Alter Mann (92) über die Verantwortung der Medien und die allgemeine Achtlosigkeit (Leserbrief)

   Ich hatte mir vorgenommen, keine Leserbriefe mehr zu schreiben, denn ich bin ein alter Mann (92) und wollte es den Jüngeren überlassen, sich um den Zustand unseres Planeten und die Zustände in unserer Welt zu kümmern. Für mich ist das eine Frage der Selbstachtung: Ich kann nicht zusehen, wie die Dinge den Bach ´runtergehen und dazu schweigen.  

     Ein paar Beispiele:

  1. Verantwortung der Medien. Das Zeitungshaus Bauer ist da keine Ausnahme.

Radio, Fernsehen und Presse sind verpflichtet, möglichst umfassend zu informieren und Nachricht und Kommentar zu trennen. Fakt ist jedoch, was nicht der politischen Einstellung der Journalist*Innen und Redakteur*Innen entspricht und dem Mainstream zuwiderläuft, wird entweder verschwiegen, mit einer kleinen Kolumne und/oder einer verharmlosenden Schlagzeile abgetan. Der Titel eines Artikels beeinflusst bei vielen Leser*Innen die zumeist selektive Wahrnehmung des Inhalts.

2. Besonders regierungsfreundliche Medien erwähnen zuerst ganz kurz kritische Äußerungen von Expert*Innen und anderen politisch engagieren Bürger*Innen. Die Gegendarstellung der Regierung erscheint dann lang und breit, als wäre sie wichtiger und stichhaltiger als die kritischen Einwände gegen die Regierungspolitik.

3. Fast alle Presseerzeugnisse berichten über den Klimawandel, die Not-wendigkeit eines radikalen ökologischen Umbaus der Wirtschaft und kritisieren unsere wertvolle Ressourcen verschwendende Lebensweise. Radikal im Sinne von „das Übel bei der Wurzel“ packen. Im selben Blatt ist eine Werbeanzeige und in der Rubrik Auto und Motor ein affirmativer Bericht über SUVs, die bewirken, dass durch den höheren Kraftstoffverbrauch und den damit verbundenen hohen Cw-Wert der Schadstoffausstoß nicht sinkt, sondern noch steigt. „SUV – in Blech gepresste Rücksichtslosigkeit“ (Jens Tartler im TAGESSPIEGEL vom 19.09.2017)

4. Im Fernsehen werden ökologische Probleme und Projekte thematisiert (z. B. bei Quarks & Co.). Auch bei Lokalzeit des WDR 3, Studio Dortmund. Die selben Moderator*Innen und ein Reporter vor Ort berichten begeistert und begeisternd über das „Anstehende Ski-Wochenende in Winterberg“ (03.01.2019). Die durch Schneekanonen und Massentourismus angerichteten Umweltschäden werden jedoch ignoriert.

5. Die Schließung der letzten Steinkohlezechen in Deutschland veranlasst das Gros der Medien, den Bergbau zu würdigen. Der habe durch eine rapide, vorbildliche Industrialisierung Deutschland zu wirtschaftlichem Aufstieg und zu Wohlstand und Reichtum verholfen. Bei den Feierlichkeiten in Bottrop singt Bundespräsident Steinmeier das Steigerlied mit. Es fließen Tränen.

Am 3. Januar dieses Jahres wird in den Zeitungen des Hauses Bauer, Marl, unter der Überschrift „344 Pumpwerke in der Region“ über Emschergenossenschaft und Lippeverband berichtet, sie schützen die Region vor dem „Absaufen“. Das mag zwar stimmen, aber die hohen Kosten und die Besorgnis betroffener Anwohner über die Gefährdung durch das explosionsfähige Grubengas werden verschwiegen.

Anfang der achtziger Jahre habe ich bei Landtagswahlveranstaltungen mit dem damaligen Landrat Marmulla über den Raubbau in den Zechen nach 1945 diskutiert. Der Abraum hätte wie vorher unter Tage verbracht werden müssen, sagte ich (Untertageversatz). Die Abraumhalden, kontaminierte Böden, Bergschäden und die geplante Nordwanderung der Kohle werden Kosten und Probleme verursachen, die von der mächtigen SPD-Kohlefraktion ignoriert werden.

