er hat seine Ursachen in der Agenda-Politik, in prekären Arbeitsverhältnissen, in der Kürzungs- und Verarmungspolitik der letzten Jahrzehnte. Diese Politik haben alle Parteien mitgetragen, außer uns, und darauf können wir stolz sein.

Vermeintlich sind die Antworten der Rechten die einfacheren Lösungen. Doch Hass und Menschenfeindlichkeit vertiefen die gesellschaftliche Krise. Um die AfD, Pegida und co. wirksam zu bekämpfen, müssen wir die Angst in unserer Gesellschaft bekämpfen. Wir müssen der Angst den Boden entziehen.

Deshalb setzen wir bei der kommenden Bundestagswahl gegen die Politik der Angst unser Programm der Hoffnung, der Zukunft. Wir können uns nicht leisten, dass jedes fünfte Kind in Armut lebt, dass Rentner*innen arbeiten gehen müssen, dass Alleinerziehende von Hartz IV gedemütigt werden, das Menschen 40 Stunden arbeiten und trotzdem nicht von ihrem Lohn leben können. Wir sind die Partei, die sagt, dass der Zustand unserer Gesellschaft keine Naturkatastrophe ist, sondern Ergebnis politischer Entscheidungen. Und diese Politik kann, sie muss geändert werden.

Aber wo Armut ist, da ist auch Reichtum. Deshalb ist der Wandel, den wir brauchen, ein radikaler. Er ist radikal, weil er an die Wurzel geht. Wir sagen: Die Reichen, die Lobbygruppen, die Unternehmensverbände haben über unsere Verhältnisse gelebt. Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten. Wir brauchen endlich wieder eine Vermögenssteuer, einen höheren Spitzensteuersatz, eine gerechte Erbschaftssteuer. Und natürlich Weg mit Hartz IV und her mit einer sanktionsfreien Mindestsicherung. Wir machen uns auf, um die Macht dem 1 Prozent zu nehmen und sie den 99 Prozent zu geben.

Nein, ich rede hier keine Volksgemeinschaft herbei. Wir brauchen den Meinungsstreit, die Vielfalt in unserer Gesellschaft, das Ringen um den richtigen Weg. Aber wie sagte Brecht: Erst kommt das Fressen, dann die Moral. Wir müssen den Menschen ihre Ängste nehmen, für eine Gesellschaft kämpfen, in der alle Menschen sicher und gut leben können. Der Kampf um eine gerechte Gesellschaft ist der Kampf um die Grundlagen unserer Demokratie.

Und die Demokratie, die wir meinen, ist nicht die Demokratie, die uns Merkel, Steinmeier und Gabriel verkaufen wollen. Mit ihren Weltordnungskriegen haben sie vorgegeben, die Demokratie verteidigen zu wollen. Die Bilanz ihres Krieges gegen den Terror: 1,3 Millionen zivile Todesopfer in Irak, Afghanistan und anderswo, Stand März 2015. Nein, es ging dabei um Einflusssphären, um Macht und Rohstoffe. Wenn es um Demokratie ginge, würden sie nicht mit Diktaturen wie Saudi-Arabien oder Qatar paktieren, nicht mit Eritrea oder der Türkei windige Deals schließen.

Tatsächlich kommen seit dem Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingskrise immer weniger Geflüchtete zu uns. Aber nicht deshalb, weil sich die Europäische Union endlich an die wirksame Bekämpfung der Fluchtursachen gemacht hätte. Nein, weil die Menschen tausendfach im Mittelmeer sterben, die Machen des Zauns um die Festung Europa noch enger gezogen worden sind. Wir sind die, die Geflüchteten Willkommen geheißen haben, wir sind die, die ehrenamtlich geholfen haben, wir sind die, die die Festung Europa schleifen wollen.

Die „Flüchtlingskrise“ kann nur gelöst werden, wenn endlich an die Bekämpfung der Fluchtursachen gegangen wird. Das sind die Kriege dieser Welt, die Waffenexporte, die globale Ungleichheit, die Umweltzerstörung, die Bedingungen zur Produktion unserer Konsumgüter. Die Krise beginnt nicht irgendwo da draußen, die Krise beginnt hier. Hier, in diesem Land, auch in Schleswig-Holstein, finden wir die Hebel, die Krise zu stoppen. Stopp der Rüstungsproduktion, Stopp der Unterstützung autoritärer Regime, Schluss mit den deutschen Auslandseinsätzen. Soziale Sicherheit, eine gerechte Verteilung der Güter dieser Welt sind die Grundlage für Frieden und Menschenwürde.

