Buchtipp: Dietrich Stahlbaum: DIES UND DAS Kurzgeschichten, Kôans, Gathas, Gedichte, Aphorismen, Fotos aus fünf Jahrzehnten. 2., aktualisierte Auflage 2018

DIES UND DASS-eBook-Cover 2018

 

Inhalt:

 Teil I: Kurzgeschichten

Teil II: Kôans und Gathas

Teil III: Gedichte

Teil IV: Aphorismen

 Klappentext:

 Wie schon im Lesebuch «DER KLEINE MANN» sind auch diese Texte „aus dem Leben gegriffen“: Da ist zum Beispiel die Geschichte einer alten, ausgedienten Aktentasche, die sich plötzlich als sehr nützlich erweist. Eine Real-Satire. Oder: «Der Wasserturm». Ein Bubenstreich mit unvorhergesehenen Folgen. Geschichte aus der Kindheit des Autors. Ein «Sommernachts-Albtraum» und andere merkwürdige Ereignisse. Im 2. Teil bieten «Kôans und Gathas» einen Einblick in die zen-buddhistische Welt. Gedichte im 3. Teil, entstanden zwischen 1959 und 2011. Der vierte Teil ist eine Sammlung von Aphorismen. Gedankensplitter aus fünf Jahrzehnten. Ein weites Feld. Und Fotos. Eben: Dies und das.

Das BOOKRIX-eBook kann jetzt für 4,99 EURO auf Ihren Computer oder auf ein Lesegerät hier heruntergeladen werden  →  https://www.bookrix.de/_ebook-dietrich-stahlbaum-dies-und-das/

 

 

 

Das individuelle und das kollektive Gewaltpotential

Wir wissen nicht, ob unser Schiff, das auf den Eisberg zusteuert, von seinem Kurs abgebracht werden kann oder ob der Eisberg bis zum kritischen Moment weggeschmolzen sein wird. Dies oder das zu glauben, hilft da auch nicht weiter. Das Einzige, was wir wissen: Noch ist Zeit, die Kapitäne von der Kommandobrücke herunterzuholen (auf legale, auf demokratische Weise, versteht sich), die TITANIC zu stoppen und auszusteigen, umzusteigen in eine andere Lebensweise.

Uns prägen Kindheitserlebnisse und spätere Jugenderfahrungen. Sie bestimmen unser Weltbild, unser Lebensgefühl, unser Sensorium und damit die Art und Weise unserer Wahrnehmungen (der Plural ist gewollt). Gerade deshalb empfehle ich das Buch von Claude AnShin Thomas: Krieg beenden, Frieden leben. Ein Soldat überwindet Hass und Gewalt.
Er beschreibt – möglicherweise ist das in meiner Rezension * nicht deutlich genug formuliert -, wie ihn die Traumen seiner Kindheit veranlasst haben, selber gewalttätig zu werden und als Siebzehnjähriger (wie ich übrigens auch **) in den Krieg zu ziehen, um „sich zu beweisen„, wie er als Neunzehnjähriger mit einer Kriegspsychose heimkehrt und Jahre später, nach weiteren Versuchen, sich selber zu entfliehen, seine Traumata verarbeiten und sie schließlich loswerden kann. Er steht als Zeitzeuge für Generationen von Kriegsveteranen, von denen es einigen wenigen gelang, aus eigener Kraft – wie es der authentische Buddha selber praktiziert und gelehrt hat – sich von seinem Leiden, einem geistigen Elend, zu erlösen, sich zu – emanzipieren: ein freier Mensch zu werden. Mit Esoterik hat das nichts zu tun.

Es wird sich erweisen, ob die destruktiven Energien, die sich in der gesamten Menschheit aufgeladen haben, kulturell transformiert werden können oder ob eine Selbstzerstörung nicht mehr aufzuhalten ist. Selbstzerstörerisch sind ja nicht allein Selbstmordattentäter/innen. Diesem kollektiven und zugleich individuellen Gewaltpotential entsprechen die heutigen und künftigen Waffenarsenale.

Seit der Steinzeit hat der Mensch zwar seine Technik weiter entwickelt, nicht jedoch sich selber. Liegt es vielleicht daran, dass wir unsere intellektuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten überbewerten und unsere im Endeffekt destruktiven Eigenschaften unterschätzen, weil unsere emotionale Intelligenz (Daniel Coleman) völlig unterentwickelt ist? Bei Albert Einstein und Bertrand Russell waren intellektuelle und emotionale Intelligenz komplementäre Eigenschaften wie Yin und Yang. Deshalb scheuten sie sich auch nicht, dem Fortschrittsglauben entgegenzutreten und vor technokratischer, am Ende selbstzerstörerischer Hybris zu warnen.
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* Die Rezension: → http://www.mx-action.de/dietrich/Einleitung_und_Themen/Pazifismus/pazifismus.html#Wunden
** Ich habe nach meiner Rückkehr aus Vietnam (1954) zehn, elf oder zwölf Jahre lang Nacht für Nacht, an die Wand gestellt, auf Gewehre gestarrt, habe manchmal Unverständliches geredet, auch herumkommandiert und sehr oft aufgeschrien. Als Pimpfe hatten wir noch gesungen: „Frischauf Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd, ins Feld, in die Freiheit gezogen! Im Felde, da ist er Mann noch was wert, da wird sein Herz erst gewogen…“ Unsere Großväter sangen dieses Lied noch nach 1918. Unsere Väter haben es nach 1945 nicht mehr gesungen.