Marmulla und der Kreistagsfraktionschef Niggemeier ließen sich, wie erwartet, nicht davon überzeugen, dass eine über 100 m hohe Halde in Herten-RE/Hochlarmark (der „Monte Marmulla“) sowohl der Ökologie als auch der Ökonomie erheblich schaden würde. Die Frischluftzufuhr in RE-Süd und in anderen Stadtteilen werden blockiert, Bergschäden entstehen und werden, wenn die Zechen verschwunden sind, nicht mehr entschädigt. Die Hohlräume unter Tage werden ständig unter Wasser gesetzt und sind für immer unzugänglich. 

Marmullas Antwort: Der Zug ist abgefahren. Das lässt sich nicht mehr ändern. Die Diskussion fand während der Planungsphase statt!

6. Ein weiteres Thema wäre die Amokfahrt eines gebürtigen, hellhäutigen Deutschen in Oberhausen und Essen. In vielen Medien die Tat eines schizophrenen Psychopathen. Seine Schuldfähigkeit wird dadurch in Frage gestellt. Das Medienhaus Bauer hat darüber den Tatsachen entsprechend berichtet (2. Januar). Attentate und Übergriffe von Schwarzafrikanern und Arabern hingegen werden vorverurteilend als terroristische Taten aus dem IS-Umfeld bezeichnet. Oft handelt es sich um Suizide und Suizidversuche, die mit terroristischen Motiven begründet werden, um der Tat einen „Sinn“ zu geben.

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Zwei Lebensläufe. 2.Teil

Die Titelgeschichte „Auf der Erde ist der Teufel los“ *)  ist eine Satire mit den zumeist üblichen Überzeichnungen. Sie soll zum Nachdenken anregen, zum Infragestellen, zum Hinterfragen, sie soll Widersprüche aufdecken und zum Widerspruch aufrufen, zur Skepsis, um die eigene Position zu bestimmen, die des Lesers und die des Autors, in diesem Fall meiner eigenen. […]

Ich bin durch die vielen Begegnungen und Anregungen, sowie durch eigene Lektüre, vor allem Deschners Bücher, Agnostiker geworden, und durch ihn und, angeregt durch die Philosophie der Aufklärung, durch die neue Physik und die Urschriften des Gautama Buddha, Atheist. Dazu habe ich eigentlich alles gesagt bez. geschrieben und in meinen Schriften veröffentlicht.

Während Deschner nie mehr von den Jesuiten zum Disput eingeladen worden ist, mein Freund Wolfgang Beutin wurde es. Wir kennen uns seit 1962 durch –  Deschner. Wolfgang hat Beiträge in vielen Büchern Deschners und publiziert, in den letzten Jahren zusammen mit seiner Frau Heidi, ein literaturwissenschaftliches, historisches, biografisches oder zeitdokumentarisches Buch nach dem andern. Fast alles mit Bezug auf unsere Gegenwart.

Der Disput mit Jesuiten: Vor etlichen Jahren durfte ich mit Wolfgang an einem Kolloquium in einer jesuitischen Akademie bei Dortmund teilnehmen. Thema: Robert Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“. Musil war Agnostiker und Atheist. In dem Roman beginnt Ulrich, ein junger Intellektueller, ein inzestuöses Verhältnis mit seiner verheirateten Schwester Agathe. Einer der geistlichen Herren lenkte die Diskussion auf die Frage, ob Ulrich und Agathe wohl den Geschlechtsakt vollzogen haben, und verhalf damit den anderen anwesenden geistlichen Herren zu einer hitzigen Diskussion, welche die übrigen Fragen zeitweilig überlagerte.

Die Einladung zu diesem Kolloquium an Wolfgang Beutin war erfolgt, weil der Literaturwissenschaftler über Musil publiziert hat.

Jesuiten sind stets auf dem neusten Stand der Wissenschaften. Sie kannten und anerkannten das kopernikanische Weltbild. Für sie war die Erde keine Scheibe und Galilei im Recht. Sie forschen im Auftrag des Papstes, dem sie absoluten Gehorsam und Schweigen über ihr Wissen geschworen haben.