Wer mich kennt, weiß, dass ich ohne Wenn und Aber für eine konsequente, linke Politik kämpfe. Antifaschismus und Frieden sind für mich die Eckpfeiler meiner Politik, es sind auch die Grundsätze, bei denen wir uns vor Kompromissen hüten sollten, wollen wir nicht den Wesenskern unserer Partei verraten.

Was uns aber gelingen muss: Wir müssen neben unseren Grundsätzen den Gebrauchswert unserer Politik erklären. Wir müssen deutlich machen, warum eine starke LINKE einen Unterschied macht. Wir müssen um Mehrheiten für unsere Inhalte ringen. Wenn ich von Mehrheiten spreche, meine ich auch gesellschaftliche Mehrheiten. Wir müssen aufzeigen, wie die gute Rente für alle funktionieren kann, warum die Bürger*innenversicherung ein wirksames Instrument gegen die Zweiklassenmedizin ist, warum Investitionen in die Infrastruktur sich letztlich für die gesamte Gesellschaft auszahlen.

Die Basis für unseren Erfolg haben wir längst gelegt. Wir sind aktiv in Vereinen, Verbänden und Initiativen, beim Kampf gegen TTIP und CETA, gegen den Pflegenotstand oder für gute Löhne und gute Arbeit in den Gewerkschaften. Wir sind längst eine Partei nicht nur in Bewegung, sondern in den Bewegungen.

Deshalb bringen wir in den Parlamenten auch die Anfragen und Positionen unserer Bündnispartner*innen ein. Wir müssen die Stimme derjenigen sein, die keine Stimme mehr haben bei der Regierenden. Uns geht es nicht ums Wohlwollen der wirtschaftlich Mächtigen oder der Medien. In erster Linie geht es uns darum, die zu erreichen, mit denen wir an Infoständen diskutieren, bei Haustürgesprächen oder Veranstaltungen. Die noch glauben, dass eine ganz andere Politik möglich und notwendig ist.

Nun habe ich in letzter Zeit ab und an die Befürchtung gehört, wenn ich in den Bundestag ginge, Marianne in den Landtag, stünde der Landesverband kopflos da. Ich glaube, das ist etwas zuviel der Ehre. Der Kopf des Landesverbandes sind wir alle gemeinsam. Aber ich habe auch in meiner Bewerbung geschrieben, ich bleibe mindestens bis zum November, bis zur Neuwahl des Landesvorstands Landessprecher. Gemeinsam mit Euch möchte ich einen offensiven, phantasievollen Wahlkampf führen. Als Teil eines starken Landesvorstands möchte ich die Konstituierung und die ersten Schritte unserer künftigen Landtagsfraktion begleiten, für die enge Anbindung an die Partei sorgen. Ein starkes Ergebnis bei den Landtagswahlen wird für uns Grundlage sein, dass wir in Schleswig-Holstein auch bei den Bundestagswahlen gut abschneiden. Es ist insgesamt eine der zentralen Grundlagen für die Zukunft unserer Partei.

Und nach der Bundestagswahl möchte ich gemeinsam mit Euch diskutieren, wie wir als Bundestagsabgeordnete dazu beitragen können, den Landesverband zu stärken, indem wir verstärkt Themen aus Schleswig-Holstein in den Bundestag tragen, indem wir mit den Wahlkreisbüros linke Strukturen stärken. Und einen speziellen Vorschlag habe ich: Ich möchte gerne ein mobiles Wahlkreisbüro einrichten, gemeinsam mit den anderen Abgeordneten, das wechselnd von unseren Mitarbeiter*innen besetzt wird. Mit einem kleinen Bus soll es mobil Sprechstunden ermöglichen auch in den Regionen, wo wir sonst nicht so häufig hinkommen. Wir müssen nicht nur unsere Stärken stärken, wir müssen uns auch darum kümmern, dass linke Politik auch in den Regionen präsenter wird.