Von blog.de (26. 11. 2009) übernommen.

Leben ist Wandel

ZEN-Kreis
ZEN-Kreis

Leben ist Wandel. Panta rhei

Auch der Gotama hatte diese Erkenntnis und lehrte das Nicht-Anhaften, das Los-Lassen starrer, dogmatischer Denk-Gewohnheiten und eingefleischter Verhaltensweisen. Er postulierte Aufgeschlossenheit, Achtsamkeit, Mitgefühl. Seit dem sechsten Jahrhundert sind es Zen-Meister, die den Buddhismus erneuern, wenn er in Formalismus und Dogmatismus erstarrt oder verwässert worden ist. Sie verhelfen durch Kôans, Meditation und Zazen zu ganzheitlicher Wahrnehmung, Vorurteilslosigkeit, Intuition und schöpferischer Spontaneität.
(14.8.1999)

Von blog.de (07. 12. 2011) übernommen.

Buddhistisches Regime in Sri Lanka unterdrückt Tamilen??? (Leserbrief)

…an das Medienhaus Bauer, Marl, zum Leserbrief „buddhistisches Regime hat Polizeistaat errichtet“ vom: 15. Januar 2010

Nicht ein „buddhistisches Regime“ verfolgt und unterdrückt die hinduistischen Tamilen in Sri Lanka, sondern es sind Menschen, die sich „Buddhisten“ nennen, aber die Lehren des Gotama Buddha missachten. In seinen Lehrreden und – gesprächen, die [, mündlich überliefert,] vor rd. 2200 Jahren [im heutigen Sri Lanka auf Palmblättern] aufgezeichnet worden sind und als authentisch gelten können, befindet sich nichts, was als Aufforderung zu Intoleranz, Hass und Gewalt verstanden oder missverstanden werden könnte. Die Absage an jegliche Gewalt ist eindeutig und klar in Buddhas Ethik verankert und psychologisch begründet.

Intoleranz, Hass und Gewalt sind nach seiner Erkenntnis Folgen von Ichsucht, Gier und Unwissenheit, den Ursachen des Leides, das man sich und anderen zufügt. Gotama Buddha hat uns vorgelebt, wie man sich von diesem Leid selber befreien kann.

Es gibt zahlreiche, sich „Buddhismus“ nennende Mischformen, die sich vom ursprünglichen Buddhismus entfernt und zum Teil seltsame Blüten getrieben haben. Ein Beispiel: In Japan sind ab 6.  Jh. buddhistische Elemente in den Shintoismus eingeschmolzen worden. So verkam die buddhistische Moral zu Ahnenkult, Patriotismus und Kampfsport. Damals entstand das japanische Zen. 1868 begann man sogar, Zen für militaristische Zwecke zu missbrauchen. Man benutzte die meditative Konzentrationspraxis, um junge Männer total zu entmündigen und aus ihnen [für den Tenno, den „Gott-Kaiser“,] gefügige, todesbereite, aufs Äußerste disziplinierte Soldaten zu machen. [Daher auch das große Interesse von SS-Führern an diesem „Buddhismus.“
Vor solchen Missverständnissen und Missbräuchen hat schon der Buddha gewarnt:
«Es ist gut, Zweifel zu haben. Glaubt nicht an etwas, weil die Menschen viel darüber reden, oder weil es schon immer so war, oder weil es so in den Schriften steht… Achtet darauf, ob es eurem Urteil widerspricht, ob es schädlich sein kann, ob es durch weise Menschen verurteilt wird, und vor alledem, ob es in der Praxis Zerstörung und Schmerz verursacht… Alles, was ihr als schön betrachtet, was mit eurem Urteil übereinstimmt, was durch weise Menschen anerkannt wird und was im praktischen Leben Freude und Glück bringt, könnt ihr akzeptieren und ausüben.»]
[Rede an die Kalamas in einer Übersetzung von Thich Nhat Hanh]

Am 21.01.2010 in den Zeitungen des Medienhauses Bauer erschienen. Weggekürztes in eckigen Klammern und [kursiv] markiert.

Von blog.dde (17. 01. 2010) übernommen.

Intoleranz, Hass, Gewalt und der Buddhismus (Leserbrief)

… an die Frankfurter Rundschau zu „Buddhist predigt Hass auf Muslime“, FR Politik vom 23. Juli 2013

Es ist nun leider eine Tatsache, dass immer wieder die Lehren des Gotama Buddha missachtet werden, sogar von „buddhistischen“ Mönchen. In seinen Lehrreden und -gesprächen, die, mündlich überliefert, vor rd. 2300 Jahren im heutigen Sri Lanka auf Palmblättern aufgezeichnet worden sind und als authentisch gelten können, befindet sich nichts, was als Aufforderung zu Intoleranz, Hass und Gewalt verstanden oder missverstanden werden könnte. Die Absage an jegliche Gewalt ist eindeutig und klar in Buddhas Ethik verankert und psychologisch begründet.