Von Wolfgang Beutin gibt es u. a. eine Luther-Biografie: „Der radikale Doktor Martin Luther“. Frankfurt a. M. 2016, 3. Aufl. Hierzu meine Rezension: „Wer war Martin Luther? Was hat er gelehrt? Was hat er gewollt?“  →  https://stahlbaumszeitfragenblog.wordpress.com/2017/01/06/wer-war-martin-luther-was-hat-er-gelehrt-was-hat-er-gewollt-rezension/

War er „Der radikale Doktor Matin Luther“, den Wolfgang Beutin uns in seinem gleichnamigen Buch präsentiert? Oder war er ein innerlich zerrissener, daher auch in seinem Denken widersprüchlicher Psychopath? **)

*) → https://stahlbaumszeitfragenblog.wordpress.com/2015/08/14/auf-der-erde-ist-der-teufel-los-oder-jesus-anarchist/

**) Siehe auch:“Tiefe Wurzeln – Eine Kurzgeschichte aus dem Jahre 1954 zum Reformationstag 2015″  → https://stahlbaumszeitfragenblog.wordpress.com/2015/10/30/tiefe-wurzeln-eine-kurzgeschichte-aus-dem-jahre-1954-zum-reformationstag-2015/ […]

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„biodeutsch“

Der Begriff „biodeutsch“ ist rassistisch und nicht nur deshalb abwegig. Denn auch wir „Biodeutschen“ wissen nicht, ob Vorfahren von uns eben keine „Biodeutschen“ waren, die im Zuge der Völkerwanderungen oder als Söldner fremder Heere, als Handelsreisende oder Flüchtlinge nach Germany gekommen und hier ansässig geworden sind.

Shlomo Sand: Die Erfindung des Landes Israel. Mythos und Wahrheit (Buchtipp)

Buchtipp:

Die Erfindung des Landes Israel

Shlomo Sand

Die Erfindung des Landes Israel. Mythos und Wahrheit

Gehört Israel den Juden? Was bedeutet überhaupt Israel? Wer hat dort gelebt, wer erhebt Ansprüche auf das Land, wie kam es zur Staatsgründung Israels? Shlomo Sand, einer der schärfsten Kritiker der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern, stellt den Gründungsmythos seines Landes radikal in Frage. Überzeugend weist er nach, dass entgegen der israelischen Unabhängigkeitserklärung und heutiger Regierungspropaganda die Juden nie danach gestrebt haben, in ihr „angestammtes Land“ zurückzukehren, und dass auch heute ihre Mehrheit nicht in Israel lebt oder leben will.

Es gibt kein „historisches Anrecht“ der Juden auf das Land Israel, so Sand. Diese Idee sei ein Erbe des unseligen Nationalismus des 19. Jahrhunderts, begierig aufgegriffen von den Zionisten jener Zeit. In kolonialistischer Manier hätten sie die Juden zur Landnahme in Palästina und zur Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aufgerufen, die dann nach der Staatsgründung 1948 konsequent umgesetzt wurde. Nachdrücklich fordert Sand die israelische Gesellschaft auf, sich von den Mythen des Zionismus zu verabschieden und die historischen Tatsachen anzuerkennen.

Rezension:

»Detailliert und quellenreich zeichnet Sand nach, wie territoriale Ansprüche auf das „Land der Väter“ begründet wurden.«, Deutschlandradio, Sigrid Brinkmann, 29.11.2012

Portrait:

Shlomo Sand, geboren 1946 als Kind polnischer Juden in Linz. 1949 Übersiedlung der Familie nach Israel. Nach dem Studium der Sozialwissenschaften in Paris lehrt Sand Geschichte an der Universität Tel Aviv. Er zählt zu den führenden Intellektuellen Israels und zu den schärfsten Kritikern der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern. Bei Propyläen erschienen »Die Erfindung des jüdischen Volkes« (2010), »Die Erfindung des Landes Israel« (2012) und »Warum ich aufhöre, Jude zu sein« (2013).

