Siegfried Born: Parole „Gemeinsam für soziale Gerechtigkeit“ darf keine bloße Worthülse bleiben. Überlegungen zum 1. Mai 2017

Der 1. Mai 2017

Das Motto des diesjährigen 1. Mai lautet: „Wir sind viele – wir sind eins“. Gemeint ist damit offenbar, dass wir vielen Menschen sind in den kleineren und größeren Städten der sechzehn Bundesländer, die sich als eine Einheit betrachten sollten. „Gemeinsam sind wir stark“ war und ist ein Motto der DGB-Gewerkschaften im Kampf vor allem um berechtigte Lohnforderungen. Aber wir sollten auch gemeinsam Seite an Seite kämpfen gegen den sich immer stärker werdenden Rechtspopulismus und den damit einhergehenden Fremdenhass.

Wir sind eins gegen rechts

Gemeinsam gegen rechts ist umso notwendiger, je mehr es Leute gibt, die den rechten Rattenfängern in die Arme laufen, die glauben, dass mit Nationalismus, Populismus und Fremdenfeindlichkeit und den dumpfen und hohlen Parolen wie „Ausländer raus“ oder „wir wollen keine Flüchtlinge“ oder „es muss eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen geben“ usw. hier in Deutschland, der soziale Friede, die soziale Gerechtigkeit wieder hergestellt werden würde. Das Gegenteil wäre der Fall.

Wir müssen hier und heute, hier und in den Betrieben, hier und bei unseren Freunden, Nachbarn, ja sogar in unseren eigenen Familien klar und deutlich machen, dass berechtigte Ängste um den Arbeitsplatz,  Sorge um die Zukunft unserer Kinder und vielleicht Ohnmacht gegenüber der Regierung nicht den Rechtspopulisten Zulauf und Vorteile verschaffen dürfen.

Kein Hass gegen Fremde

 Wer Hass auf andere entfaltet, der macht immer die Anderen für ein mögliches Versagen im eigenen Bereich verantwortlich, der macht die Flüchtlinge in ihren Notunterkünften, den Hassan von gegenüber, den Gemüsehändler aus Griechenland, den Eisverkäufer aus Italien usw. für seine schlechte Lage verantwortlich.

Der Andere soll verantwortlich sein für den Wegfall des eigenen Arbeitsplatzes, für die kaum ausreichende Sozialhilfe, für die viel zu  niedrige Rente, für die teure Mietwohnung und für das eigene soziale Elend.

Millionenfaches Leid durch die AGENDA 2010

 Aber nicht der Andere ist Schuld an der Misere, in der viele von uns stecken. Schuld sind vielfach gesetzliche Bestimmungen, wie beispielsweise die AGENDA 2010 unter Gerhard Schröder, die millionenfaches Leid über uns, die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, gebracht hat. Neulich war der WAZ zu entnehmen, dass die Verelendung großer Teile unserer Bevölkerung durch die Einführung der AGENDA 2010 erst gekommen ist. So sehen es auch viele Schuldnerberatungsstellen.

Ganz wichtig: soziale Gerechtigkeit

 Wir brauchen wieder mehr soziale Gerechtigkeit, hatte unlängst der neue Messias der SPD, Martin Schulz, vor laufenden Kameras gesagt. Ja, möchte man ihm zurufen, dann sieh doch zu, dass es wieder zu mehr sozialer Gerechtigkeit kommt in unserem Lande. Ja, möchte man ihm zurufen, dann verändere doch sofort die schlimmen gesetzlichen Bestimmungen, die erst dazu geführt haben, dass es uns in Deutschland so schlecht geht, hin zu besseren Gesetzen, die für die Betroffenen wieder Perspektiven bieten.

Weg mit Hartz IV ist dabei nur eine von zahlreichen nachzuempfindende Forderung aus der Bevölkerung, vor allem aus dem Lager der betroffenen Hartz-IV-Empfänger.

Jobcenter: Mangelverwaltung und Sanktionen verhängen

 Die AGENDA 2010 hat die Arbeitslosen bekämpft, nicht die Arbeitslosigkeit. Unter dem damaligen Superminister Wolfgang Clement, der gar keinen Widerspruch dulden mochte, auch nicht von SPD-Genossinnen und –Genossen, gegen seine Supervorhaben wie beispielsweise der Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zu den uns heute bekannten Jobcentern, weil er sich dadurch Synergieeffekte erhoffte, wurden und werden Arbeitslose verwaltet und schikaniert. Er sah damals in jedem Arbeitslosen Hilfeempfänger potenzielle Betrüger, die den Staat nur so nach Laune betrügen wollten, wie es ihnen gerade im Kram passte. Nachgewiesen war später,  dass nur ganz wenige Hilfesuchende betrügerische Absichten gegen den Sozialstaat hegten, während die überwiegende Masse sich ihrem Schicksal hingab und auf Besserung am Arbeitsmarkt wartete und wartete und bis heute noch wartet.