Es gibt zahlreiche, sich „Buddhismus“ nennende Mischformen, die sich vom ursprünglichen Buddhismus entfernt und zum Teil seltsame Blüten getrieben haben. Ein Beispiel: In Japan sind ab 6. Jh. buddhistische Elemente in den Shintoismus eingeschmolzen worden. So verkam die buddhistische Moral zu Ahnenkult, Patriotismus und Kampfsport. Damals entstand das japanische Zen. 1868 begann man sogar, Zen für militaristische Zwecke zu missbrauchen. Man benutzte die meditative Konzentrationspraxis, um junge Männer total zu entmündigen und aus ihnen für den Tenno, den „Gott-Kaiser“, gefügige, todesbereite, aufs Äußerste disziplinierte Soldaten zu machen. Daher auch das große Interesse von SS-Führern an diesem „Buddhismus.“

Kommentare:

Echsenwut:

Nunja. 😉
Es dürfte wohl kaum eine (Welt-) Religion geben, die noch nicht missbraucht und zielgerichtet missverstanden wurde.
Unglücklicherweise betrifft dies natürlich auch den Buddhismus.
Es hat durchaus (auch) historische Gründe, weshalb es Muslime besonders vor Polytheismus gruselt – die resultieren aus bizarren Gewalt- und Vernichtungsfantasien, welche ihnen gerade aus dem Buddhismus entgegenschlagen. Die blutige Verfolgung der Rohingya durch buddhistische Hassmönche, die entsetzlichen Massaker und gelegten Großbrände in Burma kommen keineswegs aus dem Off.

Wer sich dafür interessiert, der recherchiere doch mal mit den Begriffen „Kalachakra“ in Beziehung mit dem Begriff „Weltherrschaft“ – und schon erhält das Bild vom geradezu pazifistischen, weichgespülten Mönch mit seinem sanften Lächeln tiefe Risse. Ausgerechnet (!) dem Dalai Lama bringe ich seit meinen diesbezüglichen Recherchen ein tief empfundenes und sehr aufrichtiges Misstrauen entgegen.
Sicher – und ich wiederhole mich gern: vermutlich würde sich Gautama Buddha im Grabe herumdrehen, wüsste er von dieser bizarren Vergewaltigung seiner Lehre. Ich habe nichts gegen Buddhisten – aber, ehrlich gesagt, kenne ich mich unter ihnen nicht gut genug aus, um ihnen vorbehaltlos vertrauen zu können. Die „Kalachakra“-Vorstellungen sind dazu viel zu eindeutig, grauenvoll und abstoßend (wenn sie, um es NOCHMAL zu sagen, auch nur von einem Teil von ihnen vertreten werden).

Wir verbinden hier in Europa ganz speziell das Gesicht des ewig scherzenden und milden Dalai Lama mit „Buddhismus“ – das ist m.E. ein furchtbarer Fehler. Denn erstens repräsentiert er „den“ Buddhismus dankenswerterweise ebensowenig wie etwa Ajatollah Chomenei jemals für „den“ Islam gestanden, geschweige denn gesprochen hätte und zweitens bin ich davon absolut überzeugt, dass es den „echten“, absolut vertrauenswürdigen und milden Buddhisten ohne Rückhalt und schreckliches Geheimnis ebenso gibt wie „den“ echten, aufrichtigen, friedfertigen und milden Muslimen.

Dietrich Stahlbaum:

Ich bin zwar kein Anhänger des Dalai Lama und des „Tibetischen Buddhismus“, den man besser unter dem Begriff «Lamaismus» zusammenfasst, aber man sollte bei aller Kritik auch berücksichtigen, dass dieser Dalai Lama eben diesen Lamaismus nicht mehr für zeitgemäß zu halten scheint, besonders bei uns im Westen.

Alles, was sich „Buddhismus“ nennt, sollte daran gemessen werden, was Gotama Buddha aller Wahrscheinlichkeit nach wirklich gelehrt und gelebt hat. Die Buddhologie ist heute so weit, festzustellen, welche Texte authentisch sind und was dem Buddha später in den Mund gelegt worden ist. Ein Beispiel aus meinem Roman:

« Than hat Buddha-Texte mitgebracht, seine Übersetzungen ins Vietnamesische, und der Roshi ist jetzt damit einverstanden, daß ich sie lese:

„Than hat sie aus dem Pali-Original übersetzt. Er hat dabei die Vieldeutigkeit mancher Begriffe nicht außer acht gelassen. Du wirst deswegen verschiedene Versionen zahlreicher Textstellen finden. Und du wirst auf Aussagen stoßen, die verschlossen sind wie bei einem Kôan. Der Schlüssel dazu ist nicht die formale Logik. Wenn du ihre Widersprüchlichkeit akzeptierst und nicht an Worten, an Begriffen, an Gedanken klebst, hast du klare Sicht. Unvoreingenommen, frei von Vorurteilen, frei von Illusionen, kannst du den Sinn intuitiv erfassen.