Propyläen Verlag 2012, 400 S. (gebundene Ausgabe, Taschenbuch, eBook)

Neuerscheinung: »Verschiedene Ansichten. Neue zeitkritische Beiträge« von Dietrich Stahlbaum

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Klappentext:

Auch für den 90-Jährigen ist es eine „Selbstverständlichkeit, das Zeitgeschehen kritisch zu begleiten und im Netz mitzudebattieren.“ Dies ist nun sein 10. eBook, Fortsetzung des neunten mit Beiträgen des letzten Jahres (2016) zu den gleichen Themen (aktuelle Politik, Globalisierung, Kolonialismus, Krieg und Pazifismus, Flüchtlinge, Fluchtursachen, alte und Neue Rechte, ihr Rassismus, ihre Ängste; philosophische Betrachtungen…) Dazu: Die Arier.  Der folgenschwere Missbrauch eines Begriffes durch Rassisten, Verschwörungstheorien; Entwicklungshelfer – ein Afrika-Fest in Bild und Text, Wer war Martin Luther?… – Rezension eines außergewöhnlichen Buches und ein Zeitungsbericht zu Stahlbaums 90.

Der Autor: geboren 1926, aufgewachsen in einem völkisch deutsch-nationalen Milieu, militaristisch erzogen, faschistisch indoktriniert. „Hitlerjugend“, Militär, I944-45 an zerbröckelnden Fronten, 1949-54 bei der Fallschirmtruppe der französischen Legion in Algerien und Vietnam. Heimkehr als Kriegsgegner. Engagement in Bürgerinitiativen und in der Friedens- und Ökologiebewegung. Berufe: u. a. Fabrikarbeiter, Buchhändler, Verlagsangestellter, Bibliothekar. Publikationen: Prosa, Lyrik, Essays, Reportagen etc. Ein Roman, ein „Lesebuch“, Print- und eBooks.

INHALT:

Verschiedene Ansichten – – Warum feiert heute der Nationalkonservatismus Urständ in Europa? – – Gesamtkultur, Menschheitskultur – – „Fremde“ Kulturen und Verhaltensweisen – – Historische Fluchtursachen – – Deutsche Auswanderer, deutsche Kolonialherrschaft – – PEGIDA, AfD und CO. verbreiteten verschwörungstheoretische Übertreibungen – – „Völkisch“ – – Muslimvereine – – Araberinnen – – Die Arier. Der folgenschwere Missbrauch eines Begriffes durch Rassisten – – Verschwörungstheorien. Eine WDR-Sendung und kritische Anmerkungen – – Multi-ethnischer Staat in Syrien? – – Zur Klimaerwärmung – – Afrika-Fest am 11.Juni 2016 auf dem Schulbauernhof in Recklinghausen (Bild und Text) – – Pazifisten – – Raus aus der NATO? Die Friedensbewegung im „Kalten Krieg“. Wortprotokoll einer Diskussion (1983) – – Der Gewalt (in uns) ein Ende setzen – – Das zurück gegebene Schwert. Eine vietnamesische Legende – – Barack Obama – – Herz und Hirn – – Frauen, die für Gleichberechtigung kämpfen – – Der SPD ist die soziale Kompetenz verloren gegangen – – Wer war Martin Luther? Was hat er gelehrt? Was hat er gewollt? Rezension – –  90 Jahre mitten im Strom der Zeit. Ein Lebensbericht

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Dietrich Stahlbaum:  »Verschiedene Ansichten- Neue zeitkritische Beiträge«                   BookRix-eBook  2017, 11658 Wörter, € 3,99, ISBN: 978-3-7396-9350-7

Das eBook kann für € 3,99 auf Ihren Computer oder ein Lesegerät heruntergeladen werden.

AfD-Vorsitzende Petry will das Wort „völkisch“ rehabilitieren

AfD-Vorsitzende Petry will das Wort „völkisch“ rehabilitieren

Von Melanie Reinsch

Die AfD-Chefin setzt sich per Interview für ein „normales Verhältnis zu unserer Nation“ ein und warnt vor einem Bürgerkrieg. Politiker verschiedener Parteien sind entsetzt.