Auch heute werden immer noch Sanktionen gegen Arbeitslose ausgesprochen, sei es, weil sie mal irgendeinen Termin nicht wahrgenommen haben oder schlichtweg aus Willkür.

Wäre es nicht viel besser für die betroffenen Hilfesuchenden, aber auch für die hinter den Schreibtischen sitzenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jobcenter, wenn uns die Nachricht erreichen würde: Jobcenter X punktet mit einer Vielzahl von guten Arbeitsangeboten, gerade für die zahlreichen Langzeitarbeitslosen der Stadt Y.

Städte teilen sich auf in arme und reiche Stadtteile

 Festzustellen ist auch, dass sich in Deutschland Quartiere herausgebildet haben, die in arme oder reiche Quartiere unterteilt werden müssen. Die Politik konzentriert sich auf die reichen Quartiere und macht Politik gegen sozial abgehängte Menschen. Die Entwicklung hier in Deutschland geht in Richtung Kapitalismus, weiter in Richtung Finanzmacht bis hin zum Neoliberalismus. Die Gesellschaft wird sich spalten in Arm und Reich, so die Feststellung von Prof. Butterwegge, dem Bundespräsidentschaftskandidaten der LINKEN und Armutsforscher.

Gründe hierfür sind:

  1. Die Deregulierung des Arbeitsmarktes,
  2. Die Lockerung des Kündigungsschutzes
  3. Die zahllosen prekären Arbeitsverhältnisse

5 Millionen Menschen in der BRD sind in Minijobs tätig, begünstigt durch erleichterte Werkverträge. Es muss hinzugefügt werden, dass es die Strategie der Schröder-Regierung war, Lohndumping einzuführen. Die Folgen erkennen wir nun in Griechenland, in Italien, Portugal und Spanien. Das Löhnedrücken ist exportiert worden in die genannten Nachbarländer.

Sozialstaat wird demontiert

 Weitere Gründe für die Spaltung unserer Gesellschaft in nur noch Arm und nur noch Reich ist u. a. auch die Demontage des Sozialstaates, also der US-Amerikanisierung in arm und reich. Es herrscht zurzeit ein Marktradikalismus ungeahnten Ausmaßes und damit müssen wir eine neue soziale Eiseskälte verspüren. Das alles hat nichts mit sozialer Gerechtigkeit zu tun. Das Gegenteil ist der Fall.  Auch diese schlimmen Dinge könnten die Verantwortlichen um Martin Schulz verändern und zurücknehmen, wenn sie denn nur wollten.

Umverteilung von oben nach unten, nicht umgekehrt!

 Als schreiende soziale Ungerechtigkeit muss die  Umverteilung von unten nach oben gesehen werden. Es muss aber eine Umverteilung von oben nach unten erfolgen. Dieses so wichtige Thema beschäftigt inzwischen 26 Organisationen in Deutschland, darunter auch den DGB, die Einzelgewerkschaft ver.di, viele kirchliche und Nichtregierungsorganisationen.

1,7 Millionen Sozialhilfeempfänger in Langzeitarmut

Wenn nicht alsbald ein Gegensteuern vorgenommen wird, wird Deutschland  gegen die Wand gefahren. 16 % der deutschen Bevölkerung müssen zu den armen gerechnet werden, 350tausend Menschen in Deutschland sind obdachlos. Die Flüchtlinge werden zu den Armen in Deutschland nicht mitgerechnet.  1,7 Millionen Sozialhilfeempfänger befinden sich in Langzeitarmut. 40 % der unteren Einkommensbezieher, die schon fast Sozialhilfeempfänger sind oder sogar schon von Sozialhilfe leben müssen, haben nichts Erspartes. Wenn da mal der Kühlschrank oder die Waschmaschine defekt werden, ist die Not noch größer, denn diese Leute bekommen keinen Kredit mehr. Und das in einem Land, das das fünftreichste dieser Erde ist.

Was ist von Martin Schulz zu erwarten?