Der Buddha hat uns kein Lehrgebäude hinterlassen, keine Theorie, keine Systematik, keine geschlossene Anstalt für Dogmatiker. Die endgültige Fassung des Pali-Kanons ist erst dreihundert Jahre nach Gotamas Tod entstanden, aus dem Gedächtnis der Mönche. Es ist eine Sammlung unterschiedlichster Art. Daher sollte es dich nicht verwundern, daß es Unstimmigkeiten mitunter auch zwischen Textteilen verschiedener Sutras gibt. Es sind Teile aus verschiedenen Puzzles.

Im ANDABHUTA-JATAKA erzählt der Gotama einem Mönch die Geschichte von einer Frau, die sich zum Betrug ihres Mannes verleiten läßt, und bezeichnet dann die Frauen als betrügerisch, listenreich und als von bösem Wandel heimgesucht.

Im MAHAMANGALA-JATAKA zitiert er ein Gedicht, in dem es heißt:
Glücklich ist, wer alle Lebewesen liebevoll in Ehren hält, sich zu allen demütig verhält, zu Frau, zu Mann, zu Kind, und wer bei böser Rede geduldig bleibt und nicht widerspricht.“

„Ja, das paßt nicht zusammen.“
„Wäre er ein Frauenfeind gewesen – einige westliche Buddhologen unterstellen ihm dies – , hätte er der Gründung eines Nonnenordens zugestimmt? Er hat sie sogar lobend erwähnt, seine Hauptschülerinnen – vor den Männern:

Ihr Mönche, unter meinen Schülerinnen ist Mahapajapati Gotami die Älteste; die Erhabenste wegen ihrer Weisheit ist Khema; die Größte wegen ihrer außergewöhnlichen Kräfte ist Uppalavanna; die Beste in der Vinaya-Disziplin ist Patacara. Die oberste der Dhamma-Lehrerinnen ist Dhammadinna; die meditativen Kräfte hat Nanda am meisten verfeinert; den größten Eifer beweist Sona; die beste Hellsicht hat Sakula. (ANGUTTARA-NIKAYA)

Der Buddha hat niemandem die Fähigkeit abgesprochen, sich zu erlösen und Vollkommenheit zu erlangen, weder den Männern noch den Frauen.“ »

[Aus DER RITT AUF DEM OCHSEN oder AUCH MOSKITOS TÖTEN WIR NICHT, Aachen 2000, S. 294 ff. , Printausgabe vergriffen, jetzt als eBook → http://www.bookrix.de/_title-de-dietrich-stahlbaum-der-ritt-auf-dem-ochsen-oder-auch-moskitos-toeten-wir-nicht ]

Bei den frauenfeindlichen bzw. -unfreundlichen Textstellen ist man auf Wörter gestoßen, die es zu Gotamas Zeiten und dort, wo er gelehrt hat, nicht gab (!). Auch Übersetzungsfehler konnten aufgespürt werden.

Der ursprüngliche Buddhismus war keine Religion, sondern Lebenspraxis. So verstehe ich ihn auch heute als eine Philosophie, die gelebt sein will und von vielen BuddhistInnen praktiziert wird (beispielhaft: Thich Nhât Hanh, Chang Kong, Claude AnShin Thomas, die ich persönlich kenne.)

Mehr über sie auf meiner Homepage ZEITFRAGENFORUM → http://www.dietrichstahlbaum.de/
Weiteres über «Buddhismus» (Stichwort) in meinem Zeitfragenblog → http://zeitfragen.blog.de/

Von blog.de (24. 07. 2013) übernommen.

Allerseelen. Gedicht

Unser Nussbaum
Unser Nussbaum

Unter dem Nussbaum

Allerseelen

In unserem Garten fliegen die Seelen der Toten
von Ast zu Ast

und am Boden
scharren sie zwischen den bunten Blättern,
picken die Samen auf.

Neulich trug der Kater der Nachbarin
eine weiße Seele im Maul
und legte sie ihr vor die Tür.

Ihr starb ein Kind bei der Geburt.

2. November 2003

Nachtrag zum Allerseelen-Gedicht:

Eine Bekannte, die dieses Gedicht in der Recklinghäuser Zeitung gelesen hat, war entsetzt: „Tiere haben doch keine Seele!!! Nur wir Menschen haben eine Seele, und die ist unvergänglich. Ich hatte die letzte Zeile weggelassen, denn die Nachbarin existiert wirklich, und sie bezieht die Recklinghäuser. Der Anlass ist also ganz real, aber – für die Jahreszeit: Spätherbst – ungewöhnlich:

Die „weiße Seele war eine kleine, junge Taube, ausgewachsen, wahrscheinlich aus später, zweiter Brut, eine schneeweiße Taube. Als Max, der Kater, sie aus unserem Garten zur Nachbarin trug, fiel mir ein, dass in ein paar Tagen Allerseelen gefeiert wird und dass die Nachbarin vor rd. fünfzig Jahren eine Fehlgeburt hatte. So erklärt sich die Assoziation

VERSTORBENE…SEELEN…VÖGEL.

Ich glaube weder an den christlichen Leib-Seele-Dualismus noch an die Seelenwanderung, mit der schon vor 2500 Jahren die brahmanischen Priester ihren Totenkult betrieben und sich daran bereichert haben. Nicht nur deshalb hat der Buddha ihren karmischen Fatalismus, der jede Willensfreiheit ausschließt, strikt abgelehnt, sondern vor allem, weil er von der Vergänglichkeit allen Seins überzeugt war. Ich bin es übrigens auch.