Auf Facebook schrieb gestern jemand, wir würden nur populistische Politik machen. Wenn populistisch bedeutet zu sagen, was ist, so mag das sein. Unsere Aufgabe ist es, klar und verständlich zu sprechen. Jemand, den andere als großen Politiker feiern, hat mal gesagt, wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen. Andere sagen, unsere Politik sei nicht realistisch. Nun frage ich Euch: Ist es realistisch zu behaupten, wer arbeiten will, findet Arbeit? Ist es realistisch, dass es allen gut geht, wenn es nur der Wirtschaft gut geht? Dass eine Politik des Sparens und der Privatisierung Wohlstand bringe? Haben die deutschen Auslandseinsätze in Afghanistan und anderswo, die deutschen Rüstungsexporte Frieden gebracht?

Nein, die, die uns erzählen wollen, was Realismus ist, sind auf der ganzen Linie gescheitert. Ihre Politik ist illusionär und weltfremd. Das Gegenteil all ihrer Behauptungen ist wahr geworden. Ihre Versprechen waren gesprochene Verbrechen. Diese Politik des Immer-weiter-so hat jeglichen Realitätssinn, jede Glaubwürdigkeit verloren.

Realistisch ist eine Politik, die ganz anders ist, als die bestehende. Realistisch ist eine Politik, die für Freiheit und Gleichheit für alle Menschen, ohne Unterschied, eintritt. Realistisch ist Menschenfreundlichkeit, ist Solidarität. Nicht wir sind die Träumer, sie sind die Träumer, die noch immer an die seeligmachende Wirkung des Kapitalismus glauben.

Mit all unseren Projekten, mit unserem gesamten Programm stehen wir ein für eine andere Gesellschaft, die Ausbeutung, Konkurrenz und Umweltzerstörung überwindet. Wir sind ganz konkret und nah an den Menschen und wissen gleichzeitig, wofür wir brennen, wofür wir gemeinsam kämpfen, für den demokratischen Sozialismus. Er beschreibt unseren Weg und unser Ziel. Gemeinsam mit Euch will ich im nächsten Jahr bei der Landtags- und bei der Bundestagswahl für eine starke Linke kämpfen. Nicht aus der Defensive heraus, sondern selbstbewusst, weil wir gemeinsam für unsere Sache brennen.

Lorenz Gösta Beutin

[Email vom  30.11.2016]

AfD-Vorsitzende Petry will das Wort „völkisch“ rehabilitieren

AfD-Vorsitzende Petry will das Wort „völkisch“ rehabilitieren

Von Melanie Reinsch

Die AfD-Chefin setzt sich per Interview für ein „normales Verhältnis zu unserer Nation“ ein und warnt vor einem Bürgerkrieg. Politiker verschiedener Parteien sind entsetzt.

Die AfD-Vorsitzende Frauke Petry möchte den Begriff „völkisch“ im Sprachgebrauch wieder positiv belegen. Man müsse „daran arbeiten, dass dieser Begriff wieder positiv besetzt ist“, sagte sie der „Welt am Sonntag“ in einem Interview. „Volk mit Rassismus zu konnotieren, halte ich für falsch“, erklärte Petry weiter.

Es bleibe nicht bei der Ächtung des Begriffs „völkisch“; vielmehr dehne sich der negative Beigeschmack auch auf das Wort „Volk“ aus, sagte sie. „Völkisch“ sei jedoch ein dazugehöriges Attribut. Petry ist der Meinung, dass man „endlich wieder einen entspannten, nicht unkritischen, also normalen Umgang mit unserer Nation und dem Begriff ‚Volk‘“ wiedererlangen müsse. Sie betonte, dass sie den Begriff selbst zwar nicht nutze, aber ihr missfalle, dass er nur in einem negativen Kontext benutzt werde. Petry sagte weiter, dass „wir es dringend nötig“ hätten, ein gesundes Verhältnis zu Identität und Volk zu entwickeln, „wie es alle anderen in der Welt auch tun“. …

Volltext im Titel verlinkt

Hierzu:

Ideologische Wurzeln des Nationalsozialismus im deutschen Bürgertum