 Ach ja, der momentane Heilsbringer der SPD, Martin Schulz, sprach ja davon, dass es wieder gerechter zugehen möge hier in Deutschland. Ja, möchte man ihm zurufen, dann tu doch etwas dafür. Bis zur Bundestagswahl im September dieses Jahres hätte er und seine SPD Zeit, eine Reihe von guten Vorschlägen der Großen Koalition in Berlin vorzulegen und eine Vielzahl der damaligen gesetzlichen Bestimmungen, der Grausamkeiten unter dem Kürzel AGENDA 2010, wieder rückgängig zu machen.

Wenn den vollmundigen Äußerungen von Martin Schulz, der ja an der AGENDA 2010 nicht unbeteiligt gewesen ist, jetzt noch Taten folgen würden, damit die vielen Millionen Menschen, die arbeitslos sind, die von prekären Arbeitsverhältnissen leben müssen, die aufstockende Sozialhilfe beantragen müssen, obwohl sie acht Stunden am Tag arbeiten, die Rente beziehen, die unter der Armutsgrenze liegt usw., dann, ja dann könnte man vielleicht in Erwägung ziehen, sich wieder für die SPD zu interessieren.

Rentenniveau sinkt ständig ab

 In Sachen Rentenniveau haben sich die Sozialdemokraten damals wie heute nicht mit Ruhm bekleckert, ist doch der Prozentwert auf unter 50 gesunken mit Tendenz in Richtung 40 % des letzten Bruttos. Von der Rente muss man leben können sagen dann die gleichen Politiker, die zuvor das Rentenniveau stetig absenken. Angesichts solcher Praktiken fühlen sich die Rentnerinnen und Rentner hier in Deutschland doch mehr als getäuscht und sind dann auch zu recht enttäuscht von der Politik.

Bei der Rentengewährung Vorbild Österreich

In unserem Nachbarland Österreich beispielsweise  wird eine so genannte Mindestrente jedem Rentner und jeder Rentnerin gewährt in Höhe von über 800 Euro. Zudem erwerben die meisten Rentnerinnen und Rentner in Österreich eine Anwartschaft auf eine zweite Rente, die hinzukommt, so dass fast alle Rentenbezieher in Österreich über eine Mindestrente von ca. 1.100,- Euro verfügen. Das Rentenniveau ist auch wesentlich höher als im fünftreichsten Land der Erde. Es liegt bei über 50 %. Also insofern können wir was von Österreich lernen. Was in Österreich machbar ist, dürfte doch für uns in Deutschland gar kein Problem darstellen, Frau Nahles und Herr Schulz!

Ob sich was ändert bis zur Bundestagswahl?

 Gemeinsam für soziale Gerechtigkeit dürfte keine bloße Worthülse bleiben sondern müsste zu Veränderungen, d. h. zu Verbesserungen für diejenigen unter uns führen, die von der AGENDA 2010 betroffen waren und betroffen sind.

Dann und nur dann würde auch schlagartig der Hass auf die Anderen eingedämmt werden, denn ein ganzes Stück mehr an Gerechtigkeit führt immer auch dazu, den Anderen mit anderen, viel weniger verhassten Augen zu sehen, als dies noch der Fall ist.

Die Worte von Martin Schulz hören wir wohl, allein es fehlt uns aber der Glaube daran, dass es wieder besser werden könnte.  Und so wird es wie fast immer bei vollmundigen gut gemeinten Worten bleiben, die uns glauben machen sollen, dass nach dem Wahltag alles besser wird für uns und wir werden feststellen, dass der Rechtsruck in Deutschland geblieben ist und die so vollmundig herbei geredete Gerechtigkeit einmal mehr auf der Strecke geblieben ist.

Wir sind viele –wir sind eins gegen soziale Ungerechtigkeiten, gegen Rentenkürzungen, gegen prekäre Arbeitsverhältnisse, gegen Leiharbeit, gegen befristete schlecht bezahlte Minijobs,  gegen Armut, gegen Rassismus, gegen Ausländerfeindlichkeit, gegen Rechtspopulismus und für die Umverteilung des Vermögens von oben nach unten.

Siegfried Born

Mitglied der Gewerkschaft ver.di, Mitglied bei attac und kritischer Beobachter der Bundesregierung

 

Das Opferlamm

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Heute ist es nicht mehr üblich, seinesgleichen zu schlachten und – aus religiösen Gründen, versteht sich – zu verspeisen. Dafür muss das Opferlamm herhalten. Symbolisch, versteht sich. Ostern ist es wieder soweit. Guten Appetit!

Fort Buoux I

Fort de Buoux im Lubéron (Provence) 1992. Auch eine keltisch-ligurische Kultstätte. Hier wurden vor rd. 2 700 Jahren noch Menschen geopfert. Kinder?

Fort Buoux III

Fort Buoux II

Auffangrinne für das Blut der Geschlachteten?