Rainer Maria Rilke hat in seiner Dichtung ebenfalls christliche Symbole, Bilder, Metaphern verwendet, obwohl er sich in späteren Jahren vom Christentum abgewendet hatte.*

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* Hierzu: „Das Christentum im Urteil seiner Gegner. Hg. von Karlheinz Deschner, Wiesbaden 1971, 2. Band, S, 164 f.; jetzt als Tb. bei Ullstein 199

Einstein, Zionismus, religiöser Glaube und wissenschaftliche Theorie

Replik auf „Echsenwuts“ Kommentar vom 11. 10. 2012:

Auch Wissenschaftler, sogar „höchstrangige Forscher“ („Echsenwut“) können irrige Auffassungen haben, nicht nur außerhalb ihres Fachs. Dies beweist, dass es den vollkommenen Menschen nicht gibt, es sei denn als anzustrebendes Ideal. Ist unsere Unvollkommenheit nicht geradezu das Menschliche, Allzumenschliche (Nietzsche) an uns? Warum sollte da ein Genie wie Einstein eine Ausnahme sein? Er hat sich bis zuletzt zum Zionismus bekannt und eine „jüdische Einwanderung in Palästina in den praktisch in Betracht kommenden Grenzen“ “ohne Benachteiligung der Araber in Palästina“ für möglich gehalten. Mit „in den praktisch in Betracht kommenden Grenzen“ sind die 1947 von der UN-Generalversammlung bestimmten Gebiete gemeint (UN-Teilungsplan, der einen jüdischen und einen arabischen Staat in Palästina vorsah.)

Wie irrealistisch das war, hat bereits 1948 ein jüdischer Philosoph und Politiker, der aus Deutschland nach London emigriert war und Einstein persönlich gekannt hat, erkannt: Kurt Hiller. Darauf habe ich in Leserbriefen hingewiesen.
Hiller war 1955 nach Deutschland zurückgekehrt und lebte bis zu seinem Tod 1972 in Hamburg. Ich habe mit ihm korrespondiert und ihn einmal besucht.

Ein anderer, ebenfalls aus Deutschland stammender jüdischer Politiker, der als Kind mit seinen Eltern aus Beckum, Münsterland, nach Israel ausgewandert und zehn Jahre lang Abgeordneter der Knesset war, setzt sich seit 1948 für ein „Israel ohne Zionismus“ ein: Uri Avnery. −

Ich finde, man hilft keinem Menschen, nicht einmal sich selber, wenn man wütend aufeinander losgeht. Es gibt da ein Buch von einem buddhistischen Dichter *  mit dem schönen Titel «Umarme deine Wut»!

Zu Einsteins Gottesbegriff und seinem Urteil über die Bibel: Er war Pantheist wie Goethe, der übrigens im West-östlichen Divan eine Brücke zum Orient geschlagen hat.
Goethe hat sich zur Bibel ähnlich wie Einstein geäußert.

Nach 300 Jahren Aufklärung, mit einer seit Einstein neuen Physik, einer seit Darwin neuen Biologie, einer seit Freud neuen Psychologie und daraus folgernd mit einer ganzheitlichen Philosophie kann man Religionen, besonders die monotheistischen, eigentlich nur noch kritisch betrachten. Dabei ist es schwierig, religiöse Gefühle nicht zu verletzen. Religionen sind irrational. Sie haben ihren Ursprung in unserer Gefühlswelt, während Wissenschaften rational begründet sind. Dennoch verdienen religiös gläubige Menschen denselben Respekt wie Wissenschaftler, die auf Hypothesen und Theorien bauen. Das schließt sachliche Kritik an Glaubensinhalten, Hypothesen, Theorien nicht aus.

Schon vor 2700 Jahren warnte der Buddha vor Leichtgläubigkeit:

„Es ist gut, Zweifel zu haben. Glaubt nicht an etwas, weil die Menschen viel darüber reden, oder weil es schon immer so war, oder weil es so in den Schriften steht. (…) Achtet darauf, ob es eurem Urteil widerspricht, ob es schädlich sein kann, ob es durch weise Menschen verurteilt wird, und vor alledem, ob es in der Praxis Zerstörung und Schmerz verursacht. (…) Alles, was ihr als schön betrachtet, was mit eurem Urteil übereinstimmt, was durch weise Menschen anerkannt wird und was im praktischen Leben Freude und Glück bringt, könnt ihr akzeptieren und ausüben.“

(Kalama-Sutra nach Thich Nhât Hanh, Einssein, S.40)

Erinnert dies nicht an den Wahlspruch der Aufklärung: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ (I. Kant)

Der vietnamesische Mönch, Dichter und Philosoph Thich Nhât Hanh hat aus den Lehrreden und Dialogen des Buddha für den von ihm gegründeten Tiêp-Hiên-Orden vierzehn Lebensregeln zusammengestellt, die als Essenz buddhistischer Ethik gelten können:

VIERZEHN TORE ZUM BUDDHISMUS

Hieraus die ERSTE REGEL:
«Schaffe dir keine Götzen in Form
von Lehrmeinungen, Theorien
oder Ideologien, einschließlich
der buddhistischen, und hänge
diesen nicht an. Buddhistische
Denksysteme sind Hilfsmittel zur
Orientierung und keine absoluten
Wahrheiten.»