Die AfD-Vorsitzende Frauke Petry möchte den Begriff „völkisch“ im Sprachgebrauch wieder positiv belegen. Man müsse „daran arbeiten, dass dieser Begriff wieder positiv besetzt ist“, sagte sie der „Welt am Sonntag“ in einem Interview. „Volk mit Rassismus zu konnotieren, halte ich für falsch“, erklärte Petry weiter.

Es bleibe nicht bei der Ächtung des Begriffs „völkisch“; vielmehr dehne sich der negative Beigeschmack auch auf das Wort „Volk“ aus, sagte sie. „Völkisch“ sei jedoch ein dazugehöriges Attribut. Petry ist der Meinung, dass man „endlich wieder einen entspannten, nicht unkritischen, also normalen Umgang mit unserer Nation und dem Begriff ‚Volk‘“ wiedererlangen müsse. Sie betonte, dass sie den Begriff selbst zwar nicht nutze, aber ihr missfalle, dass er nur in einem negativen Kontext benutzt werde. Petry sagte weiter, dass „wir es dringend nötig“ hätten, ein gesundes Verhältnis zu Identität und Volk zu entwickeln, „wie es alle anderen in der Welt auch tun“. …

Volltext im Titel verlinkt

Hierzu:

Ideologische Wurzeln des Nationalsozialismus im deutschen Bürgertum

 

 

Deutsche Auswanderer, deutsche Kolonialherrschaft

Es sollte daran erinnert werden, dass auch Deutsche, die, weil sie politisch oder religiös verfolgt wurden oder aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen in Gruppen ausgewandert sind, einen Teil ihrer Heimat mitgenommen haben, ihre Gewohnheiten, ihre Kultur: ihre Sprache, ihre Religion, ihre Sitten und Gebräuche, ihre Architektur. Und überall, wo sie sich gruppenweise angesiedelt haben, haben deutsche Immigranten sich nicht an die vorgefundenen Verhältnisse angepasst, sich integriert oder gar assimiliert, sondern – nach heutigem Sprachgebrauch – Parallelgesellschaften gebildet, vor allem in den USA (Bsp. Germantown, heute ein Vorort von Philadelphia), in Afrika, in Afrika, in Russland.

Und erinnern wir uns an die gewaltsame Besitznahme, an den Landraub deutscher Kolonisatoren besonders in Afrika, wo die indigene Bevölkerung teilweise von Deutschen betrogen, enteignet, vertrieben, ermordet oder versklavt und zwangschristianisiert worden ist und wo purer Rassismus geherrscht hat. →  https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Kolonien#Strukturbedingungen_in_den_deutschen_Kolonien

Das hat sich im kollektiven Gedächtnis von Nachfahren der „Eingeborenen“ traumatisch eingeprägt.

Albrecht Thöne: Wo sind die Denkmäler für Ku-Klux-Klan-Opfer?

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Leserbrief zu Todesschüsse von Dallas: „Ein Land in Aufruhr“, FR-Titel und Tagesthema vom 9. Juli 2016

Wer beispielsweise kürzlich auf „zdf neo“ die Lehrstücke über die „Geschichte des Kolonialismus“ sehen konnte, der bekam eine Ahnung davon, in welchem Maße bislang auch die Geschichte des US-amerikanischen Rassismus’ unbewältigt ist. Was ist z.B. die nahezu vollständige Ausrottung der Indianer anderes als Völkermord? Man vernichtete ihre Lebensgrundlage, nämlich die riesigen Bisonherden in der Prärie! Nach wie vor ist die ethnologische Geschichtsschreibung in den USA vorwiegend eine „weiße“, d.h. von entsprechendem institutionellen Rassismus, von tendenziellem Verschweigen sowie von Akten- u. Quellenvernichtung beeinträchtigt. Wo sind die Denkmäler für die ca. 300 000 bestialisch hingefolterten Lynchopfer des Ku-Klux-Klans, wo ist der „Walk of Fame“ für die Helden der Bürgerrechtsbewegung? Die Tatsache ist kaum auszuhalten, dass nach Ende des Zweiten Weltkrieges schwarze US-Soldaten, die gerade noch gegen das rassistische Nazi-Deutschland gekämpft hatten, im Süden der USA gelyncht wurden, weil sie sich mit dem „Ehrenkleid ihrer Nation“, der Uniform, in die dortige Öffentlichkeit begeben hatten. Es sprengt fast unsere Vorstellungskraft, dass diese Demokratie heute weit über eine Million Schwarze in ihren Jailhouses wegsperrt – bei Entzug des Wahlrechtes schon für Bagatelldelikte.