Es ist also „gut, Zweifel zu haben“.

* Thich Nhât Hanh

Von blog.de (16. 10. 2012) übernommen.

„Entartete Kultur“

„Dort, wo die Kultur von der Gottesverehrung abgekoppelt wird, erstarrt der Kultus im Ritualismus und die Kultur entartet. Sie verliert ihre Mitte.“ Zitat Ende.
Schlimm genug diese Wortentgleisung eines erzkonservativen, katholischen Bischofs, eines Erzbischofs in einem Festgottesdienst in einem Dom im Jahre 2007.

Mindestens ebenso schlimm ist die damit verbundene Diffamierung aller Nichtgläubigen, der Atheisten resp. der Agnostiker, besonders der Kultur schaffenden. Hierzu gehörten auch die Pantheisten Giordano Bruno, Spinoza, Goethe *, die Philosophen Diderot, Kant, Feuerbach, Nietzsche, Schopenhauer, Camus, Jaspers, Russel, Sartre, Bloch, sowie Sigmund Freud und schon vor 2500 Jahren Siddhartha Gautama Buddha.

S. a. Seite RELIGIONEN im » ZEITFRAGENFORUM I →  http://www.dietrichstahlbaum.de

——

* Goethe hat alles Übernatürliche abgelehnt, ebenso den Glauben an einen persönlichen Gott:

»Ich halte mich fest und fester an die Gottesverehrung des „Atheisten“ [Spinoza, dst.] und überlasse euch alles, was Ihr Religion heißt und heißen müsst. Wenn Du sagst, man könne an Gott nur glauben, dann sage ich Dir, ich halte viel aufs Schauen…«

[Brief an Jakobi, 5.5.1786]

Er hielt sich an díe Naturgesetze, an das Diesseits, er glaubte an die »Wahrheit der fünf Sinne«, wie er am 24.9.1779 an Lavater schrieb. Den besten Beweis für seinen Agnostizismus bietet sein »Faust«, in dem er nahezu alle metaphysischen Absurditäten des Bibelglaubens auf der Bühne auftreten lässt. Es geht hier nicht allein um das Adjektiv „entartet“.

Meisner hätte einen anderen Begriff verwenden können, um alle Kunst, alle Kultur, die seinem Gottesglauben nicht entspricht, zu verketzern, damit auch die Menschen, die Kunst, die Kultur geschaffen haben. Das ist die Quintessens seiner ganzen Rede. Dies zum Vorwurf, das Zitat sei willkürlich aus dem Zusammenhang gerissen worden, wie da und dort behauptet worden ist.

Zwar handelt die Rede von Künstlern und ihren Werken, hier nachzulesen →  http://kath.net/detail.php?id=17733 , sie gipfelt jedoch in einer – generalisierenden – Schlussfolgerung, nämlich: „Dort, wo die Kultur von der Gottesverehrung abgekoppelt wird, erstarrt der Kultus im Ritualismus und die Kultur entartet.“

»Kultur« umfasst weit mehr als Kunst. Die christliche Kultur mit ihren Sonnen- und Schattenseiten ist ein Teil der Gesamtkultur, der Menschheitskultur. Einen wesentlichen Beitrag zu ihrer Entwicklung haben die Denker und Dichter der Aufklärung beigetragen, die Atheisten, die Agnostiker, die Nichtgläubigen. Der erste von ihnen war der (historische) Buddha.

Ich weiß nicht, ob Meisner in seiner orthodoxen Glaubenswelt derart gefangen ist, dass er darüber hinaus gar nicht denken kann. Deshalb lasse ich die Frage offen, ob eine Diffamierung der Nichtgläubigen beabsichtigt war oder nicht gewollt.

In meinem „Lesebuch“ Der kleine Mann. Geschichten, Satiren, Reportagen aus sechs Jahrzehnten [Recklinghausen 2005] hält ein junger Mönch eine Rede, die von Meisner stammen könnte: Empfang der Lehrlinge Gottes in einem Kloster. (1967)

Nicht die Nazis haben den Begriff „Entartete Kunst“ erfunden, sondern:

»Entartete Kunst ist ein Ende des 19ten Jahrhunderts fachfremd von der Medizin in die Kunst – ursprünglich von dem Mediziner und Kulturkritiker Max Nordau – übertragener Begriff, der bis 1945 von den Nationalsozialisten weit verbreitet wurde und in abwertender Weise besonders die moderne Kunst treffen sollte, die sich nicht in das Kunstverständnis der nationalsozialistischen Ideologie einfügte. Als Verfallserscheinung der kulturellen Lebenskraft wurden auch Pessimismus und Pazifismus stigmatisiert und auch andere Ansätze der vermeintlichen „Entartung“, also auch pseudowissenschaftlich so als „artfremde“ bezeichnete Einflüsse sowie vorgeblich unsittliche und abnorme Abweichungen vom Art- und Rassenbegriff. Als „entartet“ wurden Werke des Expressionismus und der abstrakten Kunst durch Gegenüberstellung mit pathologischen Erscheinungen diffamiert…«

Weiter →   http://de.wikipedia.org/wiki/Entartete_Kunst

»Max Nordau (* 29. Juli 1849 als Simon Maximilian Südfeld in Pest; † 23. Januar 1923 in Paris) war Arzt, Schriftsteller, Politiker und Mitbegründer der Zionistischen Weltorganisation…«

Mehr unter →   http://de.wikipedia.org/wiki/Max_Nordau

[Quelle: Wikipedia]

Entartete Kunst ist durch die Nazis ein stehender Begriff geworden, der auch in anderen Ländern in Deutsch verwendet wird. Es klebt viel Blut an ihm. Er sollte, wenn er nicht auf die NS-Kulturpolitik bezogen wird, für uns tabu sein. Dasselbe gilt für Entartete Kultur. Das eigentliche Skandalon ist jedoch, dass Meisner in seiner Rechtgläubigkeit allen Nichtgläubigen und Aufklärern jeglichen Humanismus abspricht, nicht offen, aber implizite. dst.

Von blog.de (16. 09. 2007) übernommen.

Vom Schlachten, Schächten und von Tieropfern

Ich habe als Kind und Heranwachsender das Schlachten von Tieren als eine brutale und grausame Prozedur erlebt, zwischen 1930 und 1948, auf einem Landgut einer Großtante, einer mehr oder minder gläubigen Christin.
Mit einem Schlag auf den Kopf wurden die Rinder und Schweine betäubt, dann wurde mit einem Stich die Halsschlagader geöffnet, und die Tiere verbluteten. Das Blut wurde in Eimern aufgefangen und dabei mit der Hand umgerührt, damit es nicht gerinnt. Aus einem Teil davon wurde eine – ich gestehe – sehr schmackhafte Suppe gekocht: die Blutsuppe. Der andere Teil wurde verwurstet. War diese Methode „humaner“, als es das Schächten ist? Diese Frage kann ich nicht beantworten.

Rabbiner Pinchas Paul Biberfeld schreibt dazu: „Das Schächtgebot ist ein äußerst humanes, das Leid des Tieres schonendes Verfahren. (…) Eine hygienische Nebenwirkung: Durch den Arterienschnitt spritzt das arterielle Blut mit großem Druck ins Freie, das Fleisch wird dadurch gründlich entblutet und sein vorzeitiges Verderben verhütet.“

Und Rabbiner Dr. Israel Meir Levinger: „Auch das Leben eines Tieres hat eine große Bedeutung im Judentum. Es gibt eine Reihe von Gesetzen in der Tora, im Talmud oder den nachtalmudischen Kodizes, die den Tierschutz zum Gegenstand haben. Die strengen Vorschriften des Schächtens stehen ebenfalls im Zeichen des Tierschutzes. (…) Die Fleischqualität ist nach dem Schächten besonders gut, weil das Tier wegen des Weiterfunktionierens des Herzens optimal ausblutet.“
[Aus: Die Jüdische Schlachtmethode — das Schächten →   http://www.hagalil.com/judentum/koscher/schaechten.htm ]

Ich finde, das Schächten gehört zu den religiösen Sitten und Gebräuchen, die sicherlich einmal sinnvoll gewesen sind – für Völker, die in Wüsten und anderen Gebieten lebten, in denen die geschlachteten Tiere großer Hitze ausgesetzt waren. Das könnte dort, wo es keine Kühlanlagen gibt, auch heute durchaus hygienischer sein.

Bei uns in Europa ist das Schächten ohne elektrische Betäubung ebenso wie der Stierkampf eine archaische und daher anachronistische Sitte, unter denen die Tiere zu leiden haben. Ob und wieviel Schmerzen sie dabei empfinden, können wir sie nicht fragen. Unsere Gesundheit ist durch den Genuss des Blutes sicherlich nicht gefährdet.

Rituelles Schlachten wie das Schächten ist eine Form des Tieropfers.

Tieropfer waren einst üblich, um die Götter gnädig zu stimmen. So war rituelles Töten von Tieren z. B. auch im alten Indien gang und gebe. Und es ist nach H. W. Schumann “eine Kulturleistung des Buddhismus (…), dass die rituelle Tötung von Lebewesen“ (seinerzeit auch Menschen) „in Indien nicht mehr zu den Standardbräuchen gehört und Tieropfer heute nur noch in Bengalen anzutreffen sind, wo die Hindu-Göttin Kãlĩ (Die Schwarze) sie angeblich verlangt.
Tiere galten dem Buddha als vollwertige Mitwesen, und seine Liebe (mettã) und sein Mitleid (kuraņã) richteten sich auf sie nicht minder als auf Menschen.“
Hans Wolfgang Schumann: Der historische Buddha, München 1995, 4. Aufl., S. 96 f.