Es nimmt offenbar kein Ende, dass wöchentlich zwei Schwarze von der Polizei erschossen werden, weitere im Rollstuhl enden. Es war für mich neu, dass es bei den prekären polizeilichen Überprüfungen zu erfüllende „Quoten“ gibt – das erinnert an die „body counts“ im Vietnam-Krieg.

Gewiss: Auch die Polizisten haben Angst, und wer studieren will, was Lobbyismus anrichten kann, der möge nachlesen, wie die National Rifle Association es verstand, dieser Nation der Amokläufe 300 Millionen Feuerwaffen anzudienen, durch die täglich 89 Menschen und allein pro Jahr hundert Kinder durch Kinderhand ums Leben kommen. Wie gewaltbesessen und rassistisch vernagelt jene Gesellschaft ist, erhellt auch der Lebenslauf jenes Genies, das einst seinen „Sklavennamen Cassius Marcellus Clay“ ablegte: Muhammad Ali musste selbst erst „schlachten“ und sich (unmerklich allmählich in die Parkinsonsche Krankheit hinein) „schlachten“ lassen, um jene Weltgeltung zu erreichen, die es ihm ermöglichte, u.a. mit seiner Wehrdienstverweigerung wirksam gegen das Napalm- und Agent-Orange-Schlachten in Vietnam anzugehen. Sein Antlitz gehört in den Mount Rushmore gemeißelt!

Albrecht Thöne, Schwalmstadt

[Diskussion: frblog.de/dallas in der Frankfurter Rundschau vom 13. 07. 2016]

Erst Kaiser-treu, dann Hitler-treu. Von deutschem Bürgertum

„Ist dein Vater Parteiführer gewesen?“

„Nein, aber er war Mitglied der Partei, seit 33. Er hatte 1930 in unserer Stadt eine Ortsgruppe des Deutschen Luftsportverbandes gegründet. Er hatte sein junges Leben lang vom Fliegen geträumt, und dieser Traum sollte nun verwirklicht werden. Es wurden drei Fluggleiter gebaut. Das sind fliegende Schaukelstühle aus Kieferholmen und Sperrholz, Tragflächen und Leitwerk mit Leinwand überspannt und lackiert. Diese Apparate wurden von einem Gummiseil auf einem kleinen Hügel am Stadtrand in die Luft katapultiert. Angeschnallt und durch einen ledernen Sturzhelm geschützt, saß man am Steuerknüppel und flog immerhin einige Minuten lang.

Der Deutsche Luftsportverband wurde 1933 als Nationalsozialistisches Fliegerkorps gleichgeschaltet. Diese Organisation bildete die künftigen Militärpiloten im Segel- und zum Teil auch im Motorflug aus und warb in der Öffentlichkeit für die Deutsche Luftwaffe.

Ich war dreizehn, als meine Segelflugausbildung begann. Wir wurden also schon als Kinder auf den Krieg vorbereitet.“

„Du bist systematisch zum Nazi erzogen worden; dein Vater war vor 33 nicht in der Partei, aber doch wohl schon ein Nazi?“

„Er hatte sehr früh seine Eltern verloren und ist in der Obhut seiner älteren Schwestern aufgewachsen. Sie haben ihn nicht zum Militaristen gemacht. Er hat seinen Vater vermißt und einen Übervater gefunden.“

„Hitler.“

„Ja. Mein Vater ist am Ende des ersten Weltkrieges als junger Soldat in deutschnationales Fahrwasser geraten, und als Zwanzigjähriger hat er in einem Freikorps, in einer der präfaschistischen, paramilitärischen Verbände, die sich nach dem ersten Weltkrieg in Deutschland gebildet hatten, im Baltikum gegen die Rote Armee gekämpft. Dann studierte er Zahnmedizin und gehörte einer präfaschistischen Studentenverbindung an. Die Backe hat er sich allerdings nicht zerhauen lassen. Er wollte ja Zahnarzt werden.“