Es gibt überlieferte Texte, die bezeugen, mit welcher Entschiedenheit und Intelligenz der Buddha der rituellen Tötung entgegentrat – mit Erfolg. So konnte er den König Pasenadi von Kosala, als dieser die Opferung von je fünfhundert Stieren, Ochsen, Kühen, Ziegen und Schafsböcken anordnete und vorbereiten ließ, davon überzeugen, dass weder Tier- noch Menschenopfer Nutzen bringen. [Samyuttanikãja 3,1,9]
Ebenso konnte er die Brahmanen davon abbringen, am Ritus der Schlachtopferung festzuhalten und dafür sogar Honorare einzustreichen. [Dĩghanikãya 5,22-27 u. Suttanipãta 299-313]
Ein Vergleich mit dem Jainismus, von dem der Buddha wahrscheinlich vieles übernommen hat, kann hier → http://www.dietrichstahlbaum.de (Seite «Buddhismus») abgerufen werden.

Von blog.de (28. 11. 2006) übernommen.

Der engagierte Buddhismus und der Kommunismus (Thich Nhât Hanh, Friedrich Engels, Bert Brecht)

1954 hat ein junger Mönch in Vietnam den engagierten Buddhismus gegründet und gegen das von den USA favorisierte katholische Ngô Đình Diệm-Regime und die US-Besatzung opponiert: Thich Nhât Hanh. Später, als Immigrant in den USA und in Frankreich, hat er nicht nur die schon vor 2600 Jahren evolutionär-humanistische Philosophie des Buddha in eine zeitgemäße Sprache „übersetzt“, − er wendet sie auch in der Praxis an: Hilfsaktionen für das kriegsgeschädigte Vietnam, Hilfe für Flüchtlinge und Vietnamveteranen beider Seiten.
Selbst Kommunisten erkannten die große Bedeutung Buddhas: So notierte Friedrich Engels, dass das „dialektische Denken“ „erst auf einer verhältnismäßig hohen Entwicklungsstufe (B u d d h i s t e n und Griechen)“ „möglich“ „ist“, „weil es die Untersuchung der Natur der Begriffe selbst zur Voraussetzung hat“… [MEW, Bd.20, S.491]

Und von Bert Brecht ist dieses Gedicht:

Gleichnis des Buddha vom brennenden Haus
Gothama, der Buddha, lehrte
Die Lehre vom Rade der Gier, auf das wir geflochten sind, und empfahl,
Alle Begierde abzutun und so
Wunschlos einzugehen ins Nichts, das er Nirwana nannte.
Da fragten ihn eines Tags seine Schüler:
«Wie ist dies Nichts, Meister? Wir alle möchten
Abtun alle Begierde, wie du empfiehlst, aber sage uns,
Ob dies Nichts, in das wir dann eingehen,
Etwa so ist wie dies Einssein mit allem Geschaffenen,
Wenn man im Wasser liegt, leichten Körpers, am Mittag
Ohne Gedanken fast, faul im Wasser liegt oder in Schlaf fällt,
Kaum noch wissend, daß man die Decke zurechtschiebt,
Schnell versinkend, ob dies Nichts also
So ein fröhliches ist, ein gutes Nichts, oder ob dies dein
Nichts nur einfach ein Nichts ist, kalt, leer und bedeutungslos.»
Lang schwieg der Buddha, dann sagte er lässig:
«Keine Antwort ist auf euere Frage.»
Aber am Abend, als sie gegangen waren,
Saß der Buddha noch unter dem Brotbaum und sagte den andern,
Denen, die nicht gefragt hatten, folgendes Gleichnis:
«Neulich sah ich ein Haus. Es brannte. Am Dache
Leckte die Flamme. Ich ging hinzu und bemerkte,
Daß noch Menschen drin waren. Ich trat in die Tür und rief
Ihnen zu, daß Feuer im Dach sei, sie also auffordernd,
Schnell hinauszugehen. Aber die Leute
Schienen nicht eilig. Einer fragte mich,
Während ihm schon die Hitze die Braue versengte,
Wie es draußen denn sei, ob es auch nicht regne,
Ob nicht doch Wind ginge, ob da ein anderes Haus sei,
Und so noch einiges. Ohne zu antworten,
Ging ich wieder hinaus. Diese, dachte ich,
Müssen verbrennen, bevor sie zu fragen aufhören. Wirklich, Freunde,
Wem der Boden noch nicht so heiß ist, daß er ihn lieber
Mit jedem andern vertausche, als daß er da bliebe, dem
Habe ich nichts zu sagen.»
So Gothama, der Buddha.
Aber auch wir, nicht mehr beschäftigt mit der Kunst des Duldens,
Eher beschäftigt mit der Kunst des Nichtduldens und vielerlei Vorschläge
Irdischer Art vorbringend und die Menschen beschwörend,
Ihre menschlichen Peiniger abzuschütteln, meinen, daß wir denen, die
Angesichts der heraufkommenden Bombenflugzeuggeschwader des Kapitals noch allzu lang fragen,
Wie wir uns dies dächten, wie wir uns das vorstellten
Und was aus ihren Sparbüchsen und Sonntagshosen werden soll nach einer Umwälzung,
Nicht viel zu sagen haben.

[In: Bertolt Brecht: Hundert Gedichte 1918-1950, Berlin 1962, S.116 f.]

Von blog.de (15. 02. 2013) übernommen.