„Die Backe zerhauen – wie? Womit?“

„In den schlagenden Verbindungen war es seit den 1850er Jahren üblich, bei den Mensuren, beim Fechten, sich Schmisse, Verletzungen, an der Backe anzubringen und sie eitern zu lassen, damit dicke Narben entstehen. Diese sollten später die Doktoren als akademische Helden ausweisen. Die älteren Heldensemester, in Altherrenschaften organisiert, verhalfen den jüngeren Heldensemestern nach deren Studium zu einem guten Posten und ebneten ihnen eine Karriere. Mein Vater hatte eine solche Erkennungsmarke nicht.“

„Er wollte kein Held sein. Was dann?“

„Er war ein eher ängstlicher, ein sehr sensibler Mensch. Er war rücksichtsvoll und behutsam. Ein sehr liebenswerter Mensch. Alles andere als ein Haudegen.“

„Ein sanfter Idealist?“

„Er nahm die Parole Volksgemeinschaft, mit der den Massen nationale und soziale Solidarität suggeriert wurde, sehr ernst.

Dennoch setzte er sich nicht mit unserer Hausangestellten an einen Tisch. Das Dienstmädchen mußte seine Malzeiten allein in der Küche einnehmen. Einmal hat er, wie mir meine Mutter später erzählt hat, sich überwinden müssen, eine Proletarierwohnung zu betreten. Ich war zu den Arbeiterkindern ins Haus gegangen und, als mein Vater hereintrat, unter die Ehebetten gekrochen. Minna hatte Urlaub, und meiner Mutter wollte er wohl den Anblick des Elends ersparen. Du gehst nicht wieder zu Kommunistenkindern! befahl er mir nachher. Ich war fünf oder sechs.“

„Volksgemeinschaft…“

„Im Grunde litt er unter der materiellen Not anderer und half, wo er helfen konnte. Er hat die Ärmsten unserer Stadt ohne Honorar behandelt. Selbst den russischen Kriegsgefangenen, die, von einem auf einem Hocker sitzenden Altreservisten mit aufgepflanztem Bajonett bewacht, bei uns im Flur warten mußten, hat mein Vater Füllungen, ja sogar Kronen und Brücken eingesetzt – ohne Honorar, und ihnen Zähne gerettet. Er hätte sie herausreißen sollen. Ebenso verfuhr er bei den sogenannten Fremdarbeitern und Fremdarbeiterinnen. Ein besiegter Feind, hat er einmal gesagt, muß menschlich behandelt werden. Sonst bist du selber kein Mensch. Ohne Zähne oder mit kaputten würden sie verhungern.“

„Dann war er also auch ein Humanist, ein deutscher Humanist.“

„Das war er wohl, mit allen seinen Widersprüchen. Er verabscheute Brutalität. Er hat verfaulte Zähne gezogen und vereiterte Zahnhöhlen gesäubert. Aus dieser Zahnarztperspektive hat er die Verbrechen des Staates gesehen, falls ihm überhaupt klar geworden ist, was da passierte. Denn sie wurden geheimgehalten oder als Maßnahmen zum Schutze des deutschen Volkes verschleiert. Mein Vater, staatsfromm und autoritätshörig, verehrte Hitler wie einen Gott. Ich habe Tränen in seinen Augen gesehen, als er vorm Volksempfänger, so hießen unsere Radioapparate, saß und Hitler reden hörte. Was Der Führer sagte, das war für ihn jenseits aller kritischen Überlegungen.“

„Und deine Mutter?“

„Sie war neunzehn, als ich geboren wurde, und in allem unerfahren. Sie stammt aus einer völkisch-deutschnational gesinnten Familie und gehörte als junges Mädchen dem Luisenbund an. Viele junge Mädchen haben damals die Königin Luise von Preußen, die in Tilsit mit Napoleon zusammentraf, um mildere Friedensbedingungen zu erwirken, angehimmelt. Nach ihr wurde der Bund genannt. Die Luisentöchter veranstalteten Kaffeekränzchen, strickten in Tischdecken vaterländische Symbole ein, sangen dementsprechende Liederund stopften Vierzehnachtzehn den Frontsoldaten die Socken. Im zweiten Weltkrieg war meine Mutter im NS-Frauenbund.“

„Wo lebt sie jetzt?“

„In Norddeutschland bei einer wohlhabenden Großtante, einer Gutsbesitzerin. Die Großtante hat nach dem Tod ihres Mannes Männerstiefel angezogen und ist in die Fußtapfen des Verstorbenen getreten. Sie hätte sich als Unternehmerin in einer Männergesellschaft anders nicht behaupten können. Wir sind in den Sommerferien fast jedes Jahr dort gewesen. Nahezu die gesamte Verwandtschaft war da versammelt, dazu zwei Ferienkinder aus Berlin. Sie wurden wieder aufgepäppelt. Meine Großtante, wenn sie mit ihrem zerknitterten Filzhut über die Felder geht oder, auf ihrem Krückstock gestützt, mit dem Verwalter spricht, wenn sie am Kopfende des langen Eßtisches in der Diele auf ihrem Lehnstuhl sitzt, sieht sie aus wie der Alte Fritz, Friedrich II. von Preußen. Der Alte Fritz wird sie auch genannt, von uns und von den Landarbeitern. Den Lehnstuhl hat ihr der Husholer, der Haushalter, zum 50.Geburtstag gezimmert. Die Landarbeiter mögen sie. Sie gibt ihnen ein gutes Deputat und spricht mit ihnen plattdeutsch. Vor Weihnachten hat sie, die Achtzigjährige, um wenigstens in den Festtagen Not zu lindern, fast hundert Pakete und Päckchen gepackt: mit Fleisch, selbstgemachter Wurst, Schmalz, Eiern und Grütze. Die Pakete brachte der Chauffeur in die Stadt zu kinderreichen Familien. Am 24. Dezember lädt sie vormittags die Gutsarbeiter mit ihren Familien zur Bescherung ins Haus. Es gibt einen Korn, belegte Brötchen, Bier und für die Kinder Himbeersaft, und jede Familie bekommt ein großes Paket: Bettwäsche, Kleidung, Schuhe, Spielzeug. Einmal war es ein Kinderwagen. Oft besucht sie die Katen, die Landarbeiterhäuser am Gutshof, um zu sehen, wie es den jungen Müttern und den Alten geht.“

„Und sie war auch…?“

„Erst kaisertreu, dann Hitler-treu. Sie hat schon 1936 auf den Kotflügeln ihres schwarzen Mercedes je einen schwarzweißroten und einen Hakenkreuzwimpel anbringen und ihrem Chauffeur, einem Treckerfahrer, eine uniformartige Kleidung schneidern lassen, eine Livree. Wir Jungen wurden in Matrosenanzüge gesteckt und saßen auf kleinen Hockern zwischen den Beinen der Erwachsenen hinter der Trennscheibe des Sechszylinders, wenn wir nach Kiel fuhren, in die Marinestadt: Kriegschiffe bestaunen.“

„Und dein Vater, wie ist er gestorben?“

„Ausgehungert und erschöpft, in einem Eisenbahnwagon. Im Winter 45. Bei mehr als 30° Frost. Pflichterfüllung bis zum letzten Hosenknopf hieß seine Devise. Sein Gehorsam hat ihn das Leben gekostet. Er blieb, als er seine Frau und wenigstens zwei seiner Kinder in Sicherheit wußte, ich war an der Westfront, in unserer Stadt zurück, um mit einem Häuflein alter Männer sein Vaterland gegen die sowjetische Armee zu verteidigen. Die anderen Naziführer hatten sich längst verpißt. Mein Vater war 45 Jahre alt, als er auf dem Transport nach Sibirien starb.“

[Aus meinem zeitdokumentarischen, autobiografischen Roman Der Ritt auf dem Ochsen oder Auch Moskitos töten wir nicht, Aachen 2000, S. 35 ff., vergriffen, jetzt als eBook im BookRix-Verlag 